"Hitler als christlicher Staatsmann"

Reichskanzler Adolf Hitler verneigt sich am 21. März 1933 vor dem Reichspräsidenten P. v. Hindenburg. Diese Aufnahme von Theo Eisenhart (New York Times) wurde - auch abgewandelt mit gezielt unterbelichtetem Hintergrund - zur "Ikone des Tags von Potsdam". Bild: Bundesarchiv, Bild 183-S38324 / CC-BY-SA 3.0

Dietrich Kuessner lenkt den Blick auf die "Kirchliche Mitte", die ein konfliktfreies Nebeneinander von Nationalsozialismus und Evangelischer Kirche praktizierte - Kirche & Weltkrieg (Teil 9)

Zum heutigen Antikriegstag sei daran erinnert, wie breit in Deutschland nach 1933 die Unterstützung für die Militärreligion der Nationalsozialisten gewesen ist. So war auch die übergroße Mehrheit der evangelischen Kirchenglieder aller Schattierungen Hitler hinterhergelaufen und hatte die NS-Kriegspolitik gestützt. Nach der Niederwerfung des deutschen Faschismus 1945 verkürzte sich die Wahrnehmung jedoch auf den Gegensatz zwischen "Bekennender Kirche" (BK) und "Deutschen Christen" (DC).

Die "Bekennenden" hatten sich der religiösen Gleichschaltung widersetzt, behielten jedoch in den meisten Fällen ihre nationalprotestantische Prägung bei und teilten nur sehr selten die Anschauung Dietrich Bonhoeffers, man müsse dem Todesrad des 3. Reiches in die Speichen fallen.

Die "Deutschen Christen" exkommunizierten hingegen den Juden Jesus und arisierten als Nationalsozialisten den Protestantismus gemäß ihrem völkischen Glaubensbekenntnis. Man hatte eine völlig neue Deutschreligion geschaffen, sang aber weiter viele von Kindestagen an eingeübte Choräle.

Das erfolgreiche "Modell Volkskirche" im 3. Reich

Der interne Kirchenkampf zwischen diesen beiden "Fraktionen" betrifft jedoch nur einen Ausschnitt der historischen Wirklichkeit 1933-1945. Das zeigt der evangelische Theologe Dietrich Kuessner in seiner Studie über das Bild von "Hitler als christlichem Staatsmann", die er jetzt in einer überarbeiteten Neufassung dem Editionsprojekt Kirche & Weltkrieg" beigesteuert hat.

Das Buch lenkt den Blick wieder auf die am erfolgreichen "Modell Volkskirche" ausgerichtete "Kirchliche Mitte", die abseits der Gruppenbildung allen ernsthaften Konflikten aus dem Weg ging, zu denkbar schändlichen Kompromissen bereit war und sich durch eine absurde Irrlehre über den Staatsgehorsam von vornherein widerstandsunfähig machte.

Hitlers wiederholt und gezielt eingesetzte Selbstinszenierung als "christlicher Staatsmann" wurde dankbar aufgegriffen. Am 23. März 1933 hatte der "Führer" in seiner Regierungserklärung den Kirchen ja sein Angebot für ein "christliches Nazi-Deutschland" unterbreitet: "Die Sorge der Regierung gilt dem aufrichtigen Zusammenleben zwischen Kirche und Staat; der Kampf gegen eine materialistische Weltanschauung, für eine wirkliche Volksgemeinschaft dient ebenso den Interessen der deutschen Nation wie dem Wohle unseres christlichen Glaubens." Das Kirchentum profitierte:

Es waren im Laufe des Jahres 1933: 324.451 Personen in die Kirche eingetreten. Das war die höchste Eintrittsziffer seit 1900. Die Eintritte hielten auch in den nächsten Jahren unverhältnismäßig hoch an. Die Zahl der Austritte nahm entsprechend ab. 1933, 1934, 1935 überstiegen die Eintritte die Austritte. Die Kircheneintritte entsprachen der volkstümlichen Stimmung: "Hitler ist für die Kirche - dann müssen wir als gute Nationalsozialisten auch für die Kirche sein."

Dietrich Kuessner: Hitler als christlicher Staatsmann, S. 59

In manchen Konfirmandenstunden wird jungen Christenmenschen heute vielleicht immer noch erzählt, die Kirche sei im Großen und Ganzen ein Opfer der Verfolgung durch den Hitlerismus gewesen. Doch in Wirklichkeit hatte die harmonisierende Behördenkirche der evangelischen "Mitte" sich steigender Geldeinnahmen erfreut und ziemlich reibungslos funktioniert.

Das liturgische Gebet für den "Führer", dem die Pfarrer einen Treue-Eid leisteten, war verpflichtend. Die Nachfrage nach "Kasual"-Dienstleistungen (Taufen, Trauungen, Bestattungen) blieb - trotz mancher regionaler Einbrüche - auf sehr hohem Niveau bestehen. Das staatlich gestützte Einzugsverfahren bei den Kirchenbeiträgen ließ Hitler gemäß Zusage unangetastet, was bei den Großkirchen zu erstaunlichen Steigerungsraten führte:

Die Entwicklung der Kirchensteuer war seit 1934 für die katholische und evangelische Kirche sehr günstig. Sie stieg von 159 Millionen RM (1934) auf 197 Millionen RM (1935), auf 257 Millionen RM (1937) und auf 316 Millionen RM (1938). Der Anteil der evangelischen Kirche lag jeweils etwas höher als der Anteil der katholischen Kirche.

D. Kuessner: Hitler als christlicher Staatsmann, S. 149

Während des Weltkrieges festigte sich das bereits erprobte Nebeneinander von Nationalsozialismus und Evangelischer Kirche. Die Kirchen hatten 1933 ohne öffentlichen Protest