Überlegungen zu unseren galaktischen Nachbarn

Die Tatsache möglichen Exo-Lebens wird nicht verschwinden, wenn wir sie ignorieren

Gehen Außerirdische auf soziale Distanz zu uns? Ein vorsichtiges Reiseverhalten würde unser Social Distancing in der Covid-19-Ära widerspiegeln, in der wir aus Angst vor den mit dem Reisen verbundenen Risiken lieber zu Hause bleiben. Auf ähnliche Weise könnten es die technisch am höchsten entwickelten Zivilisationen bevorzugen, sich in einem autarken, technisierten Lebensraum abzuschotten. Da sie ein ruhiges Dasein führen, wären solche Zivilisation nur schwer aufspürbar.

Dieser Zustand der Isolation bietet eine mögliche Antwort auf Enrico Fermis Frage, wo sie alle seien1, wobei das Zeitfenster, in dem eine Zivilisation durch nachweisbare Signale auf sich aufmerksam macht, nicht durch Selbstzerstörung, sondern eher durch technologische Reife und Abgrenzung endet.

Diese abgeschirmten technisierten Kokons würden einem außenstehenden Beobachter durch Zurückhaltung auffallen. Das bedeutet, keine an uns gerichtete Kommunikation, keine Hilfe bei unseren elementaren Problemen auf Erden, kein Erfolg bei unserer Suche nach extraterrestrischer Intelligenz. Kurzum, es entspricht dem Fermi-Paradoxon.

Die Suche

Für unsere Teleskope wären solche Zivilisationen nicht von der Natur zu unterscheiden, da ihr Fußabdruck gewollt minimal ist. Aus ihrer Sicht beinhaltet die Isolation den Vorteil einer Strategie, die auf ein langfristiges Überleben angesichts ihnen geistig unterlegener Beutejäger oder Weltraumpiraten abzielt, die ihnen den technischen Reichtum entreißen wollen. Dennoch werden auch diese Kulturen ihren Müll irgendwo loswerden müssen.

Wir könnten sie aufstöbern, indem wir nach dem Schrott suchen, den sie im Weltraum entsorgen, ähnlich wie Enthüllungsjournalisten, die auf der Jagd nach Klatschgeschichten in den Abfalleimern von Prominenten herumwühlen.

'Oumuamua

In meinem Buch "Außerirdisch" erzähle ich, wie 'Oumuamua (Hawaiisch für "Kundschafter" oder "Bote") im Oktober 2017 von dem Teleskop-System Pan-STARRS auf Hawaii erfasst wurde. Als erstes in Erdnähe entdecktes interstellares Objekt, das seinen Ursprung außerhalb unseres Sonnensystems hat, wirkte es sonderbar, anders als jeder Komet oder Asteroid, der jemals in unserem Sonnensystem gesichtet wurde.

'Oumuamua ist der Punkt in der Bildmitte. Wegen der schnellen Bewegung des interstellaren Objekts erscheinen die Hintergrundsterne als Lichtstreifen. Bild: Nasa

Im Buch werden die ungewöhnlichen Eigenschaften von 'Oumuamua ausführlich beschrieben: Es hatte eine abgeflachte Form mit extremen Proportionen, wie sie nie zuvor bei Kometen oder Asteroiden in Erscheinung getreten waren, sowie eine ungewöhnliche Anfangsgeschwindigkeit und eine glänzende Oberfläche.

Zudem fehlte dem interstellaren Besucher der Kometenschweif, obwohl er in Abweichung von der Umlaufbahn, die die Schwerkraft der Sonne bewirkt hätte, durch eine zusätzliche Kraft von der Sonne weg beschleunigt wurde. Als normaler Komet hätte 'Oumuamua etwa ein Zehntel seiner Masse verlieren müssen, um diesen zusätzlichen Schub durch den Rückstoßeffekt zu erfahren. Doch in 'Oumuamuas Umgebung ließen sich weder kohlenstoffbasierte Moleküle noch die kleinste Änderung seiner Rotationsperiode ausmachen, wie man es bei Kometen-Jets erwarten würde.

Weltraumschrott?

Der zusätzliche Schub ließe sich erklären, wenn 'Oumuamua durch den Strahlungsdruck der Sonne angetrieben würde, es also ein konstruiertes Lichtsegel wäre - ein dünnes Relikt der vielversprechenden Technologie zur Weltraumerkundung, die bereits 1924 von Friedrich Zander angeregt und derzeit von unserer Zivilisation entwickelt wird. Das würde jedoch bedeuten, dass es sich bei 'Oumuamua womöglich um ein Stück Weltraumschrott dreht.

