Lokführer mit dem Rücken zur Wand: GDL bereitet Streiks vor

Mehr als 90 Prozent der organisierten Lokführer sind bereit, die Räder stillstehen zu lassen, schätzt GDL-Chef Weselsky. Foto: Kevin Prince / CC-BY-SA-2.0

Boni für Manager, Nullrunde für systemrelevante Kräfte? Das will sich die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer nicht gefallen lassen

Die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) bläst zur Attacke. Nach dem am 7. Juni offiziell verkündeten Scheitern der Tarifverhandlungen mit der Deutschen Bahn gab die Gewerkschaft am Donnerstag in Berlin bekannt, dass sie Anfang Juli die Urabstimmung unter ihren Mitgliedern über Arbeitskampfmaßnahmen einleiten wird.

Am 9. August soll das Ergebnis der Auszählung bekannt gegeben werden. Unmittelbar danach könnten Streiks beginnen. Der GDL-Vorsitzende Claus Weselsky rechnet mit einer Zustimmung von mehr als 90 Prozent, denn "bei den Kollegen kocht es". Während sich die Manager "in den Teppichetagen" im kommenden Jahr wieder Boni mit einem Gesamtvolumen von 220 Millionen Euro gönnen wollen, sollen die Lokführer, Zugbegleiter, Fahrdienstleiter, Werkstatt- und Netzmitarbeiter, "die den Betrieb während der Corona-Krise zu 100 Prozent am Laufen hielten" mit einer Nullrunde für 2021 und weiteren Reallohnverlusten in den kommenden Jahren "belohnt" werden.

Bahn verlangt massive Einschnitte

Ferner wehrt sich die GDL gegen Forderungen des Konzerns, die Schichtpläne "flexibler" zu gestalten und den Anteil kurzfristig eingeteilter Schichten auf bis zu 40 Prozent zu erhöhen. Damit würden die in zähen Auseinandersetzungen erkämpften Fortschritte bei der Schichtplanung für die Kollegen mit einem Schlag zunichtegemacht, so Weselsky. Auf dem "Wunschzettel" der Arbeitgeber stünden zudem Einschnitte bei der betrieblichen Altersversorgung. "Das ist mit uns nicht zu machen", bekräftigte der GDL-Vorsitzende. Das Management habe jetzt Zeit, um bis zum Ende der Urabstimmung ein verhandlungsfähiges Angebot vorzulegen. Geschehe dies nicht, sei man für einen intensiven Arbeitskampf "bestens gerüstet".

Die Gewerkschaft hatte während der Tarifverhandlungen ihre Ausgangsforderungen bereits beträchtlich reduziert und verlangt nun einen Tarifabschluss, der sich am Ergebnis für den öffentlichen Dienst orientiert. Der sieht eine mehrstufige Lohnerhöhung vor: 1,4 Prozent ab April 2021 und weitere 1,8 Prozent ab April 2022 sowie eine einmalige Corona-Beihilfe von 600 Euro.

Tarifeinheitsgesetz erschwert Arbeitskämpfe

Auf Warnstreiks will die GDL diesmal verzichten, denn "wir müssen niemandem beweisen, dass wir streikfähig sind", so Weselsky. Außerdem wolle man juristischen Scharmützeln aus dem Weg gehen, denn die DB hat bereits angekündigt, gegen mögliche Warnstreiks mit einstweiligen Verfügungen vorzugehen. Hintergrund ist das Tarifeinheitsgesetz, das der in einem Betrieb jeweils mitgliederstärksten Gewerkschaft die Tarifhoheit einräumt und das jetzt erstmals bei der Bahn zur Anwendung kommen soll. Und mit der konkurrierenden Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) hat die Bahn bereits einen Tarifvertrag abgeschlossen.

Doch der Konzern besteht aus unzähligen Einzelbetrieben, und die jeweiligen Mehrheitsverhältnisse sind bislang nicht abschließend geklärt. Nach einer Urabstimmung habe man eine deutlich stärkere Rechtsposition, gibt sich Weselsky überzeugt. Zumal man in den vergangenen Monaten einen erheblichen Mitgliederzuwachs verzeichnet habe, auch in Berufsgruppen, die die GDL bislang nicht vertreten hat, wie etwa Fahrdienstleiter, Werkstatt- und Netzmitarbeiter.

Das macht auch die Dimension dieses Tarifkonflikts deutlich. Denn es geht nicht nur um ein paar Lohnprozente und eine Einmalzahlung, sondern um die Existenz dieser kämpferischen Spartengewerkschaft. Ihr soll ein von der Bahn mit der EVG vereinbartes Lohndiktat aufgezwungen werden. Würde die GDL dies akzeptieren, hätte sie auf einen Schlag den Kredit verspielt, den sie in vielen Jahren erfolgreicher Tarifpolitik bei den Beschäftigten der von ihr vertretenen Berufsgruppen erworben hat.

Bahnstreiks sind unpopulär - aber notwendig

Aber Streiks bei der Bahn? Ausgerechnet in der Sommerreisezeit in einer ersten Phase der Normalisierung des Reiseverkehrs nach langen Monaten der Corona-Restriktionen? Ja, ausgerechnet jetzt, denn die GDL steht mit dem Rücken zur Wand und hat faktisch keine andere Möglichkeit, als diese Auseinandersetzung mit dem DB-Management in aller gebotenen Härte zu führen. Dieser Kampf um eine angemessene Lohnerhöhung gerade in einem systemrelevanten Arbeitsbereich könnte ferner auch eine Ermutigung für andere Berufsgruppen wie etwa das Pflegepersonal in Krankenhäusern sein. Der GDL wird jetzt viel Unverständnis, bis hin zu Wut und Hass entgegenschlagen. Doch sie verdient volle Solidarität. Denn es geht auch um ein deutliches Zeichen gegen alle Versuche, die Corona-Krise für den Abbau von Lohn- und Sozialstandards zu missbrauchen.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.