Warum der Assange-Unterstützer Craig Murray in Haft sitzt

Protestaktion gegen die Inhaftierung von Craig Murray in Edinburgh. Foto: FreeCraigMurray / CC-BY-SA-4.0

Die Britische Justiz hat Ihrer Majestät wohl ehrlichsten Diplomaten weggesperrt

Der Schock sitzt tief bei den Pro-Wikileaks-Aktivisten. Der britische Ex-Botschafter in Usbekistan, Craig Murray, musste am 1. August eine achtmonatige Haftstrafe antreten. Sein Polit-Blog war in den letzten zwei Jahren zum Herz der Proteste gegen den Schauprozess geworden, den die Briten Julian Assange in London machen. Während westliche Mainstream-Journalisten immer wieder die Bezichtigungen der US-Ankläger gegen den Wikileaks-Gründer nachbeten, erfuhr man bei Murray, was die Zeugen der Verteidigung zu sagen hatten. Etwa der Menschenrechtsanwalt Clive Stafford Smith, der Verhörmethoden der US-Besatzungstruppen in Afghanistan beschrieb, darunter Genitalverstümmelung und Erschießung anderer "Verdächtiger" zur Einschüchterung der Überlebenden.

Justiz-Kritiker aus dem Verkehr gezogen

Offizieller Grund für die Inhaftierung des zu ehrlichen Prozessbeobachters ist die Verletzung des Verbots der Ermöglichung von "jigsaw identification": Craig Murray soll bei seiner Berichterstattung in einem ganz anderen politischen Prozess so viele Details über die (angeblichen) Opfer genannt haben, dass deren Identifikation möglich sei. Murrays Verteidigung, andere Journalisten hätten mehr Details ausgeplaudert als er, wischte das Gericht vom Tisch und inhaftierte mit dem Justiz-Kritiker Murray sogar erstmals einen Journalisten wegen dieses Straftatbestands, so die Murray-Unterstützer.

Craig Murray wird die Londoner Justiz nun nicht mehr in ihrem Vorgehen gegen Julian Assange stören können. (Schon als britischer Botschafter in Usbekistan wollte er über die Folter des dortigen Regimes nicht schweigen und wurde deshalb nach nur zwei Jahren 2004 von London abberufen.) Angenehmer Nebeneffekt der aktuellen Strafverfolgung für die befreundete CIA: Murray, dem im Vorfeld schon sein Reisepass abgenommen wurde, konnte nicht nach Madrid ausreisen. Dort hätte er gegen die CIA-Auftragsfirma UC Global aussagen sollen, die sowohl Assange als auch Murray mit kriminellen Methoden ausspionierte.

Der politische Prozess, der nun für die Strafverfolgung von Murray herhalten musste, war ebenfalls heikel für die britische Regierung: Es ging um angebliche sexuelle Verfehlungen des schottischen Regierungschefs Alex Salmond, eines Verfechters der Unabhängigkeit Schottlands von London. Salmond musste wegen des von den Medien daraus gemachten Sexskandals zurücktreten, zu Gunsten einer gemäßigteren Vertreterin seiner Partei. Salmond wurde im März 2020 übrigens in allen Anklagepunkten freigesprochen - seine Karriere war trotzdem ruiniert. Er trat bei Wahlen inzwischen vergeblich mit einer anderen schottisch-separatistischen Partei an. Craig Murrays für Salmond wohlwollende Berichterstattung war der britischen Justiz vermutlich kein Genuss, Murray dabei angeblich strafbare Enthüllungen nachzusagen, wohl eher.

Ein unerwünschter Beobachter

Es war fast ein Geheimprozess, den die Justiz des einst mächtigen Britischen Empire gegen Julian Assange führte, ein Prozess, von dem die Öffentlichkeit - abseits kleiner Polit-Blogs kaum etwas erfahren sollte. Denn für das skandalöse Verfahren gab es im Zuschauerraum nur läppische 16 Plätze für die Öffentlichkeit. Nicht jeder Journalist schaffte es, so früh aufzustehen wie Craig Murray (der von zahlreichen Helfern dabei unterstützt wurde, die ihm den Platz freihielten). Der ehemalige Diplomat und Botschafter hatte es geschafft, jeweils einen der raren Plätze zu bekommen. Besonders seinen Reportagen über die vier wichtigsten Verhandlungstage verdankte die Weltöffentlichkeit Einblick in den Londoner Schauprozess mit beschränktem Pressezugang.

Schon am ersten Tag, berichtete Murray, wurden der Verteidigung rigoros Rechte entzogen: Kein Recht auf Benennung neuer Zeugen, Zeugenbefragung nur 30 Minuten. Dank Craig Murray erfuhren wir auch warum: Die Zeugen Clive Stafford Smith und Mark Feldstein ließen trotz Zeitbeschränkung mit ihren Aussagen die Anklage schlecht aussehen, die dem angeblich "gewöhnlichen Kriminellen" Assange politische Bedeutung und journalistische Tätigkeit absprechen wollte. Die Zeugen der Verteidigung enthüllten brutale Verbrechen der USA: Minsker Folterhaft bei Lukaschenko erscheint wie Urlaub, verglichen mit der Behandlung Verdächtiger durch die US-Streitkräfte, wie WikiLeaks sie enthüllte. Unsere "Qualitäts-"Medien duckten sich vor den im Londoner Prozess ans Licht gezerrten Fakten weg, aber Craig Murray berichtete weiter.

