Youtube-Sperren: "Im Regelfall gegen kritische Auseinandersetzung"

Telepolis-Autorin Gaby Weber hatte vor sechs Jahren Fehler in einer ARD-Produktion nachgewiesen. Nun wurde ihr Faktencheck-Film zeitweise gesperrt. Wie konnte es dazu kommen?

Sechs Jahre lang stand die filmische Gegenrecherche zu einem Doku-Drama der ARD online, rund 70.000-mal hatten User den Streifen der deutsch-argentinischen Journalistin Gaby Weber auf Youtube gesehen. Dann wurde er, so hieß es in einer E-Mail-Auskunft der Videoplattform, auf Antrag einer Produktionsfirma der ARD von dem einen auf den anderen Tag für Zugriffe aus Deutschland, Österreich und der Schweiz gesperrt.

Weber habe geistige Eigentumsrechte der Studio Hamburg GmbH verletzt, hieß es darin knapp, einem Tochterunternehmen der NDR Media GmbH.

Solche Sperrungen werden täglich wohl unzählige Male vorgenommen, seit das neue Urheberrecht Plattformen wie Youtube in erweiterte Haftung nimmt.

Doch Weber, die auch für Telepolis schreibt, wollte die Löschung ihres Videos nicht akzeptieren und erwirkte nach einem Tag die erneute Freischaltung. Der Streifen DESINFORMATION – Ein Lehrstück über die erwünschte Geschichte setzte sich schließlich just mit Falschdarstellungen einer ARD-Produktion auseinander, dem Doku-Drama Eichmanns Ende aus dem Jahr 2010.

Weber befasst sich seit Jahren mit der Geschichte des Nazi-Kriegsverbrechers Adolf Eichmann und hat mehrfach auf Freigabe von Geheimdienstakten geklagt. Der ARD-Produktion, die sich ebenfalls mit der Flucht Eichmanns nach Argentinien befasst, konnte sie zahlreiche Fehler nachweisen.

Erzählt wird in dem Doku-Drama etwa eine Liebesgeschichte des Eichmann-Sohns Klaus mit Silvia Hermann, der Tochter des Holocaust-Überlebenden Lothar Hermann. Tatsächlich war Silvia Hermann zu diesem Zeitpunkt gerade einmal zwölf Jahre alt und nicht, wie im Film behauptet, 16 oder 17 Jahre. Weber fand zudem heraus, dass die ARD-Produktion Zitate Eichmanns aus den sogenannten Sassen-Interviews verfälscht wiedergegeben hatte. Grund dafür war offenbar auch, dass die Filmemacher eine ungesicherte Quelle verwendet hatten – und nicht die originalen Manuskripte, die noch in BND-Archiven lagen und auf deren Freigabe Weber damals geklagt hatte.

Automatische Sperrung oder Vorsatz?

Nachdem ihre Hinweise an die Kolleginnen und Kollegen des öffentlich-rechtlichen Fernsehens ungehört verhallten und das Doku-Drama mit eklatanten und vor allem unnötigen Fehldarstellungen ausgestrahlt worden war, machte sich Weber an die spendenfinanzierte Gegenrecherche.

Für ihren Faktencheck-Film nutzte sie Auszüge aus der ARD-Produktion – in begrenztem Umfang und ihren Angaben zufolge nach Rücksprache mit ihrem Medienanwalt. Dass die journalistische Arbeit nach Jahren dennoch aus dem Netz entfernt werden sollte, ist eine gravierende Folge des neuen Urheberrechtes, das, wie der Fall zeigt, Missbrauch begünstigt.

"Ich habe nichts dagegen, dass Autorenrechte im Netz geprüft und geschützt werden. Aber jetzt haben NDR und Co die Möglichkeit, per Knopfdruck unangenehme Inhalte löschen zu lassen", sagte Weber gegenüber Telepolis. Das geschehe ohne eine unabhängige Instanz und ohne Zutun der Justiz, auch bekämen die Betroffenen keine Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Journalistin vermutet, dass der NDR ihre Kritik an "Fake News und konstruiertem Geheimdienst-Journalismus" beseitigen wollte.