Im September 2020 wurde ein weiterer ungewöhnlicher "Asteroid" vom Pan-STARRS-Teleskop aufgespürt, der vom Strahlungsdruck der Sonne beschleunigt wurde und keinen Kometenschweif aufwies. Dieses Objekt mit der Bezeichnung "2020 SO" war nicht interstellaren Ursprungs wie 'Oumuamua, sondern befand sich auf einer erdähnlichen Umlaufbahn um die Sonne. Nachdem man seine Flugbahn zurückverfolgt hatte, stellte sich heraus, dass es sich um eine verirrte Raketenstufe handelte, die von der Mondlandungsmission Surveyor 2 im Jahr 1966 übriggeblieben war.

Haleakala Observartorium. Die Pan-STARRS-Teleskope sind die beiden kleineren Kuppeln in der Bildmitte. Bild: Ekrem Canli / CC-BY-SA-4.0

Diese Entdeckung stützt die Vorstellung, dass dünne, konstruierte Objekte mit einem großen Verhältnis von Oberfläche zu Masse von natürlichen Objekten unterschieden werden können, weil sie einen Extraschub durch das Sonnenlicht erhalten, aber keinen Kometenschweif haben. Doch im Gegensatz zum Weltraumschrott "2020 SO" kann 'Oumuamua aufgrund seiner hohen lokalen Geschwindigkeit, seiner schieren Größe und seiner Flugbahn nicht von uns stammen.

Die Daten, die über 'Oumuamua gesammelt wurden, sind unvollständig. Um mehr zu erfahren, müssen wir den Himmel weiter nach ähnlichen Objekten absuchen. Die Erkenntnis, dass wir nicht allein sind, wird dramatische Auswirkungen auf unsere Ziele auf Erden und unsere Vorhaben im Weltraum haben. Wenn ich jeden Morgen die Nachrichten lese, komme ich nicht umhin, mich zu fragen, ob wir die hellsten Kerzen auf der Torte sind. Gibt es Außerirdische in der Milchstraße, die schlauer sind als wir? Das können wir nur herausfinden, wenn wir den Himmel beobachten.

Oft heißt es, ein Bild sage mehr als tausend Worte. Im Fall meines Buches "Außerirdisch" sagt ein Bild mehr als 66.000 Worte. Das ersehnte Bild von 'Oumuamua hätte darüber Aufschluss geben können, ob wir es bei diesem Objekt mit einem natürlichen Gesteinsbrocken oder einem von einer außerirdischen Zivilisation hergestellten Artefakt zu tun haben.

Das Pan-STARRS-Teleskop

Durch die vielen Anomalien, die 'Oumuamua an den Tag legte, berufen sich alle natürlichen Interpretationen gezwungenermaßen auf Objekttypen, die wir noch nie gesehen haben und die alle große Schwächen in sich tragen - wie ein Eisberg aus Wasserstoff, der wahrscheinlich durch die Absorption von Sternenlicht während seiner Reise verdampfen würde, ein Eisberg aus Stickstoff, den es vermutlich nicht in ausreichendem Maße gibt, eine "Wollmaus", eine lose Staubwolke, hundertmal dünner als Luft, die nicht die materielle Stabilität hätte, einer Erhitzung von mehreren hundert Grad durch die Sonne standzuhalten, oder ein Relikt eines Gezeiten-Sternzerriss-Ereignisses, das nicht die für 'Oumuamua vermutete pfannkuchenförmige Form besitzen würde.

Wir können aus gutem Grund optimistisch sein, dass es uns in Zukunft gelingen wird, ein solches Bild aufzunehmen. Das Pan-STARRS-Teleskop stieß auf 'Oumuamua, nachdem es den Himmel ein paar Jahre lang abgesucht hatte. Daher ist es wahrscheinlich, dass es alle paar Jahre ein Objekt dieser Art einfängt. Das Projekt Legacy Survey of Space and Time (LSST) des Vera C. Rubin Observatory wird in weniger als drei Jahren beginnen, Daten zu sammeln und wohl viele 'Oumuamua-artige Objekte finden, vermutlich jeden Monat ein neues.

