Radverkehr: Warum Autos in den Städten Platz machen sollen

Seit der Corona-Krise boomt der Fahrradhandel. In Frankreich gibt es auch staatliche Zuschüsse für Reparaturen. Foto: Free-Photos auf Pixabay (Public Domain)

Der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club fordert ein "Verkehrswendeministerium" – und das Volksbegehren "Berlin autofrei" nimmt die erste Hürde

Als Alternative zu potentiell verkeimten U-Bahn-Waggons und zu Sportgeräten im geschlossenen Fitnessstudio hat das Fahrrad in der Corona-Krise an Bedeutung gewonnen. Viele wollen es auch in Zukunft häufiger nutzen. Die erhöhte Nachfrage auf dem Weltmarkt hat zu anhaltenden Lieferengpässen geführt; und in Frankreich sind auf Fahrradreparaturen staatliche Zuschüsse in Höhe von 50 Euro gewährt worden.

50 Millionen E-Autos sind nicht die Lösung

Radfahren ist gesund - zumindest dort, wo es halbwegs sichere Radwege gibt und die Feinstaubbelastung sich in Grenzen hält. Der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC) sieht hier aber in Deutschland noch viel Verbesserungsbedarf – und betont, dass der Radverkehr eine Schlüsselfunktion für die ökologisch nötige Verkehrswende hat. "Um die katastrophalsten Folgen der Klimakrise abzuwenden, reicht es nicht, 50 Millionen Autos auf E-Antrieb umzustellen - und im Übrigen weiterzumachen wie bisher. Wir brauchen eine völlig neue Mobilitätskultur, in der es selbstverständlich ist, täglich das Rad zu benutzen", erklärte ADFC-Bundesgeschäftsführerin Ann-Kathrin Schneider, nachdem am Montag der Weltklimarat seinen erwartungsgemäß alarmierenden Bericht veröffentlicht hatte.

"Mit einem Verkehrsministerium, das in der Förderpolitik und beim Gesetzesrahmen weiter den Autoverkehr priorisiert, klappt das nicht", so Schneider. Nötig sei in der nächsten Wahlperiode ein "Verkehrswendeministerium", das in den ersten 100 Tagen ein neues Straßenverkehrsgesetz vorlege - mit klarem Vorrang für klima- und umweltfreundliche Verkehrsarten. Deutschland müsse ein "Fahrradland" mit lückenlosen Radwegenetzen werden – dafür sei statt kurzatmiger Sonderprogramme eine gesetzlich geregelte Finanzierung nötig.

Dass ausgerechnet Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) sich selbst als "Fahrradminister" bezeichnet hat, hält der ADFC für Kalkül, sieht es aber auch positiv – als weiteres Indiz dafür, dass das Fahrrad "im Trend" liegt. Scheuer war 2019 zum Thema "sicherer Radverkehr" nichts besseres eingefallen, als mit leicht bekleideten Models für das Tragen von Fahrradhelmen zu werben – was ihm nicht nur einen Sexismus-Vorwurf einbrachte, sondern auch den Ärger von Radfahrenden, die bereits Helme tragen und sich mit ihrer Forderung nach mehr sicheren, baulich von der Fahrbahn für Autos getrennten Radwegen nicht ernst genommen fühlten.

"Berlin autofrei" ist nicht chancenlos

Mehr Platz für Fahrräder, Straßencafés und Grünflächen will auch die Bürgerinitiative "Volksentscheid: Berlin autofrei" schaffen. Vergangene Woche hat sie 50.333 Unterschriften an die Berliner Senatsinnenverwaltung übergeben - ein stolzer Puffer für alle Eventualitäten, denn um ein Volksbegehren einzuleiten, sind nur 20.000 erforderlich. Gesammelt wurden sie von Ende April bis Ende Juli - die sechsmonatige Frist war noch lange nicht abgelaufen. Die Initiative will durchsetzen, dass alle Straßen innerhalb des Berliner S-Bahn-Rings zu autoreduzierten Bereichen erklärt werden. Private Autofahrten sollen dort nur noch zwölfmal im Jahr erlaubt sein.

Ist so etwas mehrheitsfähig? - Völlig undenkbar ist das nicht, denn in Berlin besitzt nicht einmal jeder zweite Haushalt ein Auto. Auf dem Land sieht es mangels Alternativen zwar anders aus. Aber wer eine drastische Reduzierung des Autoverkehrs in Großstädten für schlecht vermittelbar hält, sollte vielleicht einen Blick nach Paris werfen. Die dortige Oberbürgermeisterin Anne Hidalgo wurde 2020 wiedergewählt, obwohl – oder auch weil – sie klipp und klar angekündigt hatte, von mehr als 83.000 Autoparkplätzen im öffentlichen Raum 60.000 ersatzlos zu streichen.

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