Klimaschutz für künftige Generationen

Wie das Bundesverfassungsgericht den Weg in eine saubere Zukunft gewiesen hat

Das 21. Jahrhundert ist das Jahrhundert der Umwelt, so oder so, entweder als Jahrhundert der ökologischen Wende oder als Jahrhundert der ökologischen Katastrophe. Wasser, Boden und Luft werden in einem unerträglichen Ausmaß verbraucht und vergiftet. Urwälder werden abgebrannt. Wüsten breiten sich aus. Die Ozonlöcher vergrößern sich. Der Bedarf an Energie und Bodenschätzen steigt weltweit. Gleichzeitig wächst die Erdbevölkerung.

Wenn diese Trends anhalten – und nichts spricht derzeit dagegen – verschlechtern sich die Voraussetzungen für das Leben auf diesem Planeten von Tag zu Tag. Irgendwann werden sie fehlen. Die Perversität des Systems zeigt sich am deutlichsten darin, dass seine wirtschaftlichen Erfolge mit Blick auf die Zukunft ebenso zerstörerisch sind wie seine Misserfolge.

Interessen der Nachgeborenen

Trotz apokalyptischer Bedrohungsszenarien werden Umweltprobleme immer noch wie Plagegeister behandelt, die man glaubt, durch beharrliches Wegschauen vertreiben zu können. Es ist makaber: Wir sägen emsig an dem Ast, auf dem wir alle sitzen, und messen voll Stolz die wirtschaftliche Leistung des Sägens, ohne zu bedenken, dass der Ast, je fleißiger wir sägen, desto eher abbrechen wird.

Wir kommen nicht umhin, wir müssen nach neuen Leitbildern suchen: sorgsamer Umgang mit den Ressourcen und der Schöpfung, mehr Solidarität mit den Schwachen, hierzulande und anderswo, vor allem aber Rücksichtnahme auf die Interessen derer, die noch nicht geboren sind.

Versagen der Justiz

Die Klagen häufen sich, dass das Recht immer weniger in der Lage ist, Natur, Gesundheit und Leben zu schützen. Das Bemühen, die durch die Industriezivilisation hervorgerufenen Schäden durch noch mehr Industrie zu beheben, gleicht dem Versuch, Brandwunden auszubrennen. Maßstab für das, was unternommen werden darf, kann nicht die Frage sein, ob es heute gewinnbringend ist, sondern ob es mit Blick auf morgen verantwortbar ist.

Das Prinzip Verantwortung gilt auch für die Rechtsprechung. Art. 20a des Grundgesetzes verpflichtet alle Staatsgewalten zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen - und zwar auch in Verantwortung für die Nachwelt. Die Justiz trifft eine besondere Verantwortung. Sie muss sich zum Interessenverwalter derer machen, die keine Stimme haben: Die künftigen Bewohner des Raumschiffs Erde und – damit aufs engste verbunden – die belebte und unbelebte Natur. In dubio pro natura.

Deutschland hatte immer Wichtigeres zu tun

Der obige Mahnruf stammt nicht von heute, sondern er ist ein Vierteljahrhundert alt. Ich habe ihn als damaliges Mitglied des Bundesvorstands der Neuen Richtervereinigung entworfen. Er wurde am 7. März 1997 im Beisein der damaligen Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts Jutta Limbach und des großen SPD-Umweltpolitikers Erhard Eppler von mehr als 200 Richtern und Richterinnen sowie Staatsanwälten und Staatsanwältinnen einstimmig beschlossen.

Wenn im Text von Umwelt und Ökologie die Rede ist, umfasst das auch den Klimaschutz. Er war fünf Jahre früher in der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung ("Rio 1992") zum Bestandteil der internationalen Politik geworden. Doch Papier ist geduldig. Die Medien berichten über solche Kongresse in aller Regel zwei Wochen vorher und eine Woche nachher. Dann folgt wieder business as usual. Alle Mahnrufe verhallen.

Auch Deutschland hatte immer Wichtigeres zu tun. Zuerst mussten die Folgen der Wiedervereinigung bewältigt werden. Dann galt es, den Euro zu retten. Dann kamen die Geflüchteten. Und dann kam eine Pandemie.

