Temperaturziel 1,5 Grad

Je knapper die Zeit wird, um die Temperaturziele des Pariser Weltklimaabkommens zu erreichen, desto mehr rücken technische Lösungsansätze in den Blick. Chancen oder eher Risiken?

Hatte man vor vielen Jahren noch die Idee, den Klimawandel durch Verhaltensänderungen der Bevölkerung zu bremsen, so zeigt sich inzwischen, dass die Hoffnungen auf Einsicht äußerst begrenzt sind, nicht zuletzt, weil eine laute Minderheit jeden anthropogenen Klimawandel bestreitet und eine schweigende Mehrheit zu träge ist, ihr Verhalten zu ändern.

Deutschland stellt zwar nur ein Prozent der Weltbevölkerung, steht jedoch für zwei Prozent des Energiebedarfs, was zudem deutlich geschönt ist, weil viele energieintensive Prozesse in den vergangenen Jahrzehnten ausgelagert wurden und deren Produkte nicht mehr der deutschen Statistik zugerechnet werden.

Das sollte man berücksichtigen, wenn man China beschuldigt, einen steigenden Anteil am CO2-Ausstoß zu haben. Man sollte zudem berücksichtigen, welche Auswirkungen ein deutsches Vorbild für die Politik anderer Länder vorwiegend in Asien haben kann, wo Vorbilder mehr bewirken als Argumente.

CO2-Zertifikate im erneuten Anlauf

Die Idee, den CO2-Ausstoß zu bepreisen ist keinesfalls neu, sondern kam schon in den 1960er-Jahren in die Diskussion. Am Markt eingeführt ist das Europäische Emissionshandelssystem EU-ETS seit 2005. Da die Zertifikate zu Beginn kostenlos verteilt wurden, besaß das System kaum Lenkungsfunktionen. Es betrifft alle großen Anlagen zur Erzeugung von Strom und Wärme. Außerdem müssen auch große Industrieanlagen wie Stahlwerke, Raffinerien und Zementwerke Berechtigungen für ihre Emissionen vorweisen, in der EU insgesamt etwa 11.000 Anlagen davon 2000 in Deutschland.

Ein hoher CO2-Preis beschleunigt den marktgetriebenen Kohleausstieg, weil Kohlekraftwerke kaum noch wettbewerbsfähig sind. Seit 2012 sind auch einige hundert Luftfahrzeugbetreiber in ganz Europa emissionshandelspflichtig. Im Luftverkehr hatte sich die Teilnahme am Emissionshandel kaum preistreibend ausgewirkt. Die Einschränkung durch die Coronamaßnahmen waren für die Luftfahrbranche zuletzt bedrohlicher.

Ab 2021 gibt es in Deutschland darüber hinaus ein ergänzendes nationales Emissionshandelssystem für beinahe alle übrigen CO2-Emissionen, die durch Verbrennung fossiler Energieträger wie Kohle, Öl und Gas entstehen. Damit wird auch im Straßenverkehr und beim Heizen ein CO2-Preis angesetzt. Die Pflicht zur Abgabe von Emissionsberechtigungen liegt bei den sogenannten "Inverkehrbringern", also bei den Unternehmen, die Diesel, Benzin und vergleichbare Produkte erstmals in Deutschland verkaufen.

Seit der CO2-Ausstoß einen Preis hat und die Zertifikate nicht kostenlos abgegeben werden, wird seine Reduzierung wirtschaftlich interessant. In einer Übergangszeit wird man damit rechnen müssen, dass die Kosten für CO2 auf die Produktpreise aufgeschlagen werden, was die Inflation anheizen könnte und somit vorwiegend den ärmeren Teil der Bevölkerung treffen würde.

Auf der anderen Seite könnte die Technik-Entwicklung forciert werden. Neben einer CO2-Reduzierung durch Effizienzsteigerung rückt hier auch die Frage "Wie kommt das Treibhausgas raus aus der Atmosphäre?" in den Blick. Den Treibhausgasausstoß schnell in Richtung Null zu drücken, wird nicht ausreichen, um die Temperatur-Ziele des Pariser Weltklimaabkommens zeitgerecht zu erreichen. Dies bringt das Thema "negative Emissionen" auf die Tagesordnung.

Zum Thema CO2-Abscheidung aus der Luft hat das Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC) Anfang des Monats eine Arbeit unter dem Titel "Wissensstand zu CO2-Entnahmen veröffentlicht, die einen Überblick über die derzeit denkbaren Möglichkeiten bieten will, wie man CO2 aus der Atmosphäre bekommt, wenn die umsetzbaren Einsparungen offensichtlich nicht ausreichend sind.

