Gesundheitsministerium: Millionen Masken für den Müll?

Eine Milliarde Euro an Steuergeldern verschwendet für unbrauchbare, weil nicht genügend getestete Masken, wird Spahn vorgeworfen. Der sieht nur ein Wahlkampfmanöver

Stimmen die Vorwürfe, die der Spiegel gegen Gesundheitsminister Jens Spahn erhebt, so hat sich dessen Haus einen groben Schnitzer erlaubt. In Kurzform läuft der Vorwurf darauf hinaus, dass Spahns Ministerium eine Milliarde für Müll ausgegeben hat.

Es geht um einen hastigen Großeinkauf von "unbrauchbaren Masken", die, so der Vorwurf, geforderten Sicherheitsstandards nicht entsprechen und nicht sorgfältig genug getestet wurden. Daran schließt sich ein weiterer Vorwurf an: Dass das Gesundheitsministerium versucht habe, einen Teil der Masken in Sonderaktionen an Hartz-IV-Empfänger, Behinderte und Obdachlose abzugeben. Das entrüstet nun den SPD-Vorsitzenden Norbert Walter-Borjans und den Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Ulrich Schneider.

Walter-Borjans legt den Rücktritt Spahns nahe. CDU-Chef Laschet müsse sich der Frage stellen, ob dieses skandalöse Vorgehen von Jens Spahn für eine Partei mit einem christlichen Etikett "noch tragbar ist", so der SPD-Vorsitzende gegenüber der Bild am Sonntag.

Ulrich Schneider bewertete das Vorgehen des Gesundheitsministers als "unfassbar" und "besonders zynisch", weil mit dem Leben und der Gesundheit von Hartz-IV-Beziehenden, Obdachlosen und Menschen mit Behinderung "gespielt" worden sei.

Das Magazin aus Hamburg gelangte an Papiere, die einen Streit zwischen dem CDU geführten Gesundheitsministerium und dem SPD-geführten Arbeitsministerium über den Umgang mit den "Quickie-Masken" offenlegt. Das Gesundheitsministerium soll dem Spiegel-Enthüllungsbericht (hinter einer Zahlschranke) zufolge Hundert Millionen Masken aus China gekauft haben, die "kein europäisches CE-Zeichen hatten".

Für diese sei ein Quickie-Prüfungsverfahren eingeräumt haben, das mit einer Sonderzulassung verbunden war. Das Gesundheitsministerium habe, vertreten durch sein Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), mit dem TÜV vereinbart, sogar die Schnellprüfung noch einmal abzuspecken.

Die georderten Masken wurden dann dem Spiegel zufolge zwar vom TÜV-Nord geprüft - allerdings nur mit einem abgespeckten Verfahren. So sei nicht getestet worden, was mit den Masken passiere, wenn sie 24 Stunden lang 70 Grad ausgesetzt seien, und wie sie sich nach 20 Trageminuten veränderten. Danach habe das Gesundheitsministerium versucht, die Masken unters Volk zu bringen; unter anderem über gesonderte Aktionen an Obdachlose, Menschen mit Behinderung und Grundsicherungsempfänger.

SZ

Die Masken seien gar nicht angeschaut worden, vieles sei nur über den Papierweg gelaufen, so der Spiegel-Bericht. Das Bundesarbeitsministerium unter Hubertus Heil äußerte Einwände.

Am 7. Mai schrieb Heils Staatssekretär Björn Böhning eine Mail an seinen Kollegen Thomas Steffen im Gesundheitsministerium. Es gebe Hinweise aus den Ländern, dass das BfArM eine Menge Masken, etwa aus China, mit einer Sonderzulassung ins Land lasse. Alles "lediglich auf der Grundlage einer Dokumentenprüfung".

Spiegel

Heils Ministerium, das für Maskensicherheit zuständig ist, hatte darüber hinaus "Kenntnis darüber gehabt, dass das BMG Pläne hatte, in der Pandemie in Deutschland nicht zertifizierte Masken an Obdachlose und Grundsicherungsempfänger und in Einrichtungen mit Menschen mit Behinderung zu verteilen." (Die Zeit). Dem habe man widersprochen.

Die Schätzung, wonach insgesamt eine Milliarde Euro für Masken mit fragwürdigen, bzw. unzureichenden Sicherheitsstandards ausgegeben wurde, stammt laut Spiegel vom Arbeitsministerium. Die Zeit berichtet von einer Antwort auf eine kleine Anfrage der Grünen an die Regierung, der zufolge 33 Millionen Euro für Masken ausgegeben wurden, die als "300 Millionen FFP2- und eine Milliarde OP-Masken aus jener Zeit" näher gekennzeichnet werden. Sie sollen im Gesundheitsministerium lagern.

Ihre Weiterverwendung ist unsicher, so der Spiegel-Bericht, weswegen dort steht, dass sie "für den Müll" sind:

Inzwischen sieht der Plan vor, die nutzlosen Masken in der Nationalen Reserve Gesundheitsschutz einzulagern. Von dort sollen sie nur in einem Katastrophenfall ausgegeben werden dürfen. Um sie verschwinden zu lassen, sollen sie nach Erreichen der Verfallszeit vernichtet werden.

Spiegel

Inzwischen versucht Spahn sich aus der Affäre freizuschwimmen. Er wirft der SPD vor, mit dem Vorwurf Wahlkampf zu betreiben und sieht selbst kein skandalträchtiges Vorgehen, die Sicherheitsnormen seien, wenn man nur genau genug hinschaue, doch eingehalten worden.

Die Schutzmasken, um die es in der aktuellen Diskussion gehe, seien "intensiv geprüft worden", gemeinsam mit TÜV Nord und Dekra, zitiert ihn die SZ. Das Gesundheitsministerium geht nach deren Bericht anders als das Arbeitsministerium davon aus, dass die Sache mit dem Infektionsschutz schon passt.

In einem vierseitigen Faktenblatt erläutern Spahns Leute, dass es letztlich um zwei verschiedene Prüfmaßstäbe gehe: für "Corona-Pandemie-Infektionsschutzmasken" (CPI) und für "Corona-Pandemie-Arbeitsschutzmasken" (CPA). Die vom Arbeitsministerium eingeforderte (und ebenfalls abgespeckte) Prüfnorm CPA sei in Sachen Infektionsschutz mit der vom Gesundheitsministerium mitentwickelten Norm CPI "identisch". Alle Schutzmasken mit CPI-Standard gewährleisteten "einen effektiven Infektionsschutz".

Richtig sei, dass auf die "Temperaturkonditionierung" und die "verlängerte Anlegeprüfung" verzichtet worden sei. Beides sei aber nur für den Arbeitsschutz vorgesehen, nicht für den Infektionsschutz.

SZ

Nach dieser Darstellung ist das Arbeitsministerium, weil es auf dem 70-Grad-Test und die verlängerte Gebrauchssimulation bestanden habe, dafür verantwortlich, dass die CPI-Masken in der zweiten und dritten Welle nicht eingesetzt werden konnten, "obwohl sie den Anforderungen des Infektionsschutzes entsprachen". War also alles so superkorrekt und gut wie bei den Spahnschen Versprechungen zum Ablauf der Impfungen? Da bleiben noch Fragen offen.