Europa auf dem Weg in die Katastrophe

Nach dem Lockdown ein Blackout? (Teil 1)

Abstract

Das europäische Stromversorgungssystem befindet sich in einem fundamentalen Umbruch. Was aus klimaschutzpolitischer Sicht unverzichtbar ist, führt durch eine nicht systemische Vorgangsweise zu einer immer größer werdenden Fragilität des Verbundsystems. Statt fundiertes Grundlagenwissen bestimmen Einzelinteressen, Ignoranz, Wunschvorstellungen und Aktionismus die Vorgangsweise, was in der größten Katastrophe nach dem Zweiten Weltkrieg enden könnte.

Noch haben wir die Möglichkeit, diesen fatalen Pfad zu verlassen. Dazu wäre aber ein rasches und entschlossenes politisches Handeln erforderlich, das derzeit nicht erkennbar ist. Insbesondere in Deutschland, wo das durch den bevorstehenden Wahlkampf noch weniger zu erwarten ist.

So müsste umgehend ein systemischer Umbau des europäischen Stromversorgungssystems in robuste Energiezellen in die Wege geleitet werden, um die sich abzeichnende Störanfälligkeit zu reduzieren. Technisch wäre das kein Problem, da das notwendige Wissen vorhanden ist und dieser Umbau im laufenden Betrieb erfolgen könnte.

Die größte Hürde stellt unser bisher erfolgreiches großtechnisches Denken dar, das durch ein komplementäres Komplexitäts- und vernetztes Denken ergänzt und zur Maxime gemacht werden müsste. Dazu sind jedoch entsprechende Rahmenbedingungen erforderlich. Der derzeitige Weg geht aber in die gegengesetzte Richtung, in die Zentralisierung, womit aber ein zunehmend komplexer werdendes System nicht beherrschbar ist.

Die Stromversorgung ist unsere wichtigste Lebensader, ohne der unsere moderne Gesellschaft binnen weniger Tage zerstört werden könnte. Das sollten wir verhindern.

Executive Summary

Das Österreichische Bundesheer sowie die Österreichische Gesellschaft für Krisenvorsorge (GfKV) rechnen binnen der nächsten fünf Jahre mit einem europaweiten Strom-, Infrastruktur- sowie Versorgungsausfall ("Blackout").

Besonders entscheidend sind hierfür die Entwicklungen in Deutschland, wo in den nächsten Monaten rund 20 GW gesicherte Leistung (acht GW Atom und zwölf GW Kohle) vom Netz gehen sollen. Bereits im Januar 2021 mussten nach der ersten Teilabschaltung (~ fünf GW) nach wenigen Tagen Kraftwerke, die stillgelegt werden sollten, wieder reaktiviert und zum Teil in den Hot-Stand-by-Modus versetzt werden.

Deutschland setzt derzeit den Zweiten vor dem ersten Schritt, indem systemrelevante Elemente entfernt werden, ohne gleichwertige Ersatzlösungen zur Verfügung zu stellen. Besonders kritisch wirkt sich das bei der systemkritischen Momentanreserve (der rotierenden Masse der Generatoren) aus, da diese bisher kaum in den Sicherheitsbetrachtungen eingeflossen sind.

Der deutsche Bundesrechnungshof kritisiert im März 2021: "Die Annahmen des BMWi für die Bewertung der Dimension Versorgungssicherheit am Strommarkt sind zum Teil unrealistisch oder durch aktuelle politische und wirtschaftliche Entwicklungen überholt. Zur Bewertung der Dimension Versorgungssicherheit am Strommarkt hat das BMWi kein Szenario untersucht, in dem mehrere absehbare Risiken zusammentreffen, die die Versorgungssicherheit gefährden können."

Besonders gravierend stellt sich die Speicherproblematik dar, ohne welche die steigende Volatilität in der Erzeugung durch die neuen Erneuerbaren nicht beherrschbar ist. Dabei müssen mehrere Zeitdimensionen, von inhärent (Momentanreserve) bis saisonal berücksichtigt werden. In Deutschland gibt es derzeit eine Speicherkapazität von rund 40 GWh (Österreich 3.300 GWh), bei einem gleichzeitigen Verbrauch von rund 1.500 GWh pro Tag!

In den letzten Jahren wurden in den meisten Ländern bisherige Kraftwerksüberkapazitäten stark reduziert.

Hinzu kommt, dass der Infrastrukturumbau (Netze, Speicher, Betriebsmittel) nicht mit der Geschwindigkeit der Abschaltungen bzw. den neuen Kraftwerksstandorten mithalten kann und um Jahre verzögert ist.

Bisher funktioniert das noch, weil Deutschland wie Österreich im gesamteuropäischen Verbundsystem (ENTSO-E) mit 36 Ländern eingebunden ist. Damit konnte bisher die Systemstabilität aufrechterhalten werden. Mitgehangen bedeutet jedoch auch mitgefangen und alle gehen gemeinsam unter, sollte etwas schiefgehen.

Am 8. Januar 2021 kam es zur bisher zweitschwersten Großstörung im europäischen Verbundsystem, welche wahrscheinlich durch zwei wesentliche Faktoren ausgelöst wurde: die reduzierte Verfügbarkeit von Momentanreserven und ein großflächiger Stromtransport (Stromhandel) vom Balken Richtung iberische Halbinsel.

Der Stromhandel soll gem. EU-Vorgabe bis 2025 massiv ausgeweitet werden. Gem. Vorgabe müssen bis 2025 mindestens 70 Prozent der Grenzkuppelstellen für den Stromhandel zur Verfügung gestellt werden, was ein Vielfaches der heutigen Praxis darstellt. Dafür wurde die Infrastruktur jedoch nie ausgelegt. Was im Alltag zu einer Optimierung führt, schafft gleichzeitig eine steigende Verwundbarkeit, da sich Störungen wesentlich rascher und flächiger ausbreiten können.

Das europäische Verbundsystem gehorcht nur einfachen physikalischen Gesetzen. Werden diese ignoriert _ was derzeit in vielen Bereichen passiert – droht ein Systemkollaps mit katastrophalen Auswirkungen, da derzeit niemand weiß, wie lange es dauern könnte, bis dieses System wieder hochgefahren werden kann. Ganz abgesehen von den unvorstellbaren Kaskadeneffekten und langwierigen Wiederanlaufzeiten in vielen anderen Bereichen. Damit drohen längerfristige und schwere Versorgungsunterbrechungen und -engpässe, auf die unsere Just-in-Time-Gesellschaft überhaupt nicht vorbereitet ist.

Für eine erfolgreiche Energiewende ist ein systemischer und koordinierter Systemumbau ("Energiezellensystem") im gesamten Verbundsystem erforderlich. Bisher dominieren jedoch Einzelinteressen, nationale Alleingänge und Wunschvorstellungen die Vorgangsweise, welche absehbar in Europa in die größte Katastrophe nach dem Zweiten Weltkrieg führen!