Künstliche Artefakte zwischen Asteroiden und Kometen im Sonnensystem auszumachen, ähnelt der Suche nach vereinzelten Plastikflaschen unter natürlichen Steinen am Strand. Wie können wir scharfe Bilder von eigenartigen interstellaren Objekten erhalten, um sie von den Gesteinen zu unterscheiden? Mir kommen zwei Herangehensweisen in den Sinn.

Methoden

Zum einen können wir im Voraus zahlreiche Kameras innerhalb der Erdumlaufbahn um die Sonne stationieren, sodass eine von ihnen nah genug an der Bahn eines interstellaren Objektes von Interesse sein wird. Zum anderen können wir eine spezielle, mit einer Kamera ausgerüstete Raumsonde starten, sobald LSST ein merkwürdiges interstellares Objekt identifiziert, das sich uns nähert.

Eine Kamera mit einem Öffnungsdurchmesser von 100 mm kann ein scharfes Bild von einem 'Oumuamua-artigen Objekt von der Größe eines Footballfeldes in einer Entfernung aufnehmen, die vergleichbar mit dem Durchmesser der Erde ist. Um eine Kamera in einer solchen Nähe zu einem Objekt zu haben, das zufällig die Ebene kreuzt, die von der Umlaufbahn der Erde um die Sonne begrenzt wird, müsste man hundert Millionen Kameras in dieser Region aufstellen, eine schwindelerregende Aufgabe.

Die Anzahl der Kameras lässt sich um ein Vielfaches reduzieren, wenn man sie an ein Antriebssystem anbringt, das sie an den richtigen Ort just zu dem Zeitpunkt befördert, an dem der Gegenstand von Interesse dort eintrifft. Natürlich könnte eine faszinierende Aufnahme eine Folgemission nach sich ziehen, innerhalb derer man auf dem Objekt landet und dessen Zweck auf Grundlage seiner Beschaffenheit entschlüsselt. Besonders aufregend wäre die Entdeckung eines Labels mit der Aufschrift "Made in Planet X" oder von etwas Ähnlichem wie den Golden Record-Datenplatten an Bord der Voyager 1 und 2, die zur Grenze unseres Sonnensystems geschickt wurden.

Würde LSST ein sich annäherndes Objekt von Interesse über ein Jahr im Voraus ankündigen, könnte man eine Weltraummission von der Erde starten, die dessen Umlaufbahn abfängt. Diese Strategie ähnelt Asteroidenmissionen wie die der Raumsonde OSIRIS-Rex, die dem Asteroiden Bennu einen Besuch abstattete und 2023 mit Bodenproben zur Erde zurückkehren wird.

Aufnahmen von interstellaren Artefakten werden die Ära der Astroarchäologie einläuten, ein Bereich der Weltraumforschung, der ebenso breite Aufmerksamkeit wie die traditionelle Archäologie auf der Erde verdient. In einigen Jahrzehnten könnte das Studium vergangener hochentwickelter Zivilisationen anhand der von ihnen hinterlassenen Relikte Routine an den Hochschulen sein.

Die Tatsache möglichen Exo-Lebens wird nicht verschwinden, wenn wir sie ignorieren, ebenso wie die Erde sich weiterhin um die Sonne bewegte, auch nachdem die Philosophen sich geweigert hatten, durch Galileos Teleskop zu schauen.

Wir sollten bedenken, dass die meisten Sterne Milliarden Jahre vor unserer Sonne entstanden sind und technisierte Zivilisationen, die uns vorausgingen, die Möglichkeit hatten, fortschrittlichere Ausrüstungen als unsere jahrhundertealten Technologien zu entwickeln. Wir können von ihnen lernen, selbst wenn die meisten Gerätschaften, die sie im All eingesetzt haben, nach Milliarden Jahren nicht mehr funktionstüchtig sind.

Ihre Relikte vor unserer Haustür zu finden, erspart uns die lange Reise zu ihrem Herkunftsort. Indem wir diese Ausrüstung in die Finger bekommen und versuchen, sie auf der Erde zu reproduzieren, können wir unsere eigene technische Entwicklung abkürzen. Unsere technologische Zukunft liegt vielleicht direkt vor unseren Augen, wenn wir nur den Willen aufbringen, uns diese Zeugnisse der Vergangenheit zunutze zu machen.

