Corona-Helden fordern Tarifvertrag statt Applaus

Die Pflege siecht schon lange dahin. Hier Proteste 2012 in Berlin. Bild: Frank Eßers, CC BY-NC-SA 2.0

Krankenhauspersonal und Gewerkschaften drängen auf Verbesserungen. In der Pandemie war der Druck weiter erhöht wurden. Nun bläst die Gewerkschaft ver.di zur Gegenoffensive

Die Corona-Krise hat die Probleme des Personalmangels in den Krankenhäusern für jeden sichtbar gemacht. Über 8.000 Unterschriften haben Beschäftigte der Berliner Kliniken des Trägers Vivantes und des Charité-Universitätsklinikums jetzt gesammelt: Sie fordern tarifliche Regelungen.

Ziel ist ein Tarifvertrag mit dem Ziel einer deutlichen Entlastung für die Belegschaft der Berliner Krankenhäuser - mit verbindlichen Vorgaben zur Personalbesetzung. "Die Beschäftigten in der Pflege haben es satt, mit leeren Versprechungen hingehalten und mit Scheinlösungen abgespeist zu werden", sagte ver.di-Bundesvorstandsmitglied Sylvia Bühler.

Auch für die Beschäftigten der Tochterunternehmen von Vivantes in Reinigung, Labor, Essensversorgung oder Patiententransport fordert ver.di mit der Pflegekräfte-Initiative "Berliner Krankenhausbewegung": "Faire Löhne" und den Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes für alle Beschäftigten.

Denn im Servicebereich erhalten manche bis zu 800 Euro weniger im Monat als Tarifangestellte. "Sie haben nicht am Wochenende frei wie letztgenannte. Müssen sie sonnabends und sonntags arbeiten, zählen diese wie normale Werktage", kritisiert Anja Voigt, Betriebsrätin im Vivantes-Klinikum im Berliner Stadtteil Neukölln, die Benachteiligung von Teilen der Belegschaft.

Man arbeite unter erschwerten Rahmenbedingungen, Pflegekräfte seien schwer zu mobilisieren, da sie häufig die Patientinnen und Patienten nicht im Stich lassen wollen. Inzwischen ist "die Stimmung so schlecht, dass es sehr kämpferisch zugeht. Länger als ein Jahr haben wir bis an den Rand der Erschöpfung gearbeitet. Viel wurde versprochen", bemängelt die Betriebsrätin.

Zu Beginn der Corona-Pandemie klatschten selbst Abgeordnete im Bundestag und dankten den Pflegekräften für ihre Arbeit. Die Betroffenen sahen das von Anfang an kritisch. "Bei Politikern, die im Bundestag aufstehen und klatschen, fehlt mir allerdings der zweite Schritt. Von ihnen fordere ich Maßnahmen, die die Bedingungen in der Gesundheitsversorgung verändern", kritisierte die Berliner Kinderkrankenpflegerin Ulla Hedemann, deren Petition "Covid-19-Gesundheitsarbeiter:innen fordern: Menschen vor Profite" von über 150.000 Menschen unterzeichnet wurde.

Ultimatum von 100 Tagen an die Klinikleitungen

"Die Pandemie hat gezeigt, dass nicht die Betten zählen, sondern das Personal, das die Patient:innen versorgt. Mit unserem Kampf für einen Tarifvertrag Entlastung haben wir in diesem Jahr die Chance, unsere Arbeitsbedingungen in Berlin so deutlich zu verbessern, dass unsere Kolleg:innen im Beruf bleiben und sogar bereits Ausgestiegene wieder zurückkommen", sagt Silvia Habekost, Anästhesiepflegefachkraft bei Vivantes.

Die Forderungen der Berliner Beschäftigten sind deutlich: Sollten die Tarifverträge nicht innerhalb der nächsten 100 Tage – also bis zum 20. August – unterschrieben sein, wollen sie mit Streiks beginnen.

"Wo Betriebsräte arbeiten, gemeinsam mit Gewerkschaften, sind die Lohn- und Arbeitsbedingungen und Perspektiven von Beschäftigten in der Regel besser. Und deshalb braucht unser Land mehr Mitbestimmung und nicht weniger", versprach Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) kürzlich während der Diskussion zum Betriebsrätemodernisierungsgesetz im Bundestag. Mehr Rechte für Betriebsräte bei der Personalplanung oder der Schichteinteilung hat das Gesetz nicht gebracht.

Den Beschäftigten bleibt jetzt nur der Kampf um Tarifverträge. Tarifverträge können Rahmenbedingungen für eine gesamte Branche festschreiben. Was sie ermöglichen, zeigen die Kämpfe um "Tarifverträge zur Entlastung" in den Unikliniken Mainz, Jena und Schleswig-Holstein. In den Betrieben wurden vorbildliche Vereinbarungen zu den Arbeitsbedingungen erreicht.

Es gelten tarifliche Mindestbesetzungsstandards, es gibt Schlüssel für die Besetzung einzelner Schichten, die verbindlich durchsetzbar sind und von der Belegschaft kontrolliert werden können. Verdi fordert auch für Berliner Einrichtungen einen "Belastungsausgleich bei Unterbesetzung".

Eine Unterschreitung der verhandelten Besetzung soll automatisch in den Dienstplänen erfasst werden. Alle, die in Unterbesetzung gearbeitet haben, erhalten einen Belastungsausgleich in Freizeit oder Geld. An der Uniklinik Jena erhalten die Beschäftigten für sechs Schichten in Unterbesetzung einen zusätzlichen freien Tag.

Das erhöht den Druck auf die Klinikleitung, sie muss zusätzliches Personal einzustellen oder Betten bzw. OP-Säle zu sperren, wenn nicht genug Personal da ist.