Im 1990er-Jahre Duden gibt es zwar das Wort "Starkbier", nicht jedoch den Begriff "Starkregen"

Hochwasser im Rhein bei Geisenheim, Juli 2021. Foto: Gerda Arendt/CC BY-SA 4.0

Oder: Das menschengemachte Hochwasser, die Heuchelei der Herren Laschet, Steinmeier & Söder und die unzureichende Klimapolitik der Grünen

Vier Tage - Donnerstag bis Sonntag: Dutzende Stunden mit Berichterstattung über das Hochwasser und seine Folgen - fünf Tote, fünfzig Tote, hundertfünfzig Tote… Sondersendungen am laufenden Band. Interviews mit Betroffenen. Äußerungen von Betroffenheit. Immer wieder die gleichen Bemühungen, durch spezifische Wortschöpfungen die Exklusivität der Ereignisse hervorzuheben: Die Rede ist von einem "Jahrhunderthochwasser", von einer "Extremwetterlage".

Am stärksten vertreten der Begriff "Starkregen". Im Duden der 1990er-Jahre gibt es zwar das Wort "Starkbier", nicht jedoch den Begriff "Starkregen". Dabei kam es natürlich auch in den 1990er-Jahren und davor zu Hochwasser in Folge von starken Regenfällen; die deutsche Sprache erfasste auch die Realität. Doch zur Flankierung der in diesem Beitrag beschriebenen Heuchelei sind Begriffe wie die genannten hilfreich.1

Und dann gibt es in der aktuellen Berichterstattung hundertfach Formulierungen der Art: Mit so etwas habe man "wirklich nicht rechnen" können. Was besonders deutlich mit dem Begriff "Jahrhundertkatastrophe" unterstrichen wird. Im Übrigen, so Söder, Laschet, Scholz und Steinmeier, werde man jetzt forciert Klimaschutzpolitik machen. Der bayerische Ministerpräsident fordert, "jetzt einen vorausschauenden Klimaschutz zu betreiben". Womit er indirekt einräumt, dass Klimaschutz im Deutschland bestenfalls Nachtrabpolitik war.

Besonders offensiv argumentiert hier NRW-Ministerpräsident Armin Laschet, der "mehr Tempo beim Klimaschutz" fordert und unterstreicht: "NRW ist das Land, das hier am meisten tut." Kein anderes Land habe ein solch vorbildliches "Klimaanpassungsgesetz" wie dieses Bundesland.

Einiges von dem in diesen Tagen Geäußerten ist schlicht unwahr. Das meiste ist billiges Wortgeklingel. Und alle Erklärungen seitens der führenden Politiker von CDU, CSU, FDP und SPD sind durchdrungen von einer unsäglichen Heuchelei.

Wirklich "nicht vorhersehbar"?

Beginnen wir mit den Behauptungen, das Hochwasser sei "nicht vorhersehbar" gewesen. Was ja insofern wichtig ist, als mit dieser Aussage die enorm hohe Zahl von Toten und Verletzten als nicht vermeidbar dargestellt wird. Tatsächlich sagten Meteorologen die massiven Regenfälle seit Tagen, spätestens seit Dienstag, dem 13. Juli, voraus.

Und dies auch weitgehend bezogen auf die Regionen, in denen es dann zu diesen starken Regenfällen kam. Die Menge an Niederschlag war zwar enorm - doch sie war nicht völlig außergewöhnlich; es gab in jüngerer Zeit bereits massivere Regengüsse in anderen Regionen Deutschlands.

Letztlich lassen sich Wetterlagen wie diejenige der letzten Woche recht gut berechnen. So hatte ein Wettervorhersagemodell die Unwetterkatastrophe in der Nacht zum vergangenen Donnerstag seit Tagen angedeutet, wie Julian Quinting, Experte für Meteorologie und Klimaforschung am Karlsruher Institut für Technologie (KIT), bestätigte.

