Karl Lauterbachs persönliche Impfkampagne

Bild: Dim Hou/Unsplash

"Durchseuchung" zu riskant: SPD-Politiker schießt gegen die ständige Impfkommission und pocht obsessiv auf Notwendigkeit der Impfung von Jugendlichen ab 12 Jahren

Die Ständige Impfkommission (Stiko) ist in Deutschland maßgeblich für Impfempfehlungen und sie ist ein unabhängiges Expertengremium. Bislang hat sie keine generelle Impfempfehlung für Kinder und Jugendliche ab 12 Jahren abgegeben. Empfohlen wird eine Covid-19-Impfung lediglich "als Indikationsimpfung für Kinder und Jugendliche im Alter von 12-17 Jahren, die aufgrund von Vorerkrankungen ein erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf der Covid-19-Erkrankung haben".

Das beschäftigt Karl Lauterbach. Der Gesundheitspolitiker der SPD drängt darauf, dass die Stiko ihre eingeschränkte Empfehlung "überdenkt". In Großbritannien seien "bereits viele Kinder mit Covid in der Klinik". Das Argument der Ständigen Impfkommission, wonach Covid für Kinder harmlos sei, gilt seiner Ansicht nach nicht für die Delta-Variante.

Der Ansicht Lauterbachs fehlt allerdings eine solide wissenschaftliche Basis. Zwar zeigt sich, dass die Delta-Variante auch unter Kindern ansteckender ist als die Vorgänger. Aber die Einschätzung, ob sie maßgeblich zu schwereren Krankheitsverläufen bei Kindern führt, ist auch unter Experten noch strittig.

Die britische Impfausschuss (Joint Committee on Vaccination and Immunisation, JCVI) hat sich ebenfalls noch nicht zu einer allgemeinen Impfempfehlung für 12- bis 17-Jährige entschlossen. Stand der Dinge ist noch immer, dass die Empfehlung für eine Impfkampagne für diese Altersgruppe als wenig wahrscheinlich gilt ("Es ist eine schwierige Entscheidung").

"Das Leiden in dieser Zeit mit diesen ganzen Meinungsäußerungen"

Die Stiko handelt nach einer klaren Vorgabe:

Wenn die Kinder und Jugendlichen ein sehr geringes Krankheitsrisiko haben, dann müssen wir auch verdammt sicher mit der Impfung sein.

Thomas Mertens, Vorsitzender der Stiko

Bereits ein Dutzend Fälle ernsthafter Nebenwirkungen bei Kindern stelle die ganze Impfung in Frage, so Mertens in einem Interview am 13. Juni. Man brauche noch Studien. Ergebnisse aus anderen Ländern seien nicht so ohne Weiteres übertragbar ("Nun ist aber die Situation in den USA bei den Kindern eine ganz andere, allein schon, wenn Sie die Häufigkeit des metabolischen Syndroms betrachten").

Schon zu diesem Zeitpunkt hatte Karl Lauterbach vor einer drohenden Riesen-Infektionswelle bei den Kindern im Herbst gewarnt, falls diese nicht geimpft würden. Mertens war von der Aussage nicht besonders angetan: "Das ist das Leiden in dieser Zeit mit diesen ganzen Meinungsäußerungen."

Man müsse das wirklich sehr genau betrachten, warnte der Stiko-Chef: "Wenn das Krankheitsrisiko für die Kinder gering ist und es noch ungeimpfte Erwachsene gibt, dann müssen wir erst einmal die impfen, um weitere relevante Infektionswellen zu verhindern."

Für Lauterbach steht dagegen fest: Keine Impfung für Kinder unter 12, aber die Ü-12 müssen in die Impfkampagne integriert werden. Lauterbach hat dieses Mantra zu einer Art Kampagne gemacht. Wenn es nach ihm ginge, hätten Kinder ein unkompliziertes Impfangebot bekommen, hieß es am 17. Juni. Am 19. twitterte er:

Wenn Kindern Impfstoff angeboten würde wäre ein erneutes Schuljahr mit Wechselunterricht und Maske vermeidbar. Auf jeden Fall ist die Infektion mit der Delta Variante für Kinder gefährlicher als die Impfung mit BionTech.

Karl Lauterbach

Beinahe täglich folgten dann weitere Sticheleien in die immer gleiche Richtung:

Delta Variante ist nur ein großes Risiko für die Ungeimpften, leider somit auch die Kinder. Für vollständig Geimpfte ist ein wirklich schwerer Verlauf eine Seltenheit. Daher werden wir dringend Impfkampagnen machen müssen.

Karl Lauterbach

Noch ist die Äußerung des Covid-Meinungsmarathonmanns wissenschaftlich nicht abgedeckt. Eine Impfkampagne für Kinder sei im Moment verfrüht, so Johannes Hübner, Spezialist für Kinder- und Jugendmedizin, FA Mikrobiologie und Infektionsepidemiologie, stellvertretender LMU-Klinikleiter.

Er verweist auf aktuell niedrige Inzidenzen, bisher sehr wenig Daten bezüglich Nebenwirkungen und den bisher unzureichenden Schutz deutscher und internationaler Risikogruppen bei weiterhin bestehender Impfstoff-Knappheit.

Darüber hinaus verlinkt Hübner auf eine aktuelle Einschätzung, die im medizinischen Fachjournal BMJ erschienen ist und Bedenken gegen eine Impfkampagne für Kinder äußert: Im Moment für die meisten Kinder in den meisten Ländern schwer zu rechtfertigen.

Auch Lauterbach hält das BMJ Editorial für "sehr lesenswert", teilt aber "diese Sicht nicht". Seine Kampagne wird weitergehen. Vielen Eltern macht er damit sicherlich Angst.