Lockdown-Kids: Der Garten macht den Unterschied

Schul- und Kita-Schließungen schlagen vielen Kindern aufs Gemüt. Foto: Thomas G. auf Pixabay (Public Domain)

OECD-Studie: Psychische Folgen der Corona-Pandemie treffen Kindern und Jugendliche besonders hart. Weniger allerdings, wenn die Familie auf einem eigenen Grundstück lebt

Wie soll es mit den Schulen weitergehen? Öffnen sie wieder und kehren zum Präsenzunterricht zurück oder setzen sie den Wechselunterricht fort? Marlis Tepe, Vorsitzende der Lehrergewerkschaft GEW, rät zur Geduld. Solange die sogenannte Sieben-Tage-Inzidenz über 50 liege, solle der Wechselunterricht fortgesetzt werden, sagte sie am Donnerstag im ZDF-Morgenmagazin.

Sie beruft sich dabei auf eine Empfehlung des Robert-Koch-Instituts (RKI). Es solle außerdem Hinweise auf hohe Corona-Inzidenzen unter Schülern geben. Wechselunterricht ermögliche darüber hinaus eine individuelle Betreuung, erklärte sie weiter. Ganz andere Töne kamen dagegen am Donnerstag von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), als die neueste Studie zur psychischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen vorgestellt wurde. Bei der Präsentation betonten Experten, der Wechselunterricht solle aufgehoben werden; man solle wieder zum Normalunterricht zurückkehren, um Kindern wieder einen geregelten Alltag zu ermöglichen. Die Schule sei nicht nur ein Ort, an dem Arbeiten in Mathematik und Deutsch geschrieben würden, sondern auch ein wichtiger sozialer Raum für junge Menschen.

Die Folgen der Einschränkungen in der Corona-Pandemie sind massiv, stellt die OECD fest. Weltweit haben Depressionen und Angststörungen massiv zugenommen, in einigen Ländern sind sie sogar um das Doppelte angestiegen. Betroffen sind vor allem Kinder und Jugendliche: In Belgien, Frankreich und den USA lagen die Werte bei ihnen zwischen 30 und 80 Prozent über denen von Erwachsenen. Sie berichteten öfter davon, sich einsam zu fühlen. Christoph Prinz, Mitarbeiter der OECD, sagte, die Entwicklung komme nicht unerwartet, das Ausmaß dagegen schon.

Häufiger Anzeichen für Depressionen

Bei der Vorstellung der Studie ging Prinz näher auf die Daten aus Frankreich ein. Mit Ausnahme einer kurzen Periode im Sommer traten demnach bei Jugendlichen wesentlich häufiger Anzeichen für Depressionen auf. Zwischenzeitlich klagte jeder dritte Jugendliche über Erkrankungszeichen. Anhand einer Grafik zeigte Prinz auf: Die Werte stiegen, als der Lockdown ausgerufen wurde - und sie nahmen wieder ab, als die Beschränkungen zurückgefahren wurden.

Prinz begründete dies damit, dass Kinder und Jugendliche im Lockdown vor allem den Risikofaktoren schutzlos ausgeliefert gewesen seien, welche die Psyche belasten: Armut, Isolation, Zukunftsängste, Arbeitslosigkeit der Eltern. Was dagegen einen gewissen Schutz bietet, konnte dagegen nur eingeschränkt wahrgenommen werden: soziale Beziehungen, Sport, Schule. Er forderte deshalb, dass Schulen und soziale Jugendzentren weiterlaufen müssten, zudem müssten psychosoziale Leistungen ausgebaut werden.

Neben Prinz kamen auch andere Experten zu Wort, zum Beispiel Susanne Walitza, Direktorin der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie an der Universität Zürich, C. Katharina Weiß vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), Alexander Patzina vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) und Julia Asbrand, Professorin am Institut für Psychologie an der Humboldt Universität in Berlin. Sie alle hatten in den letzten Monaten die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf Kinder- und Jugendliche untersucht und dazu publiziert.

Walitza berichtete von der Studie, an der sie mitgearbeitet hatte und die Ende April veröffentlicht wurde. Darin untersuchten die Wissenschaftler, die Auswirkungen des ersten Lockdowns (Mitte März bis Ende April 2020) in der Schweiz. Kinder und Jugendliche fühlten sich demnach am meisten dadurch gestresst, dass sich wichtige Pläne ändern; dass sich Ereignisse verschieben oder ganz abgesagt werden mussten; und dass sie nicht wie gewohnt mit anderen umgehen konnten.

Als Folgen davon entwickelten mehr als 20 Prozent der Mädchen und Jungen Symptome einer Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS). 18 Prozent der Mädchen und elf Prozent der Jungen zeigten Trotzreaktionen und Wutausbrüche als Merkmale einer sogenannten "oppositionellen Verhaltensstörung". Angstsymptome wiesen 14 Prozent der Mädchen und 13 Prozent der Jungen auf, Anzeichen von Depression hatten zehn Prozent der Mädchen und fünf Prozent der Jungen. 30 Prozent der Kinder und 21 Prozent der jungen Erwachsenen erfüllten Kriterien für eine problematische Internetnutzung.

Soziale Spaltung offensichtlich

Eine soziale Spaltung sei auch hier zu beobachten gewesen, sagte Walitza. Betroffen von den Problemen seien vor allem Kinder und Jugendliche gewesen, die aus ohnehin benachteiligten Familien kommen. Die allerdings, deren Eltern über ein eigenes Grundstück mit Garten verfügten, konnten der Schulschließung sogar etwas Gutes abgewinnen. Sie freuten sich darüber, enger mit der Familie zusammenrücken zu können.

Julia Asbrand machte deutlich, dass es kaum möglich sein wird, Kinder und Jugendliche in ausreichendem Maße psychotherapeutisch zu behandeln. Vor der Pandemie habe es bei Kindertherapeuten lange Wartezeiten zwischen sechs und zwölf Monaten gegeben. Nun sei aber der Andrang größer und es sei mit Wartezeiten deutlich über einem Jahr zu rechnen.

In einem offenen Brief hatte Asbrand zuvor auf die Probleme der Kinder und Jugendlichen aufmerksam gemacht. Inzwischen haben ihn fast 400 Psychologen, Psychotherapeuten und Psychiater unterzeichnet. Darin spricht sie sich für eine "sichere Öffnung von Kitas und Schulen" aus, für das Ermöglichen pandemiegerechter Freizeitangebote oder für einen niedrigschwelligen Zugang zu psychosozialen Angeboten.

Es wird sich zeigen müssen, ob die psychischen Probleme der Kinder und Jugendlichen berücksichtigt werden, wenn neue Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie beschlossen werden. Christopher Prinz machte aber wenig Hoffnung darauf: Die Bedeutung der psychischen Gesundheit werde immer noch unterschätzt, sagte er. In den letzten 20 Jahren sei viel zu wenig darüber gesprochen worden, und bis zu den Entscheidern in den OECD-Ländern sei noch nicht durchgedrungen, dass sich psychische Gesundheit auch auf den Arbeitsmarkt auswirke.

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