Entsprechend, so ein Zeitungsbericht, "gab es frühzeitig Warnungen vor extremen Niederschlag und Hochwasser".2 Vergleichbar äußerte sich auch der NRW-Ministerpräsident Laschet am ersten Tag der Hochwasserkatastrophe, als es erst wenige Todesopfer gab. Am Donnerstag, dem 15. Juli, bezog sich Armin Laschet ausdrücklich auf die "guten Prognosen des Deutschen Wetterdienstes", der, zu einem Zeitpunkt "als noch die Sonne schien", die Regengüsse vorhergesagt habe - weswegen man zumindest in Hagen, wo Laschet dies vor Ort äußerte, "gut vorbereitet" gewesen sei.3

Das "Jahrhunderthochwasser" war auch auf längere Sicht vorhersehbar gewesen. Vor genau einem Jahr legten österreichische Wissenschaftler eine Studie über "die europäischen Flusshochwasser der letzten 500 Jahre" vor. Danach, so eine damals von Wolfgang Pomrehn auf Telepolis veröffentlicht Zusammenfassung der Studie, "gehörten die letzten Jahrzehnte zu den schlimmsten".

Wobei sich die jüngste Periode mit massiven Hochwässern "von den vorhergehenden insofern unterscheiden, als diese in den Phasen kälteren Klimas auftraten", wo oft Schmelzwasser eine Rolle spielten. Weiter in der Zusammenfassung:

Die jüngste Häufung von Überschwemmungen an den Flüssen ereignete sich hingegen in einem deutlich wärmeren Klima.[…] Die Hochwasser treten inzwischen häufiger im Sommer auf.

Wolfgang Pomrehn

So gut wie alle Bundesländer haben in jüngerer Zeit Studien erarbeitet, in denen Hochwassergefahren im jeweiligen Bundeland dargestellt sind. Diese beziehen sich zwar meist primär auf die großen Ströme und Flüsse wie Donau, Rhein, Elbe, Weser und Oder. In einer offiziellen Zusammenstellung dieser Hochwassergefahren in Nordrhein-Westfalen, herausgegeben vom Landesumweltministerium, wird jedoch auch ausdrücklich auf die Gefahren bei "kleineren Flüssen und Bächen" hingewiesen - und dies wie folgt:

Heftige Sommergewitter können lokal auch kleinere Flüsse und Bäche sturzflutartig anschwellen lassen und so erhebliche Überschwemmungen verursachen. Deshalb muss auch an den kleineren Gewässern Hochwasserschutz betrieben werden.

Umweltministerium NRW

Betont wird, dass auf Basis dieser grundlegenden Überlegungen "Überschwemmungsgebiete" ausgewiesen würden, dass auf diese Weise die Bevölkerung vor Ort gewarnt sei - oder jeweils zu warnen sei. Wobei en passant auch der Begriff "Jahrhundertkatastrophe" abgeräumt wird.

In dem Dokument der NRW-Landesregierung4 heißt es dazu:

Die Festlegung von Überschwemmungsgebieten dient dazu, die Betroffenen zu informieren, wohin das Wasser bei sehr hohen - den sogenannten hundertjährlichen (Hervorhebung d. A.) - Hochwasserabflüssen gelangen kann.[…] Nur wenn die Menschen, die von einem derartigen Hochwasser betroffen wären, den Gefahrenbereich genau kennen, können sie sich darauf einstellen, vorsorgend handeln und sich im Katastrophenfall besser schützen.

Umweltministerium NRW

Wie exakt die Hochwassergefahren seitens einzelner Landesregierungen bereits berechnet wurden, zeigt Baden-Württemberg. In einem Bericht der Stuttgarter Zeitung vom 17. Juli 2021 es:

In Baden-Württemberg gibt es Flüsse, Bäche und andere Gewässer von zusammen 12 000 Kilometer Länge, die Hochwasserrisiken bergen. 967 der insgesamt 1101 Städte und Gemeinden im Land sind deswegen potenziell hochwassergefährdet. […] Landesweit beziffert das Umweltministerium das Schadensrisiko im Falle eines Extremhochwassers auf 30 Milliarden Euro. Das Risiko wächst mit der klimawandelbedingten Wahrscheinlichkeit von Starkregen.

Stuttgarter Zeitung

Danach sind 88 Prozent aller "Städte und Gemeinden" im Südwest-Bundesland (967 von 1101) hochwassergefährdet.

Bilanz: Das Hochwasser war absehbar. Es gab entsprechende Warnungen. Offensichtlich wurden die Warnungen nicht ausreichend ernst genommen. Viel spricht dafür, dass entscheidende Behörden insofern versagt haben, dass an einigen Orten nicht rechtzeitig evakuiert wurde.

Was sind wesentliche Ursachen für das Hochwasser?

Der Zusammenhang zwischen den starken Regenfällen und der Klimaerhitzung wird inzwischen meist eingestanden. Doch mit den entsprechenden Hinweisen wird erneut suggeriert, dass es sich kaum um eine auch im unmittelbaren Sinn menschengemachte Entwicklung handeln würde.