Der Justiziar der NDR-Tochter Studio Hamburg, Sebastian Noack, spricht hingegen von einem "rein technischen Vorgang", der auf das seit Jahren etablierte Content-ID-Verfahren von Youtube beruhe.

Dabei handelt es sich um einen automatisierten Vorgang, in dessen Verlauf Videos anhand von Referenzdateien erkannt und zuordnet werden. Reicht ein Rechteinhaber sein Material ein, werden alle hochgeladenen Videos mit den entsprechenden Inhalten verglichen. "Nachdem man uns auf die daraus resultierende und nicht beabsichtigte Sperrung des Films von Frau Weber hingewiesen hat, haben wir diese unverzüglich manuell aufgehoben", sagt Noack.

Der Youtube-Kanal, in dem Eichmanns Ende hochgeladen wurde, existiere seit Ende März 2019. Das Doku-Drama sei dort erst seit dem 28.02.2020 gelistet. "Wir hatten bislang vergessen, den gesamten Channel durch Content-ID zu schützen", erklärte Noack. Dies sei erst am Montag der vergangenen Woche geschehen. Dem 21. Juni also, dem Tag, an dem Webers Film gesperrt wurde.

Mögliches neues Instrument der Zensur

Ob Vorsatz oder nicht – diese Frage soll nun juristisch geklärt werden. Weber und ihr Anwalt Raphael Thomas fordern von der Hamburger Produktionsfirma eine Unterlassungserklärung und "Auskunft darüber, wie es zu der Sperrmitteilung gekommen ist". Dazu wolle man auch etwaige Korrespondenz zwischen Studio Hamburg oder Subunternehmen sowie Youtube einsehen.

Weber und Thomas sehen den Fall als Politikum. "Das neue Urheberrecht mit der erweiterten Haftung von Plattformen wie Youtube erleichtert es Inhabern von urheberrechtlich geschütztem Content, die kritische Auseinandersetzung mit ihren Werken zu erschweren", sagt der Medienrechtler Thomas. Eine solche Auseinandersetzung aber sei grundsätzlich vom Zitatrecht nach § 51 UrhG erlaubt.

"Die rechtlichen Voraussetzungen von § 51 UrhG sind aber ungemein kompliziert und für ein automatisiertes Verfahren, wie es von Youtube zur Verfügung gestellt wird, unmöglich zu beantworten", führte Thomas im Telepolis-Gespräch aus. Da Youtube und andere Plattformen nicht die Kapazitäten hätten, die Voraussetzungen des Zitatrechts zu prüfen, würden sich die Plattformen aufgrund der drohenden Haftung künftig im Regelfall eher für die Sperrung und damit gegen die kritische Auseinandersetzung entscheiden. "Das ist eine bedenkliche Entwicklung", findet Thomas.

Tatsächlich könnte die gutgemeinte Stärkung des Urheberrechtes missbraucht werden, um unter dem Deckmantel des Schutzes geistigen Eigentums inhaltliche oder gar politische Fehden auszutragen. "In meinem Fall hat sich der NDR jahrelang darüber geärgert, dass jeder, der im Internet nach dem Machwerk Eichmanns Ende sucht, auch auf meinen Film stößt", meint Filmemacherin Weber.

Die Auseinandersetzung findet vor dem Hintergrund verschärfter Sperr-Maßnahmen bei Youtube statt. Seit Wochen nimmt die Videoplattform Kanäle von Usern offline, "die die von der Regierung durchgesetzten Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus als unverhältnismäßig kritisieren", schreibt der Branchendienst ZDNet. Nach den Portalen KenFM, Rubikon und anderen sei "von den Zensurmaßnahmen des US-Konzerns auch ein ZDF-Video mit Professor Schrappe von der Universität Köln betroffen".