Europas letzter geteilter Staat: Die Zypern-Frage

Auch der Streit über Gasvorkommen spielt in die Zypernfrage mit hinein. Bild: Partner der Eastmed-Pipeline, der Präsident der Republik Zyperns Nikos Anastasiadis, der griechische Premier Kyriakos Mitsotakis und der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu. Foto: Wassilis Aswestopoulos

In Zypern, Griechenland und der Türkei wird über die Gründe des Fiaskos diskutiert

Die Zeit nach dem Scheitern des informellen Treffens der 5+1 Runde zur Zypernfrage ist die Zeit für die Vorbereitung des nächsten Treffens. In Zypern, Griechenland und der Türkei wird über die Gründe des Fiaskos diskutiert. Zypern, dessen Nordteil seit 1974 de jure unter türkischer Besatzung lebt, ist Europas letzter geteilter Staat. Offiziell gehört der Nordteil der Insel zum Gebiet der EU, wird aber nicht von ihr kontrolliert.

Mit dem Scheitern der jüngsten Verhandlungen unter der Ägide von UN-Generalsekretär Antonio Guterres mehren sich die Anzeichen, dass die von der türkischen Seite als einzige mögliche Lösung angestrebte Teilung in zwei Staaten für jede der ethnischen Gruppen immer wahrscheinlicher erscheint.

Diese mögliche Lösung scheinen auch die Briten als eine der drei Garantiemächte der Inselrepublik zu favorisieren. Für Aufregung auf der griechischen Seite sorgte ein Bericht des türkischen Dienstes des BBC World Service. Dort wurde erklärt, dass in Genf vom Außenminister des Vereinigten Königreichs, Dominic Raab, vorgeschlagen wurde, dass sich griechische und türkische Zyprioten gegenseitig als eigenständige Staatsgebiete anerkennen sollten.

In dieser Lösung wäre Nordzypern dann weiterhin Teil der EU, sollte gemäß Raab jedoch nicht international anerkannt werden. Eine ähnliche Stellungnahme des Auswärtigen Amtes des Vereinigten Königreichs veröffentlichte auch die staatliche Nachrichtenagentur Zyperns. "Das Vereinigte Königreich ist der Ansicht, dass ein bizonaler, bikommunaler Verband ein ausreichend breiter Rahmen ist, damit beide Seiten ihre jeweiligen Ziele erreichen können", heißt es hier.

Das Maximalziel von Zyperns Präsident Nikos Anastasiadis, eine Wiedervereinigung der Insel, scheint immer unwahrscheinlicher. In den Monaten vor dem Treffen in Genf gab es im Fernsehen von Zypern beim Sender RIK zahlreiche politische Diskussionsrunden, in denen die Insulaner auf so ein Szenario vorbereitet wurden.

Wirklich aussprechen wollte es niemand, aber in Umschreibungen klang immer wieder durch, dass am Ende von zahlreichen Verhandlungen über die Zukunft der Insel, eine Manifestierung der Teilung stehen könnte.

Die Akte Zypern

In ihrem Beitrag vom 14. Mai an dieser Stelle hatte Elke Dangeleit eine Reihe von Gründen aufgeführt, warum die einzelnen Parteien so zerstritten sind: Keine Lösung der Zypern-Frage in Sicht.

Zur historischen Belastung hinzu kommt der Streit um die Erdgasvorkommen in der Ägäis. Vorkommen, an denen neben den Zyprioten auch die drei Garantiemächte der Insel interessiert sind. Großbritannien hält auf der Insel eine Exklave, die zu Zeiten der EU-Mitgliedschaft des Vereinigten Königreichs paradoxerweise nicht zum EU-Gebiet zählte, in der aber als Zahlungsmittel der Euro akzeptiert wird. Aus dieser Exklave leiten die Briten Nutzungsrechte für die Erdgasvorkommen ab.

Die Türkei hält den Nordteil der Insel seit 1974 besetzt, seit ihr die damals in Griechenland herrschende Militärdiktatur mit einem von ihr unter Mithilfe der USA initiierten Putsches einen perfekten Anlass bot.

Es gehört zu den vielen, Verhandlungen erschwerende Details, dass die griechische Öffentlichkeit auch heute noch nicht umfassend darüber aufgeklärt wurde, was sich 1974 abspielte. Die sogenannte Zypern Akte, "o fakelos tis Kyprou", ist ein unter Verschluss gehaltenes Dokument.

Die Schwächen der griechischen Verhandlungspartner

Am 24. Juli 1974 wurde Konstantinos Karamanlis aus seinem Pariser Exil nach Griechenland zurückgeholt. Die gescheiterten Diktatoren übergaben die Macht an den späteren Gründer der Nea Dimokratia, der als Premierminister die Regierung übernahm. Mitten im militärischen Konflikt um die Inselrepublik schockte Karamanlis bei einer Ansprache an die Griechen, alle, die auf einen griechischen Beistand für Zypern gehofft hatten, "die bewaffnete Konfrontation der Türken in Zypern wurde sowohl wegen der Entfernung als auch wegen der bekannten Ereignisse unmöglich. Und sie hätte nicht versucht werden können, ohne das Risiko, diese Verteidigung Griechenlands zu schwächen."