Wenn auf den Zusammenhang mit der Klimaerhitzung verwiesen wird, dann erweckt dies den Eindruck, dass es sich da einerseits um einen langfristigen Prozess handle, auf den man aktuell wenig Einfluss habe, und dass man ja andererseits auch langfristig bereits eine entsprechende "forcierte Klimaschutzpolitik" verfolge. Zum letzteren siehe weiter unten.

Nachfolgend zum Thema "wenig Einfluss": Bei all diesen Betrachtungen fehlt fast völlig der Aspekt der fortschreitenden Versiegelung der Böden im Allgemeinen und dabei die Rolle des Straßenverkehrs im Besonderen.

Laut Umweltbundesamt sind in Deutschland aktuell 11,5 Prozent der gesamten Staatsgebietsfläche oder 38.669 Quadratkilometer durch Wohnungen, andere Bauten und vor allem durch "Verkehrsflächen" versiegelt.

Diese Zahlen sagen dem Publikum eher wenig. Entscheidend ist dabei die Dynamik: Seit mehr als 100 Jahren wächst der Anteil der versiegelten Flächen. Berücksichtigen wir nur die Zeit der letzten drei Jahrzehnte, dann lautet die Bilanz wie folgt: Im Zeitraum 1992 bis 2018 hat die Bodenversiegelung im Land um insgesamt 4.622 Quadratkilometer zugenommen - das waren zusätzliche 178 Quadratkilometer pro Jahr.

Zwar hat das Tempo der Bodenversiegelung in den vergangenen Jahren abgenommen - es waren aber im vergangenen Jahrzehnt (2010 bis 2019) immer noch pro Jahr 65 Quadratkilometer neu versiegelte Flächen - was 22.400 Fußballfeldern entspricht.

Der größte Teil des Zuwachses an versiegelten Böden entfällt auf die "Verkehrsflächen". Wobei dieser Begriff verschleiernd ist. Tatsächlich geht es dabei zu 95 Prozent um Straßenbau und beim Rest um den Ausbau von Flughäfen. Nimmt man alle versiegelten Wege und Straßen (Waldwege, Landwege, Gemeindestraßen, Landstraßen, Bundesstraßen und Bundesautobahnen) zusammen, dann entstehen hierzulande rund 1000 Kilometer zusätzliche Straßen pro Jahr. Demgegenüber sind die Eisenbahnen-Verkehrswege deutlich rückläufig.

Diese Bodenversiegelung beeinträchtigt die natürliche Bodenfruchtbarkeit. Das Umwelt-Bundesamt: "Wenn der Boden dauerhaft von Luft und Wasser abgeschlossen ist, geht die Bodenfauna zugrunde."

Vor allem aber, so der Deutsche Wetterdienst, "kann bei Starkregen das Wasser nicht in den Boden abfließen. Kanalisationen sind schnell mit der großen Menge an Niederschlag überfordert. So kann es lokal zu Überflutungen kommen - und mit Menschen und deren Hab und Gut in Gefahr bringen".

Wobei es eine Reihe zusätzlicher Faktoren gibt, die die Negativeffekte der Bodenversiegelung verstärken, so die immer schwerer werdenden Kraftfahrzeuge, die immer schwerer werdenden landwirtschaftlichen Maschinen und die extrem schweren Fahrzeuge, die zur "Baumernte" in den Wäldern - zum Fällen und Zerlegen von Bäumen, eingesetzt werden. Der mit diesen Fahrzeugen erzeugte Druck verdichtet die Böden noch stärker und bewirkt eine besonders starke Zerstörung der Bodenqualität.

Natürlich werden diese zusätzlichen Straßen und die neuen Landebahnen bei Flughäfen nicht aus Jux und Tollerei gebaut. Sie nehmen Jahr für Jahr mehr Straßenverkehr und mehr Flugverkehr auf. Allein im Zeitraum 1994 bis Januar 2021 wuchs die Zahl der Pkw in Deutschland von 35 Millionen auf 48,2 Millionen oder um 37,7 Prozent.

Das Gewicht eines durchschnittlichen Pkw hat sich im gleichen Zeitraum um 35 Prozent erhöht; deutlich stieg auch die Inanspruchnahme von Flächen. Insgesamt wuchs die Fläche, die diese Pkw-Flotte in Anspruch nimmt, in diesem 26-Jahreszeitraum um mehr als 50 Prozent.5

Welche Bahnpolitik wird verfolgt?

