Zapatistas vor den Toren der Festung Europa

Die historischen Zapatistas, hier auf einem Wandgemälde von Diego Riviera in Mexico City mit dem Slogan "Land und Freiheit", standen Pate für den Aufstand in den 1990er-Jahren. Foto: Cbl62 / CC0 1.0

Eine Delegation aus Mexiko ist gerade mit den Realitäten EU konfrontiert. Am Mittwoch fand ein dezentraler Aktionstag für ihre freie Einreise statt

In mehreren europäischen Städten fanden am Mittwoch Protestaktionen für die freie Einreise einer zapatistischen Delegation aus dem südmexikanischen Chiapas in EU-Länder statt. Die Delegierten der Zapatistischen Armee der Nationalen Befreiung (EZLN) wollen auf dieser Reise die sozialen Bewegungen in Europa kennenlernen und den Widerstand gegen die Ausbeutung von Mensch und Natur stärken. Die siebenköpfige Vorhut der Delegation war am 2. Mai per Segelschiff von der Karibikinsel Isla Mujeres aus aufgebrochen und hatte am 22. Juni in der spanischen Hafenstadt Vigo europäisches Festland betreten. 170 weitere Delegierte wollten auf dem Luftweg einreisen und in Frankreich landen - sowohl mexikanische als auch französische Behörden stellten sich dabei aber zunächst quer.

Die Delegierten, deren Organisationsname an den Revolutionär Emiliano Zapata erinnert, sprechen von einer "Reise für das Leben": Mehr als 520 Jahre nach der euphemistisch "Entdeckung Amerikas" genannte Eroberung europäische Seefahrer wollen die Zapatistas vom amerikanischen Kontinent nach Europa kommen - nicht um zu erobern, sondern um sich im Widerstand zu vernetzen.

Die Semantik des Aufrufs ähnelt früheren Texten der Zapatistas, wo viel von "Pueblo" - was auf Spanisch sinngemäß Bevölkerung heißt und nicht mit dem deutschnationalen Volksbegriff verwechselt werden darf - und vom "Kampf gegen die schlechte Regierung" die Rede ist.

Von der Euphorie des zapatistischen Aufbruchs ist wenig geblieben

Vor fast 30 Jahren schlug der zapatistische Aufstand Breschen in die wirtschaftsliberale Theorie, dass es keine Alternative zum Kapitalismus gebe. Tausende vor allem jüngeren Menschen wurden mobilisiert. Es gab danach zahlreiche Kongresse und Demonstrationen und es bildete sich ein Ideologieamalgam heraus, der als Neozapatismus bezeichnet wird. Die zapatistischen Slogans "Eine andere Welt ist möglich" oder "Es haben viele Welten in dieser Welt Platz" wurden auch deshalb so oft verwendet, weil sie sehr vage und auslegbar sind.

Einige Jahre taugten diese Slogans dazu, einen ebenso vagen Widerstand am Leben zu halten, der nicht wirklich den Kapitalismus ins Visier nahm, sondern eine bestimmte Ausprägung, den Neoliberalismus. Oft hatte man den Eindruck, dass mit der Globalisierung ausgerechnet das am Kapitalismus angegriffen wird, was nach Karl Marx, zu dessen Verdiensten zählt und auch die Basis für eine nachkapitalistische Gesellschaft sein sollte, wenn sie nicht hinter den Stand der bürgerlichen Gesellschaft zurückfallen soll.

Noch die globalisierungskritische Bewegung, die vor 20 Jahren einen kurzen Aufschwung hatte, wärmte sich an der Glut der zapatistischen Revolte. Ihr Niedergang hat viele auch objektive Gründe. Solche Bewegungen haben Auf- und Abschwünge. Aber zum schnellen Abschwung der globalisierungskritischen Bewegung haben sicher auch manche neozapatistischen Postulate beigetragen. Nehmen wir nur die Aussage, dass in dieser Welt viele Welten Platz haben. Auf kultureller Ebene ist das sicher zutreffend. Doch auf ökonomischer Ebene trägt sie zur Verwirrung bei. Eine nichtkapitalistische Gesellschaft kann auf Dauer nicht mit dem Kapitalismus koexistieren, wie das Scheitern des Staatssozialismus zeigte.

Debatte über zapatistische Theorie und Praxis

Die aktuelle Reise der zapatistischen Delegation nach Europa könnte sicherlich auch Gelegenheit bieten, über solche und andere Fragen genauer zu diskutieren. Fast drei Jahrzehnte nach dem zapatistischen Aufstand im Süden Mexikos wäre es an der Zeit, eine Debatte zu beginnen, welchen Beitrag die neozapatistische Ideologie für die Linke weltweit geleistet hat und sie weiter entwickelt werden kann. Die Reise der Zapatistas könnte die Gelegenheit sein, eine solche Debatte zu beginnen. Doch es muss sich zeigen, ob sie genutzt wird.

Zunächst müssen die Aktivisten gegen die Realität der Festung Europas kämpfen, wo genau kontrolliert wird, wer einreisen darf und wer nicht. Am Mittwoch muteten die Proteste gegen die Einreisebeschränkungen teilweise hippiesk an - wie in Jena, wo getrommelt wurde und kleine Papierschiffchen in einen Bach ausgesetzt wurden.

Was die zapatistische Delegation jetzt erleben muss, ist aber für viele Menschen aus Süd- und Mittelamerika Alltag. Sie bemühen sich oft jahrelang um Visa und brauchen oft Bürgen, die sich verpflichten, für alle Kosten während ihren Aufenthalt im EU-Raum aufzukommen, damit sie überhaupt einreisen können. Andererseits leben und arbeiten hier viele "undokumentierte" Menschen aus Lateinamerika und kämpfen in der Kampagne "Legalisierung jetzt" für ihre Rechte. Die Forderung "Grenzen auf", die jetzt von den Unterstützern der zapatistischen Delegation erhoben wird, könnte verallgemeinert werden - denn nur der gesicherte legale Aufenthalt verhindert auch die Ausnutzung der Betroffenen als billige Arbeitskräfte.