Atomkrieg: "Deutschland wäre strategisches Ziel"

Voraussichtliche Zerstörung beim Einschlag einer russischen SS-25 mit 800 Kilotonnen in Büchel. Bild: nuclearsecrecy.com/nukemap/

Über 80 Prozent der Deutschen ist gegen Nuklearwaffen und fordert deren Abzug aus Deutschland, so auch der Bundestag. Weshalb liegen in der Eifel dennoch US-Atombomben zum Einsatz bereit?

In kaum einem Politikbereich handelt die Bundesregierung so widersprüchlich wie in ihrer Haltung zur Verbreitung atomarer Waffen. Während sich das Auswärtige Amt unter Leitung von Minister Heiko Maas einerseits für die nukleare Abrüstung einsetzt, verteidigt der SPD-Politiker die Stationierung US-amerikanischer Atombomben in Deutschland.

Sie sollen im Zuge der nuklearen Teilhabe der Nato im Konfliktfall von deutschen Tornados ins Ziel gebracht werden. Ein solcher Einsatz aber wäre nicht nur völkerrechtlich fragwürdig, sondern stünde auch im Widerspruch zu internen Regelungen der Bundeswehr.

Zerstörungsradien bei der Explosion einer SS-25 in deutschen Hauptstädten (16 Bilder)

Voraussichtliche Zerstörung beim Einschlag einer russischen SS-25 mit 800 Kilotonnen in Kiel. Bild: Screenshot Nukemap. Eine ausführliche Legende zu den Zerstörungsradien finden Sie hier.

Obwohl die große Mehrheit der Deutschen diese militärische Strategie kritisch sieht, hält die Bundesregierung an der nuklearen Teilhabe fest. Und nicht nur das: Sie ignoriert weiterhin einen fraktionsübergreifenden Beschluss des Deutschen Bundestags.

Die dortigen Fraktionen hatten sich vor bereits elf Jahren auf einen Abzug der US-Atombomben von Fliegerhorst Büchel im rheinland-pfälzischen Teil der Eifel geeinigt.

Weil der Beschluss bis heute nicht umgesetzt worden ist, blockierten Friedensaktivisten in der vergangenen Woche die Zugänge zu der Luftwaffenbasis in Büchel. "Die Existenz von Atomwaffen bedroht die Menschheit. Nachhaltigen Schutz zukünftiger Generationen bietet nur eine atomwaffenfreie Welt.

Deutschland als wichtiges Nato-Mitglied hat dabei eine Schlüsselrolle. Darauf haben wir mit unserer Aktion aufmerksam gemacht", unterstreicht Maria, Aktivistin aus Lüneburg.

Telepolis sprach mit Dr. med. Lars Pohlmeier, dem Co-Vorsitzenden der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges (IPPNW) über die Hintergründe der Aktion.

Einsatzentscheidung weder demokratisch noch revidierbar

Herr Pohlmeier, eine deutschsprachige Nachrichtenagentur hat binnen weniger Wochen mit zwei recht unterschiedlichen Überschriften über die deutsche Position zu Atomwaffen berichtet. "Maas warnt vor ‚fatalen Folgen‘ der nuklearen Aufrüstung", hieß es Anfang Januar, "Maas verteidigt deutsche Beteiligung an atomarer Abschreckung" Anfang Juli. Wie passt das zusammen?

Lars Pohlmeier: Diesen Widerspruch müsste Herr Maas erklären. Aus unserer Sicht ist die atomare Abschreckung selbst zentraler Teil der von Minister Maas beschriebenen "fatalen Folgen" atomarer Hochrüstung: Vergeudung immenser materieller und intellektueller Ressourcen, Klimaschäden allein durch die Vorbereitung von Krieg und das unkalkulierbare Risiko einer gewollten oder auch unfallbedingten atomaren Katastrophe mit zumindest regionalen, wenn nicht globalen Folgen.

Aktivist:innen haben diese Woche die Zugänge zum Fliegerhorst Büchel in Rheinland-Pfalz blockiert, auf dem US-Atomwaffen vorgehalten werden. Die Bundesregierung gibt an, dies geschehe zu unserem Schutz. Stimmt das?

Lars Pohlmeier: US-General Lee Butler hat es nach seiner Pensionierung als ehemaliger Leiter der US-Strategic Command als "Glück und Gottes Führung" bezeichnet, dass es zwischen Warschauer Pakt und Nato nicht zu einer atomaren Eskalation gekommen ist. Ein schlechteres Zeugnis kann man dem Konzept, Atomwaffen würden uns schützen, nicht ausstellen. Hinzu kommt, dass Deutschland mit der Lagerung der US-Atomwaffen zu einem strategischen Ziel im Falle eines atomaren Konflikts werden würde.