Die Entwicklung im Bereich Schiene ergänzt die katastrophale Konzentration auf den Straßenverkehr. Das Schienennetz (Betriebslänge) wurde in Deutschland seit 1991 um 19 Prozent oder um 7.700 Kilometer abgebaut. Dabei wurden zusätzlich rund 50 Prozent aller Neben- und Ausweichgleise abgebaut.

Dieser Infrastrukturverlust wirkt sich vor allem dahin gehend aus, dass die Bahn sich aus der Fläche immer mehr zurückzieht. Und dass die Effizienz des Schienennetzes leidet, was an den verschlechterten Pünktlichkeitsquoten und an der hohen Zahl von Zugausfällen deutlich wird.6 Die Konzentration auf Hoch- und Höchstgeschwindigkeit ist bereits aus Fahrgastsicht problematisch.7

Hinsichtlich einer nachhaltigen Klimapolitik ist diese Politik absolut kontraproduktiv: ICE-Züge mit Tempo 300 kommen auf einen Energieverbrauch (und damit Treibhausgase) je Personenkilometer, der nicht allzu weit entfernt ist von dem Energieverbrauch eines mit zwei Personen besetzten Pkw. Wobei die enormen CO2-Emissionen zu berücksichtigen sind, die beim aufwendigen Bau von Hochgeschwindigkeitsstrecken mit vielen Einschnitten, Brücken und Tunnelbauten anfallen.

Apropos Tunnelbauten: 1991 gab es im gesamten Schienennetz auf deutschem Boden Tunnelbauten mit einer Gesamtlänge von 222 Kilometern. 2020 waren es Tunnel mit einer Gesamtlänge von 592,9 Kilometern - eine Steigerung um das 2,7-fache. Bis 2030 plant die Deutsche Bahn AG weitere Tunnelbauten mit mehr als 150 Kilometern Länge. Im gleichen Zeitraum wurde, siehe oben, das Schienennetz um fast 20 Prozent in der Länge reduziert.

Was ist passiert? Gibt es eine Wanderung der Mittelgebirge; eine veränderte Endmoränenlandschaft, was mehr Tunnelbauten erforderlich machen würde? Nein, die Deutsche Bahn AG verlegt immer größere Teile des (schrumpfenden!) Schienennetzes in den Untergrund.

Teilweise wird dies mit Bürgerprotesten gegen Schienenlärm begründet, was auch mit der schlechten Infrastruktur, mit dem unzureichenden Zustand der Waggons und mit den hohen Geschwindigkeiten zusammenhängt, was aber vor allem auch mit Milliardenaufträgen verbunden ist, an denen die Tunnelbauindustrie und die Banken satt verdienen.

Allein unter Stuttgart entstehen derzeit 100 Kilometer Schienenstrecken in Tunnelbauweise - als Teil von "Stuttgart 21".8

Das ist natürlich mit gewaltigen Mengen von Treibhausgasen verbunden - beim Bau und auch im Betrieb: der Energieaufwand bei Tunnelfahrten liegt wesentlich höher als der Energieaufwand bei Fahrten in freier Umgebung. Wobei Tunnelbauten ebenfalls zur Versiegelung von Böden zählen; sie wirken sich im Untergrund zerstörerisch auf die Bodenqualität aus.

Sehr konkret lässt sich der Rückzug der Schiene an den meisten von dem aktuellen Hochwasser betroffenen Orten und Tälern illustrieren. Nehmen wir den besonders betroffenen Ort Schuld. Hier wurde im Jahr 1912 die Bahnstrecke Dümpelfeld - Lissendorf mit Halt in Schuld eröffnet. Im Zweiten Weltkrieg zerstörte die Wehrmacht einen größeren Teil der Eisenbahninfrastruktur (um der vorrückenden US-Army Einhalt zu gebieten).

Erst 1948 konnte der Eisenbahnverkehr wieder aufgenommen werden. Doch 1973 wurde der Schienenverkehr eingestellt. 1982 wurde die Strecke komplett stillgelegt und abgebaut. Heute verläuft auf dem Bahndamm ein "Bahntrassenweg", der "Ahr-Radweg". Wobei die Bevölkerung sich eher nicht per Rad in die nächsten Orte begibt, sondern überwiegend auf den Pkw angewiesen ist.