Die Türkei hatte bereits Kyrenia besetzt und begann Verhandlungen in Genf, während sie gegen das Waffenstillstandsabkommen verstieß, indem sie Lapithos und Karavas besetze und das Besatzungsheer mit neuen Panzern und einer neuen Armee verstärkte. Die Verhandlungen scheiterten schließlich und die Türken besetzten nach einer weiteren Offensive sechsunddreißig Prozent des zypriotischen Territoriums.

Der "Große Ethnarch", wie Karamanlis von seinen Anhängern genannt wird, entschied sich nach dem starken Drängen seiner Generäle, dass Griechenland die Last eines Feldzugs, der Zypern verlässt, nicht tragen konnte. Zeitlebens verzichtete Karamanlis auf einen Besuch in der Inselrepublik. Karamanlis politische Einstellung und sein Antikommunismus hatten bereits 1959 bei den Unabhängigkeitsverhandlungen Zyperns vom Vereinigten Königreich zu Spannungen zwischen ihm und dem späteren Präsidenten Zyperns, Erzbischof Makarios, geführt. Makarios führte Zypern in die Gemeinschaft der Blockfreien.

Es war Makarios Abneigung gegen die von 1967-74 in Athen regierende Obristendiktatur, welche zum Putsch gegen ihn führte. Makarios hatte in einem Brief am 2. Juli 1974 den Abzug der griechischen Offiziere von der Insel gefordert. Am 15. Juli wurde gegen ihn geputscht. Er entkam einer geplanten Ermordung. Die am 20. Juli 1974 erfolgte Landung türkischer Truppen war wegen des Putsches vom Garantievertrag für die Unabhängigkeit Zyperns gedeckt.

Auch vor dem Putsch hatten die Obristen in Athen Schritte zum Anschluss der Inselrepublik an Griechenland unternommen. Die Diktatoren hatten ab der Saison 1967/68 die erste Liga Zyperns zu einer Art dritter Staffel der griechischen zweiten Liga umgewandelt. Der Meister Zyperns stieg in die erste griechische Liga auf. Die Meister beider Staaten spielten einen Pokalwettbewerb, den "Pokal Großgriechenlands", untereinander aus.

Mit dem Sturz der Obristen endete der Spuk just zu dem Zeitpunkt, als mit dem FC APOEL Nikosia zum ersten Mal eine Mannschaft aus Zypern den Klassenerhalt in der ersten griechischen Liga schaffte.

Eine gerichtliche Aufarbeitung der Vorgänge rund um den Putsch, aber auch der offensichtlichen Planungen der Obristen, die Inselrepublik in Griechenland einzuverleiben, fand nicht statt. Offiziell, um der Türkei keine propagandistische Ausnutzung der Geschehnisse zu ermöglichen. Realpolitisch dürfte allen Beteiligten klar sein, dass die Türkei sehr wohl Kenntnis über die einzelnen Vorgänge hat. Somit wird lediglich die Bevölkerung der beteiligten Staaten im Unklaren gehalten.

"Sie sagen öffentlich etwas anderes, und sie diskutieren über andere Sachen", titelt die zypriotische Zeitung Politis einen Artikel zum Thema. Darin wird vom Verfasser Kostas Konstantinou argumentiert, bereits vor den Verhandlungen, dass eine Zwei-Staaten-Lösung wahrscheinlich sei. Konstantinou zitiert:

Eine diplomatische Quelle erklärte uns, dass dieser Weg jetzt vielleicht der einzig mögliche ist und dass dies möglicherweise der kleinste gemeinsame, von der UNO identifizierte Nenner ist. Es ist ein Kurs, fügte er hinzu, mit vielen Risiken und wahrscheinlich nicht innerhalb dessen, was wir als vereinbarten Rahmen in der Zypernfrage betrachten. Nur dass dieser Rahmen angesichts der Distanz, die die beiden Parteien trennt, außer in Resolutionen und Erklärungen nicht mehr existiert. In Bezug auf die Diskussion auf der Grundlage dieses Kurses, der Rechte für die künftige Abspaltung der türkischen Zyprioten schafft, stellt sich die Frage: Was bevorzugt die griechisch-zypriotische Seite? Das Risiko einer samtigen, einvernehmlichen Scheidung nach oder ein abruptes Zerwürfnis zum jetzigen Zeitpunkt, mit allem, was dazu gehört?

Kostas Konstantinou

Die Probleme der Nea Dimokratia

Es gehört zu den großen Traumata der auch heute regierenden Nea Dimokratia, dass sie als nationalkonservative Partei ihr oft nationalistisches Narrativ nicht mit realpolitischen Erfolgen verbinden konnte. Für die Nea Dimokratia gibt es auf dem nationalistischen Terrain, welches sie für den Wahlsieg 2019 mit vollen Händen bediente, gleich mehrere Baustellen. So wetterten Mitsotakis und Co gegen den Kompromiss im jahrzehntelangen Namensstreit Griechenlands mit Nordmazedonien.

