Baerbock-Buch: Plagiat oder kostenpflichtige Version frei zugänglichen Materials?

Annalena Baerbock ist eine viel beschäftigte Frau. Vielleicht steht in ihrem Buch deshalb nicht viel Neues. Aber ist es deshalb gleich ein Plagiat? Foto: © Stefan Kaminski / CC BY-SA 4.0

Die Kanzlerkandidatin der Grünen steht erneut in der Kritik. Ihre Parteifreunde sprechen von "Rufmord"

Dem österreichischen "Plagiatsjäger" Stefan Weber kann man jedenfalls nicht vorwerfen, es speziell auf die Grünen abgesehen zu haben. Bevor sich der Medienwissenschaftler und Gutachter das Buch der grünen Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock vornahm, befasste er sich auch mit Elaboraten von Politikern der österreichischen Volkspartei ÖVP und bezeichnete unter anderem die Doktorarbeit des CDU-Politikers und früheren deutschen Bundestagspräsidenten Norbert Lammert als Plagiat. Allerdings teilte die zuständige Ruhr-Universiät Bochum seinen Vorwurf nicht, stellte bei der Prüfung lediglich "vermeidbare Schwächen in den Zitatationen" fest und stellte das Verfahren ein.

In anderen Fällen war Weber erfolgreicher. Seine Auftraggeber wollen ihm gegenüber meist anonym bleiben, wie er 2011 in einem Interview mit der Zeit erklärte. Sie dürften aber aus unterschiedlichen politischen Lagern stammen.

In Baerbocks Buch "Jetzt. Wie wir unser Land erneuern" hat Weber mehrere verdächtige Stellen gefunden, die etwa Veröffentlichungen der Bundeszentrale für politische Bildung oder Passagen eines Artikels in der Zeitschrift Internationale Politik frappierend ähneln.

Keinerlei Quellenangaben

In seinem "Blog für wissenschaftliche Redlichkeit" stellt Weber klar, dass ihm in diesem Fall der Unterschied zu einer Doktorarbeit bewusst ist: "Ein Sachbuch einer Politikerin im Ullstein-Verlag ist keine Dissertation." In Baerbocks Buch würden auch überhaupt keine Quellen angegeben. Beides sei aber "noch lange keine Legitimation für schwerwiegende Textplagiate".

Als Beispiel hierfür nennt er unter anderem eine Passage auf Seite 174. Dort heißt es über die EU-Osterweiterung im Jahr 2004: "Die EU wuchs von 15 auf 25 Mitglieder - und begrüßte damit rund 75 Millionen neue Unionsbürger*innen." Die Bundeszentrale für politische Bildung hatte den Satz lediglich anders gegendert: "Die EU wuchs von 15 auf 25 Mitglieder - und begrüßte damit rund 75 Millionen neue Unionsbürgerinnen und -bürger."

Auf Seite 219 hat Weber folgende Passage zum Thema Klimawandel geprüft:

Die Betrachtung des Klimawandels als "Bedrohungsmultiplikator", der Rohstoff- und Gesellschaftskonflikte verschärfen kann, ist seither zu einem Eckpfeiler in der Strategie des Pentagon geworden. Seine Conclusio: Je fragiler ein Staat ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass er besonders stark unter den Folgeerscheinungen der Erderwärmung leiden wird - also unter inneren Konflikten, humanitären Katastrophen und Migration. Das daraus entstehende Chaos könnte wiederum zu neuen Herausforderungen für das US-Militär führen, sei es durch humanitäre Hilfseinsätze oder Interventionen im Ausland.

(Annelena Baerbock: "Jetzt. Wie wir unser Land erneuern")

In der Zeitschrift Internationale Politik hatte deren Autor Michael T. Klare bereits im Jahr 2019 geschrieben:

Das Konzept des Klimawandels als "Bedrohungsmultiplikator", der Rohstoff- und Gesellschaftskonflikte in Entwicklungsländern verschärfen kann, ist seither zu einem Eckpfeiler in der Strategie des Pentagons geworden. Je gespaltener und korrupter ein Staat ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass er besonders stark unter den Folgeerscheinungen der Erderwärmung leiden wird - also unter inneren Konflikten, humanitären Katastrophen und Massenmigration. Das daraus entstehende Chaos könnte wiederum zu neuen Herausforderungen für das US-Militär führen, sei es durch humanitäre Hilfseinsätze oder militärische Interventionen im Ausland.

(Michael T. Klare, "Kriegstreiber Klimawandel", Internationale Politik 5-2019)

Für Weber ein klarer Fall. Auch aus Wikipedia-Artikeln soll sich Baerbock bedient haben.

Die Grünen ließen am Diensttag durch einen Sprecher erklären, es handle sich um allgemein zugängliche Fakten und bekannte Positionen der Grünen - die Plagiatsvorwürfe seien daher ein "Versuch von Rufmord".

Die Parteizentrale verschickte zudem eine Stellungnahme des Medienanwalts Christian Schertz, in der "nicht im Ansatz eine Urheberrechtsverletzung erkennen" konnte, "da es sich bei den wenigen in Bezug genommenen Passagen um nichts anderes handelt, als um die Wiedergabe allgemein bekannter Fakten sowie politischer Ansichten". Nachrichten und historische Tatsachen seien nicht urheberrechtsschutzfähig, dies gelte auch für allgemein bekannte Erkenntnisse im Zusammenhang mit Ökologie und Umwelt. "Diese sind sogenannte public domain. Der Vorwurf entbehrt damit jeglicher Grundlage. Es ist offenbar erneut der Versuch einer Kampagne zum Nachteil von Frau Baerbock".

Unfreundlicher formuliert hieße das: Ein juristisch angreifbares Plagiat liegt hier nicht vor, aber einige Informationen und Thesen, die in diesem käuflich erwerbbaren Buch mit dem Cover-Foto von Frau Baerbock stehen, gibt es auch kostenlos im Internet und an Infoständen der Grünen. Lassen Sie sich von den paar persönlichen Anekdoten, mit denen das Werk angereichert ist, überraschen.