Die gegenwärtige Leere der Freiheit

Klimapolitik: Welches Spiel wird mit der Freiheit im derzeitigen Diskurs eigentlich gespielt?

Marketing heißt jetzt das Instrument der sozialen Kontrolle und formt die schamlose Rasse unserer Herren.

Gilles Deleuze, Postskriptum über die Kontrollgesellschaft

Wiederum stehen wir einem der beunruhigendsten Aspekte der fortgeschrittenen industriellen Zivilisation gegenüber: dem rationalen Charakter ihrer Irrationalität.

Herbert Marcuse, Der eindimensionale Mensch

Bis auf die AfD zweifelt keine der Parteien ernsthaft an der wissenschaftlichen Tatsache, dass der Mensch an der Erderwärmung den größten Anteil hat: Der Klimawandel ist menschengemacht. Punkt. Folglich kann zweifellos festgehalten werden, dass im Grunde über alle Parteigrenzen hinweg Einigkeit darüber besteht: In der Sache mit dem Klimawandel muss etwas unternommen werden.

Darüber könnte man froh sein, wenn nicht dieses unscheinbare Etwas so großes Gewicht hätte. Denn genau da beginnt das politische Spiel kompliziert zu werden, an jener Stelle, wo dieses unscheinbare Etwas die Differenzen markiert.

Es mag schon richtig sein, dass die Klimapolitik das große Thema dieses Bundestagswahlkampfes ist. Nur braucht es für die politische Bearbeitung eines jeden Themas einen politischen Wert, zu dem das Problem und seine möglichen Lösungen in Bezug gesetzt werden können. Und so wird derzeit letztlich mehr über Freiheit, mögliche Beschränkungen und Verbote gesprochen.

Es hat die liberale Stunde geschlagen. Dabei kann man dann schon mal vergessen, dass uns die Zeit davonrennt. Nicht langsam. In Windeseile. Welches Spiel wird mit der Freiheit im derzeitigen Diskurs eigentlich gespielt? Können wir uns eine langwierige Debatte überhaupt noch leisten? Machen wir uns erst mal klar, welche Rolle diese vermittelnden Werte spielen.

Über die Bezugswerte des Politischen

Als die Proteste der Fridays for Future-Bewegung auf ihrem ersten Höhepunkt waren und die Aktivist:innen der Politik und der älteren Generationen ins Gewissen redeten und mit den harten Fakten der Wissenschaft konfrontieren, meinte FDP-Chef Christian Lindner, die Sache solle bitteschön den Profis überlassen werden. In dieser Aussage steckte sicherlich eine gehörige Portion Arroganz. Auch war es der Versuch, eine junge Generation politisch aktiver Menschen zu infantilisieren.

Ein rhetorischer Trick, der dem wirtschaftsfreundlichen Parteichef gegenüber Wirtschaftslobbyisten sicherlich nicht in den Sinn gekommen wäre. Gleichzeitig legt diese Äußerung, so problematisch sie auch gewesen sein mag, eine bestimmte Logik der Politik offen: Die Werte der Gleichheit und der Freiheit müssen in der politischen Debatte, in diesen komplizierten parlamentarischen Prozess als vermittelnde Kategorien eingebracht werden.

Anders formuliert: Um Lösungen zu einem Problem zu finden, gilt es viele gesellschaftliche Bereiche aufeinander zu beziehen. Bereiche, die sich widersprechen, die ihre eigenen Bedürfnisse, Ziele und Probleme haben. Die Relation dieser Bereiche gelingt unter anderem durch Werte wie Freiheit und Gleichheit. Es handelt sich also um Bezugswerte, um Gewichte auf einer politischen Waage.

Jede Partei, so ähnlich sie sich in vielerlei Hinsicht geworden sind, operiert mit unterschiedlichen Gewichtungen dieser Werte. Während die FDP alles durch die Brille der Freiheit betrachtet, stehen beispielsweise für die Linkspartei die Werte der Gleichheit und Gerechtigkeit deutlich höher im Kurs, wenn es um die Analyse gesellschaftlicher Handlungsfelder geht. Über den Streit der Parteien sollten sich die Werte überkreuzen, korrigieren und gegenseitig reflektieren.

Politik heißt Vermittlung

Nun bedeutet dies, dass es keine unmittelbaren, keine einfachen Antworten gibt. Politik ist oder sollte zumindest ein Geschäft der Abwägung und der Vermittlung sein. In ihrer aktuellen Episode ihres YouTube-Formats "Wohlstand für alle" setzen sich Ole Nymoen und Wolfgang M. Schmitt mit der Frage auseinander, ob eine Welt ohne Wachstum, wie es manche Stimmen aus der Degrowth-Bewegung fordern, umsetzbar sein kann.

Wirtschaftswachstum, unsere Art und Weise der Produktion hängt unweigerlich mit dem Klimawandel zusammen. Die kurzatmige Idee, mit dem Wachstum einfach aufzuhören und nach einer Umverteilung des Reichtums den Lebensstandard auf ein gesundes oder nachhaltiges Maß zu schrumpfen, ist verführerisch.

Mit Rückgriff auf die Schriften des Ökonomen Branko Milanovic halten Schmitt und Nymoen fest, dass diese radikale Lösung so einfach nicht ist: Zu viele Menschen auf der Welt leben in einem Zustand der Armut, der durch die vorhandenen Geldmittel gar nicht aus der Welt geschafft werden kann.

Zumindest nicht ohne derartige Einschnitte aufseiten der reichsten 27 Prozent vorzunehmen. Maßnahmen, die wohl nie eine Zustimmung erhalten dürften, denn immerhin reden wir von teilweise alltäglichen Gütern, auf die dann verzichtet werden müsste.

Nun kann man die Thesen von Milanovic kritisieren und auch Schmitt und Nymoen machen es sich mitunter zu leicht, indem sie an liberalen Grundfesten festhalten. Das soll an dieser Stelle jedoch gar nicht der Punkt sein. Vielmehr geht es darum, den Einsatz der politischen Werte zu veranschaulichen: Der Lösungsvorschlag "Degrowth" wird unter der Maßgabe von Gleichheit, Freiheit und Gerechtigkeit diskutiert.

Und genau das macht die Sache mit den politischen Antworten auf den Klimawandel so kompliziert: Wir können die Vernetztheit der Welt und die unterschiedlichen Bedürfnisse nicht ausklammern. Und dennoch: Schmitt und Nymoen werden nicht müde zu betonen, dass diese Werte selbst einer ständigen Überprüfung ausgesetzt werden müssen: Auf was können wir verzichten? Was ist überflüssiger und was notwendiger Konsum? Wo beginnt Luxus eigentlich? Und letztlich: Was ist das für eine Freiheit, über die wir hier nachdenken?