Ohrfeige für Macron: Symptom eines "vergifteten, aggressiven politischen Diskurses"

Eine Ohrfeige für den Imperator? Eins der harmlosen Anti-Macron-Plakate in Paris. Bild (2018): Celette/CC BY-SA 4.0

Das liebste Feindbild der Rechten und Gewalt in Frankreich

Der Dialog mit der Bevölkerung ging schief. Der französische Präsident Macron kassierte eine Ohrfeige, als er gestern auf einer Wahlveranstaltung Hände schütteln wollte. Er ist gut im Festhalten von Händen, wie seinerzeit der überraschte US-Präsident Trump erfahren hatte, diesmal übertölpelte ihn ein Fan von Martial Arts und Mittelalter, mit der einen Hand hielt er Macrons Rechte fest, mit der anderen schlug er ihm blitzschnell ins Gesicht. Eine Demütigung.

Es ist nicht das erste Mal, dass Macron direkte Kontaktversuche mit dem "peuple" misslingen und es ist auch nicht das erste Mal, dass ein Staatsoberhaupt oder ein ranghoher Politiker bei der Annäherung ans Volk mit Gewalt konfrontiert wird, da gibt es auch in Deutschland "Klassiker".

Doch ist die gegenwärtige Situation im Nachbarland speziell. Der Frankreichkenner Nils Minkmar sieht das so: "Die Ohrfeige f(ür) Macron heute ist das Symptom eines bis zum Wahnsinn vergifteten, sehr aggressiven politischen Diskurses in Frankreich. Ernstzunehmen."

Übertrieben? Beispiele für einen sehr aggressiven Diskurs gibt es einige. Etwa das Video von zwei obskuren rechtsextremen Typen, die einer Puppe, die einen Linkswähler darstellt, den Kopf abschießen und sich darüber mokieren. Satire? Es hatte viel Erfolg auf YouTube (100.000 Zugriffe binnen 24 Stunden) und damit auch auf vielen anderen sozialen Webseiten.

"Sympathischer Junge"

Einer erweiterten Öffentlichkeit bekannt gemacht hat das Video der Chef der Linkspartei La France insoumise, Jean-Luc Mélenchon, der dies als gefährlichen Anstiftung zur Gewalt gegen seine Wähler anprangert. Skandalös, dass die französischen Sicherheitsbehörden darauf nicht reagieren, so Mélenchon.

Er war zuvor selbst in die Schlagzeilen geraten - vorgeworfen wird ihm "Verbreitung von Verschwörungstheorien", Mélenchon hat öffentlich seine Mutmaßung geäußert, dass der Wahlkampf nach dem Schema einer scripted reality ("All dies ist im Voraus geschrieben" - "Tout ça, c'est écrit d'avance") ablaufe mit abgekarteten Ereignissen. "Sie werden sehen in der letzten Woche vor der Wahl gibt es noch einen schweren Zwischenfall oder einen Mord, um mit dem Zeigefinger auf die Muslime zu deuten", äußerte Mélenchon und schlug empörte Wellen.

Gewiss keine Verschwörungstheorie ist der Zusammenhang, den Mélenchon zwischen dem Youtuber Papacito, der auf die Linkswählerpuppe schoss, und der extremen Rechten herstellt. Der populäre Rechtsausleger und TV-Berühmtheit Eric Zemmour äußerte in einem Fernsehinterview wörtlich Sympathie für den rechtsextremen Youtuber: "Ich mag Papacito sehr, er ist ein netter und intelligenter Junge."

"Jeder lässt es an seinem 'Feind' aus"

Neben den krassen Beispielen für eine verstärkte Aggression der politischen Auseinandersetzung gibt es auch solche, die von den großen Medien weniger beachtet werden und auf "Nebenschauplätzen" stattfinden, wo sich allerdings auch mehr als nur eine Handvoll Teilnehmer tummeln. So hat sich ein bekannter Anwalt der Gelbwesten, dem moderaten Lager zugehörig, entschlossen, sich von Twitter zu verabschieden, weil der "verbale Austausch" das Maß des Erträglichen schon seit Längerem überspannt hat. François Boulo:

"Jeder lässt seine Wut oder Ängste an seinem "Feind" aus, um die Gefühle zu besänftigen. Es ist ganz einfach: Wir verhalten uns wie Tiere. Und doch sind nur wenige Tiere zu solcher Grausamkeit und dem Wunsch, ihre Mitmenschen zu vernichten, fähig."

