SEK-Auflösung in Frankfurt am Main: Verhalten "wie NPD-Stammtische"

So sieht es aus, wenn SEK-Scharfschützen in Stellung gehen (hier 2013 beim Landespolizeifest NRW). Foto: Dirk Vorderstraße / CC BY 2.0

Hessens Innenminister sah sich nach Nazi-Chats von Polizeibeamten genötigt, eine Sondereinheit aufzulösen. Der Linksfraktion reicht das nicht - sie verlangt seinen Rücktritt

Nur wenige Wochen nachdem Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) im Fall der NSU-2.0-Drohschreiben die Entlastung der Polizei verkündet und die Gewerkschaft der Polizei (GDP) eine öffentliche Entschuldigung für den Vorwurf rechtsextremer Umtriebe verlangt hatte, sah Beuth sich gezwungen, das polizeiliche Spezialeinsatzkommando (SEK) Frankfurt am Main aufzulösen. Der Grund sind - Überraschung - rechtsextreme Umtriebe, dokumentiert durch Chat-Nachrichten. Dies gab das Innenministerium am Donnerstag bekannt.

Am Mittwoch dieser Woche seien "nach intensiven zunächst verdeckt geführten Ermittlungen des Hessischen Landeskriminalamtes" (LKA) Straf- und Disziplinarverfahren "gegen mehrere Mitarbeiter und Dienstgruppenleiter des SEK Frankfurt" eröffnet worden.

Zufallsfunde bei Ermittlungen wegen Kinderpornografie

Die Chats sollen überwiegend aus den Jahren 2016 und 2017 stammen und volksverhetzende Inhalte gemäß § 130 StGB sowie Abbildungen verfassungswidriger Organisation gemäß § 86a StGB - in diesem Fall konkret einer Naziorganisation - beinhalten, wie das LKA mitteilte. Letzteres sprach am Mittwochmorgen noch von Ermittlungen "gegen 20 männliche Personen, darunter 19 aktive Polizeibeamte und ein ehemaliger Polizist, im Alter von 29 bis 54 Jahren". Ursprünglich sei gegen einen 38-Jährigen wegen eines Kinderporno-Verdachts ermittelt worden. Die Nazi-Chatnachrichten waren demnach Zufallsfunde. Bei der Auswertung der Mobiltelefone des Beschuldigten waren laut LKA mehrere Chatgruppen und weitere Teilnehmer identifiziert worden, die andere strafrechtlich relevante Inhalte ausgetauscht hatten.

"Einige möglicherweise auch strafbewehrte Text- oder Bildnachrichten in den Chats legen den Verdacht einer rechtsextremen Gesinnung einiger Mitglieder des SEK Frankfurt nahe", so das Innenministerium. Ermittelt wird demnach gegen 18 aktive und einen ehemaligen Beamten. Drei Dienstgruppenleitern werde Strafvereitelung im Amt vorgeworfen, da sie in den Chatgruppen "die potenziell strafbewehrten Inhalte" unkommentiert wahrgenommen hätten und nicht eingeschritten seien. Beuth kündigte am Donnerstag einen "fundamentalen Neustart für das SEK" an:

Das inakzeptable Fehlverhalten gleich mehrerer Mitarbeiter sowie das Wegsehen unmittelbarer Vorgesetzter im SEK Frankfurt hat dessen komplette Auflösung nötig gemacht.

(Hessens Innenminister Peter Beuth, CDU)

Zahlreiche Spezialkräfte hätten sich aber nichts zuschulden kommen lassen und würden "ihrer wichtigen Tätigkeit künftig in neuen Strukturen nachgehen". Ein Expertenstab um Stefan Müller, Polizeipräsident des Polizeipräsidiums Westhessen, werde nun die Fehlentwicklungen analysieren und einen Vorschlag zur Neustrukturierung des SEK erarbeiten.

Janine Wissler, Fraktionschefin der Partei Die Linke im hessischen Landtag und selbst Empfängerin eines NSU-2.0-Drohschreibens, reicht das nicht als Konsequenz aus einer ganzen Reihe von Vorkommnissen dieser Art. Aus ihrer Sicht ist mit der Festnahme des mutmaßlichen Verfassers in Anfang Mai in Berlin noch lange nicht geklärt, wie der Erwerbslose an gesperrte Meldedaten von Betroffenen dieser Serie von Todesdrohungen gekommen war - und ob nicht doch aktive Polizeibeamte beteiligt waren. Nachweislich waren Daten von Empfängerinnen kurz vor dem Versand in hessischen Polizeirevieren abgefragt worden. Beuth hatte dagegen den Eindruck erweckt, die gesamte Polizei sei automatisch entlastet, weil der Mann, den eine "Cyber Unit" des LKA als Absender identifizieren konnte, nicht selbst Polizist war.

"Einen Neuanfang muss es nicht nur im SEK, sondern vor allem endlich im Innenministerium geben", erklärte Wissler am Donnerstagnachmittag und verlangte damit Beuths Rücktritt:

Es stellt ein Sicherheitsrisiko dar, wenn in der Polizei über Jahre hinweg Waffen entwendet und verkauft werden und wenn militärisch trainierte Sondereinheiten sich wie NPD-Stammtische verhalten. Das Gewaltmonopol, der Zugriff auf Waffen, Sprengstoffe und hochsensible Daten muss vor Nazis geschützt sein, nicht umgekehrt. Die Verantwortung dafür trägt der Innenminister. Er sollte endlich seinen Hut nehmen.

(Janine Wissler, Vorsitzende der Fraktion Die Linke im Hessischen Landtag)

Im März war bekannt geworden, dass aus der Asservatenkammer des Frankfurter Polizeipräsidiums beschlagnahmte Waffen verschwunden waren - gestohlen beziehungsweise unterschlagen von einem 41-jährigen Beamten, der sie verkauft haben soll. Seit August 2020 lief gegen den Mann bereits ein Disziplinarverfahren, wegen des Verdachts auf Geheimnisverrat. Er soll Daten von Polizeicomputern für die private Sicherheitsfirma Asgaard in Nordrhein-Westfalen abgerufen haben, für die er im Irak im Einsatz gewesen sei. Nach Recherchen des Spiegel sympathisierten führende Mitarbeiter des Unternehmens stark mit Nazi-Ideologie und ließen sich mit entsprechenden Devotionalien ablichten. Ein Zusammenhang mit dem Datenleck in Sachen NSU 2.0 war aber bei den internen Ermittlungen der hessischen Polizei erst einmal ausgeschlossen worden.