Planetare Gerechtigkeit

Währenddessen nahm die globale Klimaveränderung immer gefährlichere Ausmaße an. Dachte man ab den 1970er-Jahren, dass wir auf unserer Erde (nur) ein Ressourcenproblem haben, so zeigte sich zwei Jahrzehnte später, dass wir im Himmel ein noch größeres Problem bekommen: Wie viel können wir der Erdatmosphäre noch zumuten, wenn wir die Lebenschancen auf unserem Planeten wahren wollen?

Heute wissen wir, dass das auf der Pariser UN-Klimakonferenz von 195 Staaten vereinbarte 1,5-Grad-Ziel voraussichtlich verfehlt werden wird. Die Gefahr, dass Kipppunkte überschritten werden und irreversible Klimaschäden eintreten, wächst. Dessen ungeachtet verhält sich die Weltgemeinschaft wie die Besatzung der Titanic, die angesichts des Eisbergs die Warnsirenen anstellte und gleichzeitig die Tanzkapelle fröhlich aufspielen ließ.

Beim Klimaschutz geht es heute nicht mehr um Almosen für die Entwicklungsländer. Wir alle müssen auf Gedeih und Verderb unsere Existenz sichern: Weg von der Kultur des Wachstums, des Profits und der Jobs um jeden Preis, hin zu einem System planetarer Gerechtigkeit. Der Weltklimarat warnt eindringlich vor einem Notstand, weil sich das Zeitfenster für Gegenmaßnahmen schnell schließt.

Die Zeit für Klimaprogramme, die ihre volle Wirksamkeit erst Mitte des Jahrhunderts entfalten sollen, ist vorbei. Wir müssen handeln, nicht irgendwann, sondern jetzt. Nicht irgendwo, sondern überall.

Denn das Klima verhandelt nicht. Das Rezept "Wir schützen das Klima und stärken damit die Konjunktur" ist verräterisch. Wer solches sagt, zeigt, dass er über den engen Zusammenhang zwischen Konjunktur und Klimaschäden nicht nachgedacht hat, und dass es ihm nicht primär um Klimaschutz geht. Noch verstörender ist, wenn ein Wirtschaftsminister meint, wir bräuchten mehr Wirtschaft, um uns Klimaschutz leisten zu können. Das ist von bedrückender Naivität.

In dieser Gemengelage von unbequemem Wissen und politischer Ignoranz entstand das deutsche Klimaschutzgesetz vom 12. Dezember 2019. Es ist bereits heute ein historisches Dokument. Denn es ist Beleg für das Unvermögen deutscher Klimapolitik zu sachgerechtem Handeln.

Gerichtsentscheidung mit weltweiter Signalwirkung

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat das deutsche Klimaschutzgesetz gewogen und als zu leicht befunden. Es gefährde die Freiheitsrechte künftiger Generationen. Nach derzeitigem Kenntnisstand trügen CO2-Emissionen irreversibel zur Erderwärmung bei. Der Gesetzgeber dürfe das bei fortschreitendem Klimawandel nicht tatenlos hinnehmen. Er sei verpflichtet, die Emissionsreduktionsziele für die Zeit bis 2030 so zu begrenzen, dass die (Rest-)Emissionsmengen für die Zeit danach nicht freiheitsgefährdend eingeschränkt werden ("intertemporale Freiheitssicherung"). Damit hat das Gericht ein höheres ethisches Schutzniveau postuliert. Chapeau!

Das BVerfG betonte in seiner Entscheidung vom 24. März 2021, dass die Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und Art. 20a des Grundgesetzes (GG) den Staat zum Umwelt- und Klimaschutz verpflichten. Leben und Gesundheit der Menschen seien vor den Gefahren des Klimawandels (z. B. Hitzewellen, Dürren, Wald- und Flächenbrände, Wirbelstürme, Starkregen, Überschwemmungen) zu schützen. Bei wissenschaftlicher Ungewissheit über Klimafolgen müsse der Staat irreversible Beeinträchtigungen verhindern. Das relative Gewicht des Klimaschutzes nehme bei fortschreitendem Klimawandel zu.

Bahnbrechend ist die Feststellung des BVerfG, dass Art. 20a GG eine staatliche Klimaschutzpflicht auch für künftige Generationen begründet. Das ist eine Verbeugung vor den sehr jungen Mitgliedern der Generation Fridays for Future, die gegen das Klimaschutzgesetz geklagt haben.