Zu den angeführten Maßnahmen zählen die Aufforstung, die im Zusammenhang mit der Beseitigung der Hitzeschäden der vergangenen Jahre jedoch nur schwer einen zusätzlichen Effekt bewirken kann. Mehr Potential mit bis zu 5 Gigatonnen pro Jahr versprechen hier Bioenergie-Plantagen, deren Produkte verbrannt und dabei das entstehende CO2 abgeschieden und gespeichert werden kann.

Bei der angesprochenen Ozeanalkalisierung sollen zerkleinerter Mineralien zum Erhöhen von pH-Wert und CO2-Aufnahme in die Ozeane gegeben werden. Hinsichtlich der möglichen Nebenwirkungen einer großskaligen Ozeanalkalisierung und beschleunigten Verwitterung sind jedoch noch viele Forschungsfragen offen. Das MCC stellt daher fest, dass mehr Ressourcen für Forschung und insbesondere Feldexperimente gebraucht würden.

Weitere Optionen sieht man in einer beschleunigten Verwitterung durch Zugabe von Mineralien auf Landflächen und im Anreichern von Kohlenstoff auf Äckern durch Zufügen von Biokohle sowie eine veränderte Landwirtschaft mit weniger Pflügen und mehr Anpflanzen von Bodendeckern. Mögliche negative Nebenwirkungen sind bislang noch weniger gut verstanden.

Dazu zählt die Frage, ob es zu Verunreinigungen von Grund und Boden zum Beispiel durch Schwermetalle im Gestein kommen kann. Luftfilter-Anlagen ermöglichen eine Direktabscheidung von CO2 mithilfe chemischer Prozesse. Über Luftfilter oder Bioenergie-Plantagen entnommenes CO2 könnte unterirdisch in geologischen Formationen deponiert werden. Dafür hält man leer gepumpten Erdgas-Lagerstätten onshore und auch offshore für geeignet.

Möglich sei auch eine Mineralisierung des CO2, also die dauerhafte Fixierung in bestimmten Gesteinen. Alle Optionen sin jedoch mit hohen Unsicherheiten behaftet; zudem limitieren sich die Optionen zum Teil gegenseitig. Man kann die einzelnen Potentiale daher nicht einfach addieren. Zumindest als Nischenlösung sieht man auch Potentiale in der industriellen CO2-Nutzung als Ausgangsstoff für Industrieprozesse wie der Produktion von Harnstoff sowie bestimmten Kunst- oder auch Kraftstoffen.

Weitere technische Optionen, um den Klimawandel einzubremsen

Es gibt neben der CO2-Abscheidung noch weitere technische Vorschläge wie die Geschwindigkeit des Klimawandels reduziert werden könnte. Dazu zählt das sogenannte Solar-Geoengineering, womit man die Erde kühlen will.

Ob man sich dabei einen Vulkanausbruch zunutze machen soll, der wie der am 15. Juni 1991 erfolgte Ausbruch des Pinatubo-Vulkans auf den Philippinen tonnenweise Asche und Gas in die Atmosphäre bläst und diese Aerosole mehr Sonnenlicht ins All als unter normalen Bedingungen reflektieren und somit die Atmosphäre in den auf den Ausbruch folgenden Monaten um etwa ein halbes Grad Celsius reduzierten, ist angesichts der möglichen Kollateralschäden zumindest fragwürdig.

Dies gilt wohl auch für eine Injektion von Schwefel-Aerosolen in die Stratosphäre. Ähnlich verwegen erscheint der Vorschlag die Erde zu kühlen, indem man große Teile des Meeres mit künstlichem Schaum bedeckt. Das "Ocean foaming" oder "Microbubbles" bezeichnet Verfahren.

Die Folgen, welche riesige Mengen an Schaum auf dem Wasser für Ökosysteme im Meer haben würden, sind bislang noch völlig unklar. Die konkreten Auswirkungen auf das Klima sowie lokale Wetterereignisse wären zudem nur sehr schwer kontrollierbar. Vergleichsweise unproblematisch erscheint da die Idee, Städte weitestgehend weiß einzufärben, auch wenn dies nach jedem Wolkenbruch wohl erneuert werden müsste.

Was sich auf jeden Fall zur Verbesserung des Makroklimas in Städte eignet, ist die Anlage ausgedehnter Grünzonen. In Bangkok senken die städtischen Parks die lokalen Temperaturen um gut und gerne fünf Grad Celsius.

Als aktuelle analoge Sommerlektüre zum Thema Klima bietet sich übrigens die Mitte Juli in dritter Auflage erscheinende "kurze Geschichte des Klimas von Karl-Heinz Ludwig an