Der Bundestag hat vor elf Jahren den Abzug der US-Atombomben aus Deutschland gefordert, zuletzt sprachen sind 93 Prozent der Deutschen für ein völkerrechtliches Verbot von Kernwaffen aus; 85 Prozent für einen Abzug der nuklearen Sprengköpfe aus Büchel. Was bedeutet es für Demokratie und Rechtsstaat, dass all das übergangen wird?

Lars Pohlmeier: Atomwaffen sind unvereinbar mit einem demokratischen Gemeinwesen. Entscheidungen müssen revidierbar sein. Welcher - meistens männliche - Politiker kann wirklich verantworten, Waffen einzusetzen, die zur totalen Vernichtung führen? Rechtlich werden wir seit Jahrzehnten mit juristischen Taschenspielertricks betrogen: In Deutschland als Nicht-Atomwaffen-Staat sind Atomwaffen stationiert und würden letztlich auch von deutschen Soldaten eingesetzt werden.

Räumung von Demonstranten bei Blockade von Fliegerhorst Büchel, 9. Juli 2021. Foto: Lara-Marie Krauße, IPPNW

Trotz der genannten Umfragewerte waren an der Protestaktion in Büchel nur 50 Aktivist:innen beteiligt. Der Friedensbewegung fehlt die Durchsetzungskraft, wie es scheint.

Lars Pohlmeier: Trotz der Corona-Pandemie sind über die Woche insgesamt fast 140 Menschen nach Büchel gekommen. Das ist ein Erfolg unter den derzeitigen Bedingungen. Am Freitag wurden mehrere Tore über Stunden friedlich blockiert durch insgesamt 50 Personen - damit haben wir ein Zeichen gesetzt und werden den Protest auch weiterhin in die Öffentlichkeit tragen. Jedes Jahr erreichen wir neue Menschen, darunter auch viele junge Leute.

Problem der Zentralisierung von Macht in der UNO

Die nukleare Abrüstung war auch ein zentrales Projekt von Heiko Maas während der deutschen Präsidentschaft des UN-Sicherheitsrates. Was hat diese Regierung erreicht?

Lars Pohlmeier: Der deutsche Vorsitz fiel mit der Trump-Präsidentschaft zusammen. Da waren die Bedingungen besonders schwierig. Zugleich aber zeigt dieses Dilemma ein strukturelles Problem der UN. Wir müssen wegkommen davon, die Geschicke der Welt von wesentlichen Veto-Ländern und Atomwaffenstaaten im UN-Sicherheitsrat bestimmen zu lassen. An diesem Emanzipationsprozess kann sich auch Deutschland erfolgreich beteiligen. Das muss politisch aber auch gewollt werden.

Die Bundesregierung verteidigt weiterhin den Nichtverbreitungsvertrag, nicht aber den jüngeren und weitergehenden Atomwaffenverbotsvertrag (AVV). Mit welchen Konsequenzen?

Lars Pohlmeier:Nato und Bundesregierung konstruieren einen Widerspruch zwischen diesen Verträgen, der nicht besteht. Der Nichtverbreitungsvertrag beinhaltet bereits völkerrechtlich die Verpflichtung sogar zur Abschaffung der Atomwaffen. Leider regelt er dafür nicht den konkreten Mechanismus. Der neue Atomwaffenverbotsvertrag schafft hier konkrete Regelungen bis hin zur Unvereinbarkeit von Finanzierungen durch Banken für Atomwaffenprojekte und die Notwendigkeit der Entschädigung von Opfern und ist somit Teil einer notwendigen Ergänzung.

Der AVV ist Anfang dieses Jahres gegen die Position der Nato-Mitgliedsstaaten – mit Ausnahme der Niederlande – in Kraft getreten. Wer treibt die Abschaffung dieser Massenvernichtungswaffen heute voran?

Lars Pohlmeier: Das Vertragswerk ist das wunderbare Ergebnis von konstruktiver Zusammenarbeit engagierter und gutwilliger Regierungen, für die beispielhaft Österreich und Mexiko genannt werden können. Dazu kam die Expertise vom Internationalen Roten Kreuz und Nicht-Regierungsorganisationen wie der IPPNW, die wir beratend an den Verhandlungen beteiligt waren. Unterstützt wurden wir von globalen Netzwerken wie der ICAN-Kampagne …

… also der Internationalen Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen.

Lars Pohlmeier: Sie konnte in wichtigen Momenten Gegenöffentlichkeit schaffen; angefangen von Kommunen und Städten. Ich bin der Überzeugung, dass der Druck für die Abschaffung der Atomwaffen wirklich "von unten" kommt.

Und was bedeutet das für Deutschlands Rolle in der Welt

Lars Pohlmeier: Die Bundesregierung kann und muss viel mutiger innerhalb der NATO und als Brückenbauer mit Russland und aus China agieren. Den Atomwaffenverbotsvertrag als UN-Vertrag zu unterzeichnen ist keine politische Träumerei in Deutschland: Für mich ist es eine Selbstverständlichkeit.

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