Es ist vermessen, anzunehmen, dass wir einzigartig sind und besondere Aufmerksamkeit von hochentwickelten Spezies in der Milchstraße verdienen. Vielleicht sind wir eine so gewöhnliche Erscheinung wie Ameisen auf einem Bürgersteig. Wenn wir einen Bürgersteig überqueren, würdigen wir auch nicht jede Ameise auf unserem Weg.

Kürzlich erfuhren wir, dass etwa die Hälfte aller sonnenähnlichen Sterne einen erdgroßen Planeten in ihrer bewohnbaren Zone beherbergen, wodurch sich Leben in flüssigem Wasser auf der Oberfläche des Planeten herausbilden kann. Da die Würfel des Lebens an Milliarden anderer Orte innerhalb der Milchstraße unter ähnlichen Bedingungen wie auf der Erde gefallen sind, ist das Leben, wie wir es kennen, wahrscheinlich weitverbreitet. Das Fermi-Paradoxon ist anmaßend, weil es davon ausgeht, dass wir kosmische Bedeutung haben.

Aussichten

Warum sollte es unsere galaktischen Nachbarn scheren, wie grün unser Gras ist? In Anbetracht der Tatsache, dass Sterne wie unser nächster Nachbar, Proxima Centauri b, viel häufiger anzutreffen sind als die Sonne, sind die meisten bewohnbaren Planeten vielleicht mit dunkelrotem Gras bedeckt, das für die Infrarotaugen der meisten Exo-Touristen hübsch aussieht. Daher könnte für interstellare Reisebüros Proxima b ein attraktiveres Urlaubsziel als die Erde sein.

Wenn man einen Raum voller Fremder betritt, sollte man besser nicht gleich losreden, sondern erst einmal lauschen, denn man weiß nie, ob sich dort Prädatoren aufhalten, die einem an den Kragen wollen. Leider haben wir diese Vorsichtsmaßnahme bisher nicht befolgt, denn wir senden seit mehr als einem Jahrhundert Radiowellen ins All aus.

Und wenn es im Umkreis von hundert Lichtjahren technisierte Zivilisationen gibt, die ihren Himmel mit Radioteleskopen ähnlich den unseren überwachen, dann wissen sie vielleicht schon von unserer Existenz. Wir könnten in Zukunft von ihnen hören. Retten könnte uns, dass chemische Raketenantriebe wie die der Voyager- oder New Horizons-Missionen eine Million Jahre brauchen, um hundert Lichtjahre zurückzulegen. Und so dürfen wir vielleicht noch länger gespannt darauf warten, unseren kosmischen Nachbarn zu begegnen.

Doch die Signaturen des Lebens werden nicht ewig währen. Die Aussichten für Leben in der fernen Zukunft sind düster. Die dunklen und kalten Bedingungen, die sich aus der beschleunigten Expansion des Universums ergeben, werden wahrscheinlich in zehn Billionen Jahren alle Lebensformen auslöschen.

Bis dahin können wir die vergänglichen Gaben, mit denen die Natur uns gesegnet hat, in Ehren halten. Unsere Handlungen werden eine Quelle des Stolzes für unsere Nachkommen sein, wenn sie eine Zivilisation aufrechterhalten können, die intelligent genug ist, um über Billionen von Jahren fortzubestehen. Bleibt zu hoffen, dass wir so weise handeln, dass sie uns in ihren Big History-Büchern in guter Erinnerung behalten.

Übersetzung: Christiane Wagler

Avi Loeb ist Gründungsrektor der Black Hole Initiative in Harvard, Leiter des Institute for Theory and Computation am Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics und ehemaliger Lehrstuhlinhaber des Instituts für Astronomie an der Harvard University (2011-2020). Er ist Beiratsvorsitzender des Breakthrough Starshot Projekts und ehemaliges Mitglied des Beratungsgremiums für Wissenschaft und Technik des amerikanischen Präsidenten sowie ehemaliger Vorsitzender des Ausschusses für Physik und Astronomie der Nationalakademien und verfasste den Bestseller "Außerirdisch. Intelligentes Leben jenseits unseres Planeten".

Avi Loeb wird am 16. Juni 2021 um 17:30 Uhr zum Thema "Sterne, Planeten und intelligentes Leben. Der Lebenszyklus galaktischer Zivilisationen" auf dem Kultursymposium Weimar des Goethe-Instituts einen Vortrag halten. Teilnahme: hier.

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