Clive Stafford Smith dankte Wikileaks

Der zweite Zeuge der Verteidigung, der Menschenrechtsanwalt Clive Stafford Smith, hatte in zahlreichen Prozessen Opfer staatlicher Willkür verteidigt und auch schon gegen die US-Regierung geklagt. Dokumente von WikiLeaks, so Smith, enthüllten brutale Methoden der US-Streitkräfte bei der Behandlung Verdächtiger in Afghanistan, wo aus einer Gruppe von Zeugen willkürlich einer exekutiert wurde, um die anderen in Angst zu versetzen, bei Verhören schlimmste Schmerzen zugefügt wurden - von Aufhängen an Handgelenken bis zu Genitalverstümmelungen. Diese Beweise dienen potenziell dem Internationalen Strafgerichtshof mit Sitz in Den Haag für die Anklagen der Folterknechte (die US-Regierung reagierte mit Erpressungsversuchen gegen das Gericht per Sanktionen).

In London dienten diese unbequemen Wahrheiten der Verteidigung von Julian Assange als Beweise für die enorme rechtsstaatliche und politische Bedeutung der Leaks, für die Assange angeklagt wird. Und damit als Beweise für eine potentielle Motivation der US-Ankläger, sich für die Bloßstellung von US-Behörden zu rächen, weitere Enthüller abzuschrecken, damit Verbrechen gegen die Menschlichkeit ungehindert fortgesetzt werden können. Craig Murray führte aus:

Clive Stafford Smith sagte, er sei "zutiefst schockiert" über die Verbrechen der US-Regierung gegen seine Klienten. Dazu gehörten Folter, Entführung, illegale Inhaftierung und Mord. Die Ermordung eines Häftlings am Flughafen Baghram in Afghanistan war als zulässige Befragungstechnik gerechtfertigt, um anderen Häftlingen Angst zu machen. Im Jahr 2001 hätte er nie geglaubt, dass die US-Regierung solche Dinge hätte tun können.

Stafford Smith sprach von der Verwendung spanischer Inquisitionstechniken wie Strapado oder dem Hängen an den Handgelenken, bis sich die Schultern langsam verschieben. Er erzählte von der Folter von Binyam Mohammed, einem britischen Staatsbürger, dessen Genitalien täglich mit einer Rasierklinge geschnitten wurden. Die britische Regierung hatte ihre rechtlichen Verpflichtungen gegenüber Binyam Mohammed gebrochen und der BBC die Erklärung zugespielt, die er unter Folter hatte gestehen müssen, um ihn zu diskreditieren.

Gericht am Ende taub für Argumente

Wie wir jetzt wissen, stellte sich die britische Richterin am Ende taub für alle Argumente der Verteidigung und lehnte die Auslieferung ihres von ihr in Folterhaft gehaltenen Häftlings an die USA allein aus gesundheitlichen Gründen ab. Er war durch Isolationsfolter und andere Drangsalierungen so geschwächt, dass UNO-Experte für Folterfälle, Nils Melzer seine sofortige Freilassung forderte - allein aus humanitären Gründen.

Aber: Melzer fordert die Freilassung von Julian Assange nach gründlicher Prüfung der gegen ihn erhobenen Vorwürfe auch, weil Assange kein einziges strafbares Fehlverhalten nachgewiesen werden konnte, sich vielmehr die Hauptanklagepunkte eines "Vergewaltigungsverdachts" als in einer Justizintrige konstruiert erwiesen haben. Zuletzt fiel bekanntlich noch ein Hauptbelastungszeuge der US-Anklage um und bekannte, ein FBI-Spitzel bei Wikileaks gewesen und von US-Behörden zu falschen Bezichtigungen gegen Assange motiviert worden zu sein.

Der Juraprofessor Melzer fordert eine Freilassung nach gründlicher Prüfung des Verfahrens allein schon deshalb, weil die Behandlung von Julian Assange nicht westlichen Rechtsstandards entspricht. Unsere westlichen Leitmedien vertuschten die Erkenntnisse von Melzer und präsentieren den Justizskandal des Jahrhunderts im Großen und Ganzen weiterhin als ein ganz normales Auslieferungsverfahren. Erst jüngst entdeckte Telepolis-Autor Ortwin Rosner in einer Meldung der Wiener Nachrichtenagentur APA die verleumderische Wiederholung von Bezichtigungen der US-Behörden gegen Assange, die längst widerlegt sind, inklusive des Vergewaltigungsvorwurfs, den die schwedische Justiz gar nicht mehr aufrechterhalten hatte.

Nur in winzigen Feigenblatt-Meldungen lässt der Mainstream hie und da kleine Andeutungen der skandalösen Wahrheit durchschimmern, um den Schein freier Berichterstattung mühsam aufrecht zu erhalten. Es bleibt seit zehn Jahren kritischen Politblogs im Internet überlassen, auch jene Fakten zu nennen, die unsere Herrschaftseliten gern verbergen würden.

Siehe auch:

Buchbeitrag von Sies, Hannes (2021): Schauprozess gegen Julian Assange: Fanal für Presseunfreiheit, in: Klaus-Jürgen Bruder, Almuth Bruder-Bezzel (Hg.) Macht: Wie die Meinung der Herrschenden zur herrschenden Meinung wird, Frankfurt/M.: Westend Verlag 2021 (S.237-250).