Auch vonseiten der Regierung gab es Äußerungen, die zur verbalen Erhitzung führten. Innenminister Darmanin erntete ein großes Echo, als er von "Verwilderten" in Frankreich sprach ("gens ensauvagés", verwilderte Leute), vor allem im rechten Lager gab es viel Zustimmung und ein neues Trigger-Wort.

Dazu kommt eine ganze Serie von Gewalttaten und Geschehnissen mit körperlicher Gewalt, die "innere Sicherheit" zu einem politischen Topthema machen: Angefangen von terroristischen Morden, etwa an den Lehrer Samuel Paty im Oktober 2020, den tödlichen Terrorakten auf Polizisten, Bandenkriegen im Zusammenhang mit Drogen, eine härtere Gangart der Polizei gegen den Drogenhandel bis hin zu Gewaltausschreitungen Jugendlicher, die mit Gereiztheit und Aufbegehren gegen Corona-Maßnahmen erklärt wurden.

Polizeigewalt und Feinbild Macron

Und dann gibt es nicht zuletzt auch die Vorwürfe der Polizeigewalt, die gut dokumentiert sind. Als die französischen Medien gestern mit der Ohrfeige ein großes Thema gefunden hatten, dauerte es nicht lange, bis Tafeln mit den Fotos von schwer verletzten Opfern der Polizeigewalt in die Kameras gehalten wurden - zum Vergleich mit der doch eher symbolischen Ohrfeige.

Dass sich bei solchen Vergleichen ein namhafter Vertreter der Gelbwesten hervortat, ist kein Zufall. Erstens büßte Jérôme Rodrigues als - untätig Beistehender - bei einer Gelbwesten-Demonstration selbst ein Auge durch eine "nicht-tödliche Waffe" der Polizei ein, zweitens wurde das Etikett "Gelbwesten" von der konservativen Zeitung Figaro schnell auf den Mann geklebt, der Macron ohrfeigte und drittens hat sich die Regierung Macron nie auf eine Art zu dieser Gewalt geäußert, die eine Annäherung an das peuple der Gilets jaunes bedeutet hätte. "On ne regrette rien", "nein wir bedauern nichts", lautete die substantielle Botschaft.

Aufseiten der Gelbwesten gab es allerdings auch Elemente der politischen Auseinandersetzung, die einer Eskalation den Wag bahnten. Um etwaige Schnellinterpretationen und Missverständnissen so gut es geht, vorzubeugen: Die Gelbwesten sind eine sehr heterogene Bewegung sind, sie über einen Kamm zu scheren und damit als soziale Bewegung zu diskreditieren, gehört genau zu dem Debattenstil, der Polarisierungen und Feindseligkeiten anstelle einer politischen Auseinandersetzung mit Forderungen, Interessen und Analysen der Machtverhältnisse setzt.

Allerdings wurde das Feindbild Macron, der daran Schuld trägt, dass die Republik kaputtgeht, auch von Äußerungen in sozialen Netzwerken, auf Plakaten, Graffitis deutlich verstärkt, die mit den Gelbwesten-Protesten zusammenhängen.

In einem Interview, das ein französischer Fernsender vor dem Wahlkampfauftritt Macrons in der Provinzstadt, bekannt für ihren guten Wein und Höhepunkte im Mittelalter, mit drei Männern führte, befand sich auch der Mann, der Macron später ohrfeigen sollte. Er sagte nichts, aber einer der beiden Männer in seiner Nähe, die dem Eindruck nach mit ihm bekannt sind, äußerte, dass Frankreich im Niedergang "en declin" sei.

Der Verantwortliche für den Niedergang sei Macron, der ihnen angeblich vorhalte, dass sie keine Kultur hätten. War die Ohrfeige dann Zeichen einer besseren Kultur?

Ein paar Gelbwesten standen, allerdings in größerem Abstand zum Prügelstrafe-Mann in der Menge. Er selbst soll nach Medienangaben kein dezidierter Anhänger der Gelbwesten sein, sondern einer, der sich der ultrarechten, royalistischen französischen Traditionen ("die gute Zeit vor 1789") verbunden fühlt und im Netz sich offenbar gerne in der sogenannten Faschosphäre informiert hat.