Außerdem stellte das Gericht fest, dass das Klimaschutzgebot eine internationale Dimension habe. Dem häufig erhobenen Einwand, dass auch andere Staaten Treibhausgase emittieren, wurde der argumentative Boden entzogen. Auch wenn ein Staat alleine den Klimawandel nicht aufhalten könne, verpflichte es ihn gleichwohl zu internationalem Handeln. Es bestehe die Notwendigkeit, eigene Maßnahmen zum Klimaschutz zu ergreifen, um für andere Staaten keine Anreize zu setzen, das erforderliche Zusammenwirken zu unterlaufen.

Der Gesetzgeber habe im Einklang mit Art. 20a GG bestimmt, den Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur möglichst auf 1,5 Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen und bis 2050 Klimaneutralität anzustreben ("Paris-Ziel").

Eine ausreichende Regelung wie diese Ziele jenseits der 30er-Jahre erreicht werden sollen, enthält das Gesetz nach Auffassung des BVerfG nicht. Die Grundrechte schützen jedoch vor einer Verlagerung der Treibhausgasminderungslast in die Zukunft.

Die natürlichen Lebensgrundlagen dürften nachfolgenden Generationen nicht so hinterlassen werden, dass diese ihre Existenz nur noch um den Preis radikaler eigener Einschränkungen aufrechterhalten könnten. Der Übergang zu Klimaneutralität müsse rechtzeitig eingeleitet werden. Da der Gesetzgeber das nicht ausreichend beachtet habe, müsse er die erforderlichen Anpassungen spätestens bis Ende 2022 vornehmen.

Reaktionen

Es war vielfach von einem historischen Urteil die Rede. Selbst diejenigen in Politik, Wirtschaft und Verbänden, die sich in der Vergangenheit als Bremser eines angemessenen Klimaschutzes hervorgetan haben, beugten sich der Autorität des BVerfG. Das ist Beweis für einen funktionierenden Rechtsstaat.

Es wird spannend in den nächsten Monaten. Die Koalitionsparteien wollen den Klimaschutz aus dem anlaufenden Bundestagswahlkampf heraushalten, weil ihr Versagen offenkundig würde. Das Bundeskabinett hat bereits am 12. Mai Verschärfungen des Klimaschutzgesetzes beschlossen. Das BVerfG (und Greta Thunberg!) hatten die Tagesordnung diktiert.

Ungeachtet dieser Eile wird Klimaschutz das bestimmende Thema der nächsten Monate bleiben. Ob es wahlentscheidend wird, hängt von Unwägbarkeiten ab, etwa davon, ob wir neue Hitzerekorde und einen Dürresommer erleben. Klar ist, es muss gehandelt werden. Die Umarmung von Bäumen und wohlfeile Sonntagsreden werden nicht mehr genügen.

Die Schutzpatrone der Braunkohle und die ewiggestrigen Windkraft- und Stromtrassenverhinderer müssen jetzt die Hosen herunterlassen. Sie müssen zeigen, auf welcher Seite sie stehen. Und Deutschland muss in der EU sein ganzes Gewicht in die Waagschale werfen, statt wie bisher klimapolitisch im Bremserhäuschen zu stehen. Es muss klimapolitisch Führung übernehmen. Milliarden Menschen werden uns aufmerksam beobachten. Sie werden uns bewundern und nacheifern, wenn wir entschlossen und erfolgreich handeln.

Wir schaffen das! Es besteht kein Grund zum Kleinmut.

Warum soll eine Menschheit,

  • die ihresgleichen zum Mond und heil wieder zurückbringen kann,
  • die sogar in entfernte Teile des Weltalls vordringen kann
  • die Wassersoffbomben bauen kann, die unsere Erde unbewohnbar machen und
  • die künstliche Intelligenz schaffen und Erbgut verändern kann,

nicht auch in der Lage sein, das unerschöpfliche Energiepotential der Sonne so zu nutzen, dass die Menschen ohne klimazerstörende Gase auf ihrem Planeten weiterleben können?

Peter Vonnahme war bis zu seiner Penionierung Richter am Bayerischen Verwaltungsgerichtshof in München. Er ist Mitglied der deutschen Sektion der International Association of Lawyers Against Nuclear Arms (IALANA). Von 1995 bis 2001 war er Mitglied des Bundesvorstandes der Neuen Richtervereinigung (NRV).