Deutsche Energiewendungen: Vom EEG über Desertec zur Wasserstoffstrategie

Deutscher Energie-Imperialismus und der Klimaschutz. Teil 1

Am 13. Juli trat Wirtschaftsminister Altmaier mit einem brisanten Eingeständnis vor die Presse: Der prognostizierte Bedarf an elektrischer Energie werde sich wesentlich stärker nach oben entwickeln, als bisher zugrunde gelegt. Dieses war jedoch praktisch für alle Experten bereits seit langem absehbar, ohne dass aus seinem Ministerium ernsthaft versucht wurde, die offen sichtbaren Fehlentwicklungen der letzten Jahre zu korrigieren. Hilfreich zum Verständnis der sich hier abzeichnenden Probleme ist ein kurzer Blick auf die Entwicklung der deutschen Energiepolitik in den letzten 20 Jahre.

Das im Jahr 2000 verabschiedete Erneuerbare Energien-Gesetz (EEG) kam mit beidseitigen Zugeständnissen diametral entgegen gesetzter Interessen zustande. Das von dem Grünen-Politiker Jürgen Trittin geführte Umweltministerium konnte eine umfassende Förderung erneuerbarer Energien in einem Gesetzespaket unterbringen, das in den darauf folgenden Jahren auch internationale Beachtung fand und sich damit als vorbildlich erwies.

Federführend war allerdings das Wirtschaftsministerium, das schon immer als verlängerter Arm der Industrie-Lobby fungierte. Dafür stand damals ganz besonders die Personalie Werner Müller als parteiloser Minister, der geradezu exemplarisch für den als "Drehtür-Effekt" bezeichneten Wechsel zwischen Wirtschaft und Politik stand. Von seiner Tätigkeit bei den Energiekonzernen kommend wechselte er 2002 direkt wieder in die Energiebranche.

Auch sein direkter Nachfolger im Amt, Wolfgang Clement, war durch seine vorausgegangene Tätigkeit als SPD-Ministerpräsident in NRW allerdings kaum weniger mit den Energiekonzernen verbandelt. Diese wurden bei Verabschiedung des EEG damit bedient, dass keine entsprechende Förderung der dezentralen Kraft-Wärme-Kopplung auf den Weg gebracht wurde, die mit leicht skalierbaren Blockheizkraftwerken (BHKW) durch kommunale Stadtwerke und Liegenschaftsbetreiber erfolgen kann. Hierfür gab und gibt es separate gesetzliche Regelungen, die in den letzten 20 Jahren zeitversetzt zu gewissen Aufstockungen bei der Förderung bzw. Vergütung führten.

Für die Energiekonzerne war die Förderung erneuerbarer Energien aus damaliger Sicht kein Problem. Sie glaubten offenbar ihrer eigenen Propaganda, dass diese nur eine Spielwiese für Öko-Freaks seien und keine Chance hätten, einen relevanten Anteil an der Stromerzeugung zu bekommen. Hingegen hätte die gezielte Förderung der dezentralen Kraft-Wärme-Kopplung ihre Machtbasis untergraben, was es zu verhindern galt.

Auch aus diesem Grund ist heute in Deutschland der große Anteil von Kohle-Großkraftwerken noch das Hauptproblem beim Klimaschutz. Daran gekoppelt sind auch weitere gravierende Probleme, die an dieser Stelle nur mit Verweis auf frühere Telepolis-Artikel genannt werden sollen. Ein Beitrag von Craig Morris und Rebecca Freitag vom 19.7.2020 ist überschrieben mit: "Können Groß- und Kleinprojekte zusammenleben?"

Die Versorgungssicherheit aus dem Stromnetz wurde zuletzt von Herbert Saurugg in seinem zweiteiligen Beitrag über die Gefahren eines längeren Strom-Blackouts dargestellt mit "Europa auf dem Weg in die Katastrophe" und "Warum der Umbruch der europäischen Stromversorgung gefährlich chaotisch verläuft".

Zum Erfolg des EEG in Deutschland trug entscheidend bei, dass der mit finanziellen Anreizen erfolgende Ausbau von Wind- und Solarenergie sehr stark von Energiegenossenschaften und kommunalen Versorgungsbetrieben getragen wurde und sich damit der Begriff "Bürgerenergie" etablierte. Damit erkannten die deutschen Energiekonzerne schließlich eine für sie existenzbedrohende Entwicklung, denn der zunehmend relevante Anteil erneuerbarer Energien an der Stromerzeugung stellte die Notwendigkeit von konzerngebundenen Großkraftwerken infrage.

Diese passen jetzt sowohl wegen dem zum Umwelt- und Klimaschutz notwendigen Ausstieg aus der Braunkohleverstromung, als auch aus technischen Gründen nicht mehr in die neue Infrastruktur. Großkraftwerke sind viel schwieriger auf einen schwankenden Bedarf im Stromnetz abzustimmen als eine Vielzahl kleinerer Kraftwerke. Aus der Not geboren fanden nun auch die Energiekonzerne plötzlich Interesse an erneuerbaren Energien.

Bei Windkraftanlagen erfolgte dieses mit Offshore-Windparks in der Nordsee. Deren Wirtschaftlichkeit war und ist zwar unter Berücksichtigung aller damit verbundenen Infrastrukturkosten eindeutig schlechter als bei Windkraftanlagen an Land, wird aber dennoch politisch stärker forciert und entsprechend mit Einspeisevergütungen gegenüber landgestützten Windkraftanlagen bevorzugt.

Der noch einfacher auf privaten Dachflächen einsetzbaren Solarenergie mit Photovoltaikanlagen zur direkten Stromerzeugung und Solarthermie zur Wärmeversorgung wurde ein gigantisches Großprojekt mit der Anfang 2009 gegründeten Desertec-Initiative der Deutschen Industrie entgegen gestellt. Durch solarthermische Kraftwerken in Nordafrika sollte Strom erzeugt und mit Hochspannung-Gleichstromübertragung (HGÜ-Leitungen) nach Europa transportiert werden.

Bei diesen Kraftwerken, wie sie bis heute in überschaubarem Umfang in Spanien und dem Südwesten der USA installiert sind, wird mit Sonnenenergie ein Wärmeträger aufgeheizt, der über eine prinzipiell konventionelle Kraftwerkstechnik mit Turbinen elektrischen Strom erzeugt.

Der wesentliche Vorteil dieser Technik besteht darin, dass durch die verfahrenstechnisch notwendige Wärmespeicherung auch nachts Strom erzeugt werden kann. Allerdings ist dieses auch mit technischen Risiken durch die Extremtemperaturen und Sandstürme in Wüstenregionen verbunden. Seinerzeit gab es sehr viel Zustimmung für das Desertec-Projekt, bis hin zur Umweltorganisation Greenpeace.

Prominentester Kritiker war hingegen der Vorkämpfer für Solarenergie und SPD-Bundestagsabgeordnete Hermann Scheer, der eindeutig formulierte: "Die Kalkulation von Desertec ist absurd". Eon, RWE und Co. wollten damit nur ihre Monopole sichern - und den nötigen Strukturwandel stoppen. Der Plan könne nur aufgehen, wenn man den dezentralen Ausbau erneuerbarer Energien in Deutschland stoppen würde.

Der Desertec-Plan wurde 2014 offiziell aufgegeben. Ursache dafür war einerseits, dass die drastische Verbilligung der Photovoltaik die Kalkulation über den Haufen warf und zudem wesentliche Meinungsverschiedenheiten in dem Desertec-Industriekonsortium mit unterschiedlichen Interessen eine Rolle spielten. Dennoch gelang es den deutschen Energiekonzernen in den darauf folgenden Jahren, die Energiewende auszubremsen. Die DIW-Energieexpertin Claudia Kemfert hat dieses bereits 2017 in ihrem Buch mit dem Titel "Das fossile Imperium schlägt zurück" umschrieben. Darin heißt es im Klappentext:

Alles schien auf einem guten Weg: Die Energiewende schafft Wohlstand, macht unabhängig von geopolitischen Konflikten, schützt das Klima und stärkt die Demokratie. Doch die "alten" Energien und die Klimaskeptiker gehen nicht kampflos vom Platz. Sie nutzen keine Armee, sondern Propaganda und "Fake News".

Durch das Wirtschaftsministerium mit dem damaligen SPD-Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel wurde die Energiewende zunächst mit der EEG-Novellierung 2014 und verstärkt mit der weiteren Novellierung 2016/2017 abgewürgt. Maßgebend waren dabei neu eingeführte bürokratische Restriktionen wie "Deckelungen" für deren Ausbau sowie die Einführung von komplizierten Ausschreibungsverfahren bei Windkraftanlagen. CDU-Wirtschaftsminister Peter Altmaier hat diese Politik seines Vorgängers im Amt fortgesetzt und keinerlei Versuche unternommen, die sich bereits sehr früh abzeichnenden Fehlentwicklungen zu korrigieren.

Mittlerweile übersteigt die dadurch vor allem in der Windenergiebranche bereits vernichtete Anzahl von Arbeitsplätzen um ein Mehrfaches diejenigen, die noch in Deutschland für die Kohleverstromung vorhanden sind.

Regionale Wertschöpfung durch mittelständische Firmen war und ist aber politisch nicht förderungswürdig, denn Wirtschaftsminister Altmaier fungiert als Sprachrohr der deutschen Großindustrie, indem er deren Pläne für ein "Desertec 2.0" propagierte, die im Juni 2020 auch offiziell als Nationale Wasserstoffstrategie von der Bundesregierung übernommen wurden.