In der vergangenen Woche war der Premierminister von Nordmazedonien, Zoran Zaev, zu Besuch in Griechenland. Seitens der Regierung und der Politiker der Nea Dimokratia wurde tunlichst vermieden, Nordmazedonien beim Namen zu nennen. Im offiziellen Programm der Regierung stand lediglich, dass sich Premier Kyriakos Mitsotakis mit dem Premier Zoran Zaev trifft. Dabei fällt auf, dass nur im Fall von Zaev die Nennung des Staats, aus dem der Besucher kommt, unterlassen wurde.

Politiker der Nea Dimokratia eierten förmlich herum, wenn sie im Fernsehen darauf angesprochen wurden. Sie benannten das Land "Nachbarstaat" und erklärten, Mitsotakis habe den Premier des Nachbarstaats getroffen. Diese an die Harry Potter Romanreihe erinnernde Angst, mit "du weißt schon welchen Staat"-Aktionen, eine simple Namensnennung zu vermeiden, belustigte die Opposition. Gleichzeitig zeigt es jedoch, wie wenig Spielraum die griechische Regierung bei Themen von nationalem Interesse hat.

Für die gesamte griechische Presse, so auch für die der Opposition in Griechenland nahe stehende Zeitung Efimerida ton Syntakton (EfSyn), ist es dennoch klar, dass die Gespräche zur Lösung der Zypern-Frage an "die türkische Wand" gefahren wurden. Die EfSyn, die ansonsten wie eine zweite Parteizeitung neben der Avgi, die Positionen von Syriza übernimmt und die griechische Regierung attackiert, akzeptiert beim Thema Zypern vollumfänglich die Stellungnahmen von Außenminister Nikos Dendias, der auch am vergangenen Dienstag betonte, wie sehr die türkische Seite für das Scheitern der Verhandlungen verantwortlich ist.

Die gleichen Positionen vertritt Zyperns Präsident Nikos Anastasiadis in einem Brief an den UN-Generalsekretär und den UN-Sicherheitsrat, in dem er sich über die Gründe des Scheiterns der Verhandlungen äußert.

Die griechische kommunistische Partei (KKE) sieht dagegen in den gescheiterten Verhandlungen und in den folgenden nur die Diskussion darüber, wie die Teilung der Insel in zwei Staaten organisiert werden wird. Sie stellt, wie im Parteiorgan Rizospastis veröffentlicht, dar, dass auf lange Sicht eine pro forma Bundestaatenlösung oder aber direkt eine Teilung, wie sie die türkische Seite fordert, das Resultat der Verhandlungen sein werden.

Für die KKE sind die Bodenschätze in der Ägäis und die von den USA favorisierte "gemeinsame Nutzung" der Katalysator für die Teilung der Insel. Selbst für den Fall der Bundesstaatslösung sieht die KKE am Ende eine Abtrennung des türkisch besetzten Nordteils.

Die Schwesterpartei der KKE, die AKEL beschuldigt den amtierenden Präsidenten Zyperns, dass dieser mit seiner Politik für einen Weg hin zur Teilung der Insel gesorgt hätte. Nach Ansicht der AKEL bestünde allen in einem gleichberechtigten Bundesstaat aller ethnischen Gruppen auf der Insel eine Garantie für ein friedliches Zusammenleben.

Zyperns innenpolitische Probleme

Anastasiadis gehörte zu den wenigen Befürwortern des sogenannten Annan-Plans zur Lösung des Zypernkonflikts bei der Volksabstimmung am 24. April 2004. Damals befürwortete er die Bundesstaatenlösung und sah in der Maximalforderung der Mehrheit der griechischen Zyprioten eine Gefahr für den Fortbestand Zyperns.

Dies wird ihm in großen Teilen der griechisch-sprachigen Presse noch heute vorgehalten. Äußerungen, wie die 2020 von ihm gemachte Feststellung, dass Zypern militärisch gegen die Türkei keine Chance hat, werden immer auch mit Hinweis auf Anastasiadis Einstellung zum Annan-Plan kritisiert.

Innenpolitisch ist Anastasiadis schwer angeschlagen. Wegen des Skandals um die sogenannten "goldenen Staatsbürgerschaften", mit denen sich nach bisherigem Kenntnisstand auch Kriminelle einen zypriotischen Pass, und somit Asyl und Zugang zu EU kaufen konnten, scheiterte die Verabschiedung des Staatsetats für 2021. Das Parlament wurde aufgelöst und am 30. Mai finden vorgezogene Neuwahlen statt.

Im Gegensatz zur zypriotischen Seite kann die Türkei zusammen mit dem von ihr als Staat anerkannten Nordteil Zyperns auf eine ungeteilte, einheitliche Verhandlungsposition verweisen. Die Türkei hat klargestellt, dass sie auch bei weiteren Verhandlungen an ihren Positionen festhalten wird.