China lernt schnell und radikal

Das große Ziel vom Wohlstands-Sozialismus wurde nie aufgegeben: Chinas "Große Halle des Volkes" in Beijing. Foto: Thomas.fanghaenel / Picasa 2.6 / CC-BY-SA-3.0

100 Jahre Kommunistische Partei Chinas: Beobachtungen eines Nichthistorikers und Nichtmarxisten zu China. Ein Essay (Teil 3)

Wenn ein Land diesen Strukturwandel, die Quadraturen aller Kreise, vor denen die Welt heute steht - Wohlstand und Stabilität bei Inklusion, gerechter Verteilung und Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen - bewältigen kann, dann, so sieht es heute aus, hat China hier die besten Karten. Die inzwischen gängigen Angst- und Beißreflexe im Westen sind da völlig kontraproduktiv. Der Präsident der europäischen Handelskammer in China, Jörg Wuttke, zeigt in Interviews die richtige Einstellung, die bei uns zu Hause noch weitgehend (oder: immer mehr?) fehlt: Nehmt China und die chinesischen Unternehmen als positive Herausforderung, sie sind ein perfektes "Fitness-Programm" für unsere Unternehmen - und auch für unser System, ist man geneigt zu ergänzen, wenn der Gedanke denn reformerisch umzusetzen wäre.

Nachhaltiger Wohlstand durch Neue Seidenstraßen-Initiative

Unternehmen wie BMW, Siemens, Bosch haben das längst kapiert. Die dicken Hosen im Politzirkus nicht. Sie müssen ihre Diäten ja auch nicht selbst verdienen. Aber alleingelassen würde auch China scheitern. Das hat das Land erkannt und geht deshalb in die Welt mit neuen Vernetzungen. Mit rund fünf Milliarden Menschen im "Belt and Road"-Aufbruch dürfte, wie es aussieht, und wie etwa die Boston University (GDAE/GDPC) zweiwöchentlich dokumentiert, einiges von dem bewegt werden, wofür die westlichen Fridays-for-Future-Kids auf die Straße gehen.

Die Neuen Seidenstraßen werden mehr Wohlstand bringen, so wie es die alten Seidenstraßen bereits taten, die den Hansestädten über eine Kooperation mit den gotländischen Händlern und mit den "Reusen" in Nowgorod Zugang zur Nordroute der alten Seidenstraßen verschafften und damit Zugang zu den Luxusgütern Chinas, die so hochbegehrt waren im europäischen Mittelalter. Die chinesische Belt and Road Initiative (BRI), in Deutschland als "Neue Seidenstraßen-Initiative" bekannt, ist heute das meistbeforschte sowie bestdokumentierte und -evaluierte Großprojekt der Welt, und seine Ökobilanz und Ökofinanzierung sind auf bestem Wege.

Afrika zum Beispiel wird erstmals ernsthaft und resilient industrialisiert, die AIIB (Asian Infrastructure Investment-Bank) macht es möglich, ohne die politischen Bedingungen und Vorschriften von Weltbank und IWF. Ein Gegenpol zu Hegemonialismus und Monopolarität.

Den Zug des Kalten Krieges 2.0 stoppen!

So gesehen wäre es an der Zeit, den Zug des Kalten Krieges 2.0 zu stoppen und endlich anzufangen, über neue internationale Kooperation statt Konfrontation nachzudenken. China beweist seit Jahrzehnten, dass es multipolar denkt und handelt, und die Geschichte ganz Südostasiens beweist dies. Die singapurischen Wissenschaftler und Diplomaten Parag Khanna und Kishore Mahbubani reden sich, an die Wessis gerichtet, den Mund fusselig darüber: Kapiert doch endlich, dass wir - und auch China - anders ticken als ihr!

Aber wir können es auch weiter so laufen lassen: Dass für UNDP, UNEP, UNESCO, für Entwicklungs-NGOs sowie afrikanische, lateinamerikanische und muslimische Länder, für die UN-Hochkommissare für Flüchtlinge, Menschenrechte und Minderheiten China zu einem attraktiven dynamischen Pol wird und China höchstes Ansehen (und Abstimmungssiege) in der UNO genießt. Und dass wir dies alles und die zahlreichen Reiseberichte internationaler Diplomaten aus Xinjiang ignorieren. Wann kommen wir heraus aus unserer pseudo-offensiven, in Wirklichkeit jedoch defensiven Haltung? Wann bieten die deutschen Manager in China endlich Crashkurse für wildgewordene deutsche und EU-Parlamentarier an?

Aus Anlass der Corona-Pandemie hat China übrigens schon 77 der ärmsten Partnerländer ein Schuldenmoratorium beziehungsweise Schuldenerlass gewährt. In den Jahren 2000 bis 2019 hat es nach Studien der Boston University den ärmsten Ländern Afrikas mindestens 3,4 Milliarden US-Dollar Schulden erlassen und etwa 15 Milliarden umgeschuldet. Dabei wurde auf vertraglich vereinbarte Strafzinsen verzichtet, ebenso wie auf die im Westen üblichen Vermögensbeschlagnahmen wegen Zins- oder Tilgungsverzuges.

Die noch rund drei Billionen US-Dollar Währungsreserven Chinas werden produktiv recycelt, über ein internationales Bankensystem Chinas, das geschätzt die BRI auf ein Investitionsvolumen von 20 Billionen US-Dollar hebeln kann. USA, passt auf, eure Wall Street ist längst nicht mehr das alleinige Mekka allen Überschuss-Finanzkapitals der Welt!

Nur böse Absichten?

Nach westlich-dominanter Lesart tut China all das nur, um die Weltherrschaft zu erlangen und uns in eine Diktatur zu zerren. Wer etwas Positives über dieses Land zu sagen wagt, soll plötzlich missbrauchtes Instrument der chinesischen KP sein, ohne es zu merken!? So lancieren es inzwischen die westlichen Geheimdienste und die willfährige Presse. Danke für das Kompliment an unseren Intelligenzquotienten! Und für die schleichende Wegnahme unserer eigenen Entscheidungsfähigkeit. Die Reichsschrifttumskammer lässt grüßen.

Das alles etwa unter der Regie einer kommunistischen Partei mit einem zukunftsträchtigen Entwicklungskonzept? Das ist in unserer alten europäischen ideologischen Käseglocke so unmöglich wie nur was! Alle Ideologien, die wir uns über die Jahrzehnte so ausgedacht hatten und die mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion und dem Eintritt Chinas als "Marktwirtschaft" in die WTO noch eine letzte große Bestätigung zu erfahren schienen, Konvergenztheorien in allen Schattierungen, sind inzwischen mit Pauken und Trompeten gescheitert.