Wachsender Rassismus in der Türkei

Auf der Suche nach Sündenböcken: Selbst für die Waldbrände, die erschreckende Ausmaße in der ganzen Türkei annehmen, werden Kurden verantwortlich gemacht

Zunehmend empören sich türkische Bürger über arabische Touristen und die syrischen Geflüchteten, aber auch über reiche Immobilienkäufer aus dem Nahen Osten. Vor allem der Rassismus gegen die einheimische kurdische Bevölkerung nimmt immer schlimmere Ausmaße an.

Kurden sind mittlerweile die Sündenböcke für alle negativen Entwicklung in der Türkei geworden. Selbst für die Waldbrände, die erschreckende Ausmaße in der ganzen Türkei annehmen, werden sie verantwortlich gemacht. Der bekannte AKP-Demagoge Ibrahim Karagül von der Zeitung Yeni Safak verstieg sich in einem Tweet zu der Behauptung CHP und PKK hätten zusammen die Waldbrände verursacht.

Dass die türkische Regierung schuld an der Misere sein könnte, scheint in der Mehrheit der Bevölkerung noch nicht angekommen zu sein.

Überfremdungsängste wegen der Araber

In Istanbul ist die Präsenz der Araber in den letzten Jahren deutlich sichtbarer geworden. Dabei ärgern sich die Istanbuler nicht allein über die syrischen Flüchtlingskinder, die an den Straßenkreuzungen betteln und deren Familien an der historischen Mauer hausen. Lokalen Medienberichten zufolge leben in der 16-Millionen-Stadt ca. zwei Millionen Araber, davon sind die Hälfte Syrer.

Die Istanbuler ärgern sich vor allem über die reichen Araber, die mit ihren Geschäften in den großen Einkaufsstraßen wie der Istiklal Caddesi dominieren oder die reichen arabischen Familien aus der Golfregion, die die Uferpromenaden und die Ausflugsboote dominieren. Man übersieht gerne, dass die türkische Regierung sie in die Türkei eingeladen hat. Denn mit einem Immobilienkauf oder einer Investition von 250.000 Dollar kann man für sich und seine Familie die türkische Staatsbürgerschaft erwerben. Davon machen Iraker, Iraner und Saudis reichlich Gebrauch.

Auch an der Grenze zu Syrien kippt die Stimmung. Der ehemalige Parlamentspräsident Hüsamettin Cindoruk, Mitglied der rechts-konservativen Demokrat Parti behauptet, dass sich die Syrer in der Grenzprovinz Hatay "als die Herren fühlten und die Türken aufforderten, die Gegend zu verlassen."

Solche Äußerungen sind Öl auf die Mühlen des Rassismus. Wir kennen diese Argumentation auch in Deutschland, die vor allem von der AfD befeuert wird. In der Türkei ist es neben den rechten Parteien nun ausgerechnet die kemalistische CHP, die dem Rassismus gegen Araber Nahrung gibt. In Deutschland wird sie fälschlicherweise immer noch mit der Sozialdemokratie gleichgesetzt.

Ihr Vorsitzender, Kemal Kilicdaroglu fordert die Rückführung der syrischen Flüchtlinge und nährt nun auch noch die Angst vor den afghanischen Flüchtlingen. Der CHP-Bürgermeister der Stadt Bolu, Tanju Özcan, will Menschen aus anderen Herkunftsländern mit hohen Sondergebühren für Wasser und Abwasser belegen, um sie zu vertreiben. "Es reiche nicht, den Ausländern städtische Hilfen zu streichen oder Geschäftsgründungen zu verweigern... "Sie sollen verschwinden."" Das ist Rassismus in Reinform und erinnert an die Anfänge des deutschen Faschismus.

Rassismus gegen die kurdische Bevölkerung

Atatürks nationalistisches Erbe lässt keine ethnischen Minderheiten in diesem multiethnischen Land zu. Die türkischen Regierungen haben es bis heute nicht geschafft, die Vorteile und Bereicherungen eines multiethnischen Landes zu erkennen.

Darunter leiden insbesondere diejenigen Kurden, die sich für die Gleichberechtigung der verschiedenen Ethnien und Religionsgemeinschaften einsetzen. Alle Bestrebungen um die Anerkennung ihrer Kultur und Sprache werden sofort als "Terrorismus" gebrandmarkt. Oft bedient man sich in den Staatsmedien konservativer, assimilierter Kurden. Diese behaupten, es gäbe keinen Rassismus gegen Kurden, denn man sei selbst Kurde, stehe gleichwohl zu Atatürk, zu Erdogan, zur türkischen Fahne und zum Islam. Oft untermauert man diese Argumentation damit, der Chef des türkischen Geheimdienstes MIT, Hakan Fidan, sei schließlich auch kurdischer Abstammung.

Natürlich ist die kurdische Bevölkerung keine homogene Masse und auch unter der kurdischen Bevölkerung gibt es Islamisten, Faschisten und Erdogan-Anhänger. Aber es gibt auch einen sehr großen Anteil, der demokratisch ausgerichtet ist, oder der einfach nur mit der eigenen Sprache und Kultur anerkannt werden möchte, ohne parteipolitische Präferenz.

Je aggressiver die Rhetorik der gleichgeschalteten Medien in der Türkei wird, desto mehr werden die türkischen Faschisten bestärkt und enthemmt. Es gibt immer wieder Angriffe auf Menschen, die in der Öffentlichkeit kurdisch sprechen, seien es Saisonarbeiter, Arbeiter in Betrieben und auf Baustellen oder Künstler.

Die Angriffe auf Kurden in der Türkei nehmen immer weiter zu. Im Dorf Kavakli bei Ankara wurde eine kurdische Familie bei einem Streit auf einem Schlachtplatz wegen der Entsorgung von Tierexkrementen von 150 Personen bedroht und angegriffen. Zwei Mitglieder der Familie wurden so schwer verletzt, dass sie im Krankenhaus operiert werden mussten.

Im Mai vergangenen Jahres wurde der zwanzigjährige Barış Çakan erstochen. Sein Vergehen war, dass er kurdische Musik gehört hatte. Einen rassistischen Zusammenhang sah die Staatsanwaltschaft nicht. Solche Angriffe enden immer öfter tödlich: Vor einem Monat wurde die HDP-Aktivistin Deniz Poyraz in Izmir getötet. Vor wenigen Tagen wurde beim Angriff eines rassistischen Mobs auf eine kurdische Familie in der Provinz Konya der 43-jährige Bauer Hakim Dal getötet.

Jüngstes Beispiel ist das Schicksal der kurdischen Familie Dedeogullari, ebenfalls aus der Provinz Konya stammend. Am vergangenen Freitag wurden 7 Mitglieder der Familie, darunter auch Frauen, in der Stadt Meram durch 19 Schüsse getötet. Die Täter drangen in das Haus ein, töteten alle Anwesenden und versuchten, das Haus in Brand zu setzen.

Der mutmaßliche Haupttäter, Mehmet Altun ist flüchtig. Noch ist unklar, wie viele Personen an dem Attentat beteiligt waren. 13 Personen wurden bislang festgenommen, darunter die Ehefrau von Mehmet Altun und dessen Eltern.

Am 12. Mai war die Familie von 60 türkischen Faschisten schon einmal angegriffen und einige Familienmitglieder waren schwer verletzt worden. 10 Tatverdächtige wurden in Haft genommen, darunter die Schwester Mehmet Altuns, Ayşe Keleş, aber kurz danach aus 'Mangel an Beweisen' wieder entlassen. Zum Schutz der Familie, die seit 24 Jahren in Meram lebte, unternahmen Polizei und Justiz nichts.

Das Nachrichtenportal ANF zitiert den Rechtsanwalt Abdurrahman Karabulut, der die Familie vertritt: "Jede Woche sind ein bis zwei Personen freigelassen worden. Während wir weitere Verhaftungen gefordert haben, sind alle Haftbefehle aufgehoben worden. Sie sind von der Straflosigkeit ermutigt worden. Vor drei Stunden war die Familie noch bei mir, ich habe sie über das Verfahren informiert."

Kurz vor dem erneuten Angriff auf die Familie berichtet auch der Vater der Familie, Yaşar Dedeoğullari, der bei dem erneuten Angriff ermordet wurde, gegenüber dem nordirakischen Sender Rudaw, dass sie seit Jahren rassistisch beleidigt wurden: "Seit 12 Jahren sagen sie zu uns: 'Wir sind Graue Wölfe, ihr seid Kurden. Wir werden euch von hier entfernen. Wir werden euch hier nicht beherbergen'".

Die Familie war die einzige kurdische Familie im Ort. Der Polizeichef von Konya, Engin Dinç, der die Täter des ersten Angriffs auf freien Fuß setzte, stand schon im Zusammenhang mit dem rassistischen Mord an dem armenischen Journalisten Hrant Dink 2007 vor Gericht.

Als der armenische Journalist Hrant Dink am 19. Januar 2007 in Istanbul vor dem Gebäude seiner Zeitung Agos von einem türkischen Rechtsextremen erschossen wurde, war Dinç Abteilungsleiter des Geheimdienstes (MIT) in Trabzon, dem Wohnort des Täters. Dinç wusste nachweislich von der geplanten Ermordung, unternahm aber nichts zum Schutz von Dink. Beim Anschlag auf eine Friedenskundgebung am 10. Oktober 2015 am Bahnhof von Ankara mit 103 Toten und mehr als 500 Verletzten waren Dinç zwei Tage im Vorfeld die Namen der Attentäter bekannt. Diese Informationen ließ er der Antiterrorzentrale aber erst fast vier Stunden nach dem Anschlag zukommen.

ANF

Ein Zufall? Die türkische Regierung behauptet nun auch, diese letzten Angriffe hätten keine rassistischen Hintergründe, sondern es würde sich um einen Nachbarschaftsstreit handeln.

Auch bei dem Mord an dem kurdischen Bauern Hakim Dal aus dem Ort Çarıklıköy, sprach die Präfektur von Konya von einem Streit um Vieh und Land, obwohl es Zeugenaussagen gibt, dass die Familie des Bauern mit dem Argument bedroht wurde, Kurden seien in dem Dorf nicht erwünscht. Rund 60 Personen beteiligten sich an dem Angriff auf Hakim Dal. Nach einem Bericht von ANF wurde der Angriff vom Ortsvorsteher angestachelt.

Die Familie wurde zunächst mit Steinen beworfen und als Terroristen bezeichnet. Schließlich kamen die tödlichen Schüsse auf Hakim Dal aus der Menge des Mobs. Die ursprünglich aus Diyarbakir stammende Familie Dal lebt seit zwei Jahrzehnten in der zentralanatolischen Provinz Konya und wurde bereits zuvor etliche Male bedroht, zwei Mal wurden ihre Schafe vergiftet.

Die Provinz Konya ist seit jeher eine sehr konservativ islamisch geprägte Region und eine der Hochburgen der AKP. Die Kommission gegen Rassismus und Diskriminierung des türkischen Menschenrechtsvereins IHD befasst sich mit den jüngsten Fällen und bewertet sie als politische Angriffe. Der IHD beobachtet die zunehmende Gewalt gegen Kurden mit Besorgnis.

Die Justiz ignoriere den rassistischen Hintergrund der Angriffe und versuche diese als persönliche Konflikte herunterzuspielen. Weiter weist der IHD daraufhin, dass es im türkischen Strafgesetzbuch Rassismus nicht gibt. Artikel 122 stelle lediglich Diskriminierung unter Strafe, aber auch dieser Paragraph käme in den jüngsten Gewaltfällen nicht zur Anwendung.

Der HDP-Vorsitzende Mithat Sancar widersprach der Darstellung der türkischen Regierung, dass es sich bei den Morden um Einzelfälle und Familienkonflikte gehandelt habe:

Die Sprache des Hasses und der Aufwiegelung der Regierung tragen die Hauptverantwortung für dieses Massaker. Seit langem bedient sich diese Regierung einer Sprache des Hasses, die sich gegen die HDP und die Kurden richtet. Sie gibt Erklärungen ab, die den Grundstein für eine Politik der Massaker legen sollen...Diese Sprache, diese Mentalität, diese Politik ist das Produkt einer Mentalität, die das gemeinsame Leben in der Türkei vergiftet und das gemeinsame Leben untergräbt.

Mithat Sancar

Kurden sollen für Waldbrände verantwortlich sein

Auch für die 63 Waldbrände in 21 Provinzen der Türkei sollen die Kurden verantwortlich sein. Viele regierungsnahe Medien behaupten, die kurdische Arbeiterpartei PKK und die oppositionelle HDP seien für die Waldbrände verantwortlich. Dass die extrem hohen Temperaturen auch in Ländern wie Griechenland und Italien zu großen Waldbränden führen, wird ausgeblendet. Stattdessen bedient man sich eines alten Feindbildes, das immer funktioniert. Auf Twitter kursieren Videoaufnahmen, die zeigen sollen, wie in Manavgat in der Provinz Antalya Jagd auf Kurden gemacht wird, weil sie für die dort tobenden Waldbrände verantwortlich gemacht werden.

Eine rationale Erklärung für diese Vorwürfe gibt es nicht. Selbst der Mafia-Boss Sedat Peker meldet sich mit ironischen Tweets, wie es angehen könne, dass trotz der Polizei- und Gendarmeriekontrollen an jeder Ecke und der Fahrzeugkontrollen wegen einem Liter Benzin im Rahmen der Anti-Terrorgesetze keine Täter der HDP als Brandstifter gefasst werden konnten.

In weiteren Tweets warnt er erneut die Bevölkerung, sich nicht in einen Bürgerkrieg verwickeln zu lassen, denn diejenigen, die dieses Ziel verfolgen oder unterstützen, würden eines Tages den Preis dafür zahlen. Er appelliert an die "echten Nationalisten, echten Patrioten, die unser Land wirklich lieben; Was auch immer passiert, bitte geht nicht raus. Lassen Sie sich nie von patriotisch wirkenden Provokateuren täuschen, glauben Sie bitte an meine Aufrichtigkeit und Erfahrung".

Erfahrungen mit der AKP und Erdogan hat Peker jede Menge. Seit er bei der türkischen Regierung in Ungnade gefallen ist, enthüllt er im Exil regelmäßig die Kontakte zwischen der türkischen Mafia und Mitgliedern der türkischen Regierung. Telepolis berichtete darüber (vgl. Türkei: Wie nahe stehen sich Staat und Mafia? und Türkei: Wie die AKP mit Mafia, Söldnern und Dschihadisten kooperiert).