Vom Wissenschaftsjournalismus emotional überfordert

Corona-Pandemie führt zu Informationsmüdigkeit

Der Bedarf an Wissenschafts- und speziell Gesundheitsjournalismus ist im Verlauf der Corona-Pandemie deutlich gesunken. Das ist das Ergebnis einer Auswertung von In-ternetnutzerzahlen des Klickbarometers Wissenschaftsjournalismus. Der Auswertung zugrunde lagen bereinigte Online-Mediendaten, die von der Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern e. V. (IVW.de) der Sparte Wissenschaft zugeordnet werden.

Zu Beginn der pandemischen Ausbreitung des bis dahin unbekannten Virus im März 2020 hatte der Bedarf an wissenschafts- wie auch gesundheitsjournalistischen Webangeboten noch deutlich zugenommen (siehe Abbildung).

Im Bereich Wissenschaft waren die Klickzahlen (Page Impressions, PI) zunächst von monatlich 70 Millionen im Dezember 2019 auf 117,8 Millionen im März 2020 gestiegen. Dies entspricht einem Zuwachs von 68,3 Prozent.

Die Nutzung von speziell gesundheitsjournalistischen Webseiten erhöhte sich im selben Zeitraum sogar von 63,2 auf 170,5 Millionen PI. Das ist mehr als eine Verdoppelung, beziehungsweise ein Plus von 107,8 Prozent.

Während der beiden folgenden Pandemiewellen reduzierten sich die Webseitenbesuche jedoch deutlich.

Im Bereich der gesundheitsjournalistischen Angebote erreichte die Zahl der PIs nach einem Tief im September 2020 (78,9 Millionen) am Ende der zweiten Pandemiewelle im Januar 2021 nur noch einen Höchstpunkt von 120,7 Millionen Klicks. Gegenüber dem Klimax der ersten Pandemiewelle ist das ein Rückgang von rund 30 Prozent.

Während der dritten Pandemiewelle lag das Maximum lediglich bei 110,4 Millionen Page Impressions. Gegenüber dem Klickmaximum vom März 2020 bedeutet dies sogar einen Rückgang von 35 Prozent.

Weniger Interesse auch an Wissenschaftsjournalismus

Auch der Wissenschaftsjournalismus verlor im Verlauf der Pandemie deutlich an Relevanz. Hatte es auf dem Höhepunkt der ersten Corona-Welle noch rund 118 Millionen Besuche von wissenschaftsjournalistischen Webseiten gegeben, so betrug die Zahl der PIs auf dem Höhepunkt der zweiten Corona-Welle nur noch 92 Millionen.

Während der dritten Pandemiewelle gab es keinen Anstieg der Klickzahlen mehr, die Zahl der Besuche von Wissenschaftswebseiten sank stattdessen kontinuierlich auf nur noch 80 Millionen.

Der Rückgang der Page Impressions ist umso bemerkenswerter, als das Infektionsgeschehen während der zweiten und dritten Pandemiewelle noch einmal deutlich an Dynamik gewann. So stieg die Zahl der Infizierten gegenüber der ersten Welle um das Vier- (März 2021) bzw. Fünffache (November 2020).

Auch die Berichte über neue, gefährlichere Virenmutanten und die mit dem Anstieg der Infektionszahlen einhergehende Zunahme von Todesfällen sorgten in der Bevölkerung für eine anhaltend stabile Bedrohungslage, wie eine Studie der Uni Erfurt ergab.

Dass die Zahl der Besuche von gesundheits- und wissenschaftsjournalistischen Webseiten im Verlauf der Monate trotz der unverändert unklaren Pandemielage sank, kann mit einer gewachsenen Informationsmüdigkeit erklärt werden, ein in Deutschland bislang unbekanntes Phänomen.

Informationsmüdigkeit greift, wenn der User selbst betroffen ist

Damit Informationsmüdigkeit entstehen kann, sind besondere Bedingungen nötig. Hierzu gehört ein größeres Ausmaß an persönlicher Betroffenheit. Der Medienkonsum löse nach Angaben Hildesheimer Forscher insbesondere dann "in einem höheren Maße Unwohlsein" aus, wenn es um die eigene "physische oder mentale Gesundheit" gehe.

Dies sei der Fall, wenn "die Nachrichten überwiegend negativ sind und die Gesamtlage gleichzeitig für die oder den individuellen Nutzer wenig beeinflussbar ist". In dieser Situation entstehe eine emotionale Überforderung, zu deren Bewältigung dann die Mediennutzung zurückgefahren werde.

Zudem entstehe Informationsmüdigkeit insbesondere bei der Nutzung des Internets, wo die "Kapazität für die Aufmerksamkeit auf Informationen begrenzt ist und dazu neigt, sich schnell zu erschöpfen", analysierte die Technikphilosophin Livinia Marin.

Dass sich das recht stabile Bedrohungsgefühl negativ auf die Informationssuche auswirkte, bestätigt eine Studie der Uni Hildesheim. Ein Teil der Befragten berichtete den Forschenden von den negativen Auswirkungen des Überangebots an Information: "Die Teilnehmer berichteten, dass sie mit der Menge an Informationen überfordert waren, was nach einer Phase intensiver Mediennutzung zu einem Rückgang der Informationssuche führte."

Stefan Matysiak betreibt die Seite Klickbarometer Wissenschaftsjournalismus.

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