Belarus: Ein Netzwerk namens "Sieg"

Wer sich bei der neuen Untergrundbewegung registriert, weiß nicht so recht, was auf ihn oder sie wartet. Minsker Prachtstraße bei Nacht. Foto: Viktar Palstsiuk / CC BY-SA 4.0

Die exilierte Oppositionsführerin Tichanowskaja baut offenbar mit ehemaligen Sicherheitskräften eine Untergrundorganisation auf. Ziele und Methoden bleiben nebulös

Die Zeit der großen Straßenproteste in Belarus ist vorbei, die weitgehend exilierte Führung der Oppositionsbewegung wendet sich neuen Taktiken zu. Unter dem Label "Peramoga" soll ein geheimes Netzwerk entstehen, dessen geplante Methoden weitgehend unklar sind. Mit einer Radikalisierung ist zu rechnen.

In Minsk sind die Möglichkeiten von offenen Straßenprotesten der Opposition gegen Alexander Lukaschenko im großen Maßstab nicht mehr gegeben. Ob nur das harte Eingreifen der Sicherheitskräfte oder daneben auch eine Ermüdung angesichts des fehlenden Erfolgs der Großaktionen die Ursache sind, darüber lässt sich nur spekulieren. Eine Rolle spielt sicher, dass sich nach russischen Quellen etwa 500 Protestteilnehmer in belorussischen Gefängnissen befinden. Viele Führungspersonen der Proteste sind ins westliche Ausland - meist Litauen oder Polen - geflüchtet.

Der mysteriöse "Peramoga"-Plan

Die ebenfalls im Exil lebende Oppositionsführerin und Präsidentschaftskandidatin Swetlana Tichanowskaja greift jetzt deshalb mit ihren Unterstützern offensichtlich zu einer anderen Taktik: Der Gründung einer geheimen Volksmiliz, die im weißrussischen Untergrund operieren soll. Die belorussische Opposition sei noch nicht am Ende, so zitiert die Moskauer Nesawisimaja Gaseta einschlägige Experten zu den Oppositionsplänen.

Die gesamte Aktion firmiert unter dem Namen "Peramoga", ein Wort, das im Weißrussischen "Sieg" bedeutet. Was im Rahmen von Peramoga geschehen soll, umschreibt Tichanowskaja selbst nur nebulös. Man wolle gemeinsam die Kräfte effektiv einsetzen und jeder solle die Aufgabe erfüllen, von der die Bewegung zur richtigen Zeit profitieren könne.

Bei Peramoga können sich nun Interessierte anonym registrieren - auf Servern, die außerhalb des Machtbereichs Lukaschenkos stehen. Dem eigenen privaten Umfeld solle man von dieser Registrierung jedoch nichts erzählen. Die Bereitschaft der "Peramogi", wie man die Teilnehmer am Untergrundnetz nennt, für Aktionen soll analysiert und bekannt gegeben werden. Im richtigen Moment - dem des möglichen Umsturzes - will man sie dann aktivieren.

Wie sich das System dabei vor Unterwanderung aus den Kreisen der Sicherheitskräfte Lukaschenkos schützen will, wird aus den Veröffentlichungen nicht ganz klar. Zwar erfährt man bei der Registrierung zunächst nicht, wer aus dem Umfeld ebenfalls Teil des Netzes ist. Jedoch muss diese Anonymität zwangsläufig im Zuge konkreter Aktionen aufgeweicht werden. Die Opposition erstellt zwar Datenbanken über die Mitglieder der Sicherheitskräfte - ob diese vollständig sein können, ist aber zweifelhaft; und so könnten auch deren weniger prominente Mitarbeiter das Netz infiltrieren.

Offiziell wurde die Untergrundbewegung von einem Lage- und Analysezentrum konzipiert. Beteiligt ist mit BYPOL eine Vereinigung früherer Sicherheitskräfte, die im Zuge der Oppositionsproteste von Lukaschenko zu Tichanowskaja übergelaufen sind. Sie hat die "Wiederherstellung der Demokratie unter der Führung der Volksführerin Swetlana Tichanowskaja" zum Ziel - so die Auskunft auf ihrer Webseite. Ganz offen geht es BYPOL auch darum, das Sicherheitssystem Lukaschenkos zu unterwandern und die Keimzelle neuer Sicherheitsorgane einer kommenden "Revolutionsregierung" zu werden. In einer Videobotschaft sprechen BYPOL-Vertreter von einer "militärischen Registrierung" und einer "Mobilmachung" im Rahmen der "Peramoga"-Aktion.

Friedensbekundungen, aber revolutionäre Anklänge

Das alles klingt dann doch nicht mehr unbedingt nur nach friedlichem Protest. Doch alles andere weisen die "Peramoga"-Akteure offiziell von sich. Sie wollten "friedlichem Volksprotest eine Organisationsstruktur geben", heißt es in ihren Online-Veröffentlichungen. Vorsichtig ist jedoch auch von einer "Änderung der Taktik" die Rede, da die bisherigen Protestaktionen kein Ergebnis gebracht hätten. Dabei nähmen die Untergrund-Aktivisten laut der Nesawisimaja Gaseta eine vorübergehende Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage, eine mögliche Inflation oder einen Einkommensrückgang der Bevölkerung in Kauf. Man ist also bereit zu einer subversiven Tätigkeit.

Andere Töne im Rahmen der Peramoga-Bewegung klingen noch mehr nach einem notfalls bewaffneten Kampf und erinnern an Verlautbarungen vor der Russischen Revolution 1917 - ein Vergleich der in Medien des benachbarten Russlands auch gezogen wird. So glaubt der an der Planung beteiligte Politologe Andrei Jegorow, Belarus durchlaufe aktuell "eine Phase der Konterrevolution oder Reaktion innerhalb eines revolutionären Prozesses". Das Regierungssystem könne seiner Meinung nach in diesem Zustand nicht mehr lange existieren, der "zweite Akt des revolutionären Prozesses" stehe bevor. Angesichts eines von früheren Sicherheitskräften geplanten Untergrundnetzwerks und voraussehbaren harten Auseinandersetzungen mit den Sicherheitskräften Lukaschenkos kann man davon ausgehen, dass hier nicht nur zu friedlichen Mitteln gegriffen werden soll.

Belorussischer KGB moniert westliche Finanzierung

Als Gegner der Oppositionsbewegung vermutet der weißrussische KGB-Chef Iwan Tertel in einer kürzlichen Ansprache vor regierungsnahen Parlamentsabgeordneten, dass die Oppositionellen aktuell einen Kampf um westliche Geldmittel führen. Sie hätten bereits große Ressourcen gesammelt, Tertel sprich von "mehreren Hundert Millionen Dollar". Ziel sei nach Einschätzung des Geheimdienstleiters eine "Spaltung der Machtvertikalen", die Abwerbung von Behördenmitarbeitern und die "Provokation von Spannungen". Im Prinzip gleicht seine Lageeinschätzung der der oppositionellen Planer - nur aus der feindlichen Perspektive.

Mit sich zunehmend radikalisierenden Auseinandersetzungen zwischen der weißrussischen Staatsmacht und der Opposition ist in nächster Zeit zu rechnen. Auch die Fronten sind nun klar verteilt: Die Oppositionsführer setzen - anders als direkt nach Lukaschenkos umstrittener Wahl - voll auf die prowestliche Karte. So wie sich Lukaschenko offen an Moskau anbiedert, mit dem er noch vor einem Jahr ein tiefes Zerwürfnis hatte. Die zweite Runde der belorussischen Auseinandersetzungen beginnt - und unabhängig von ihrem Ausgang wird sie radikalisierter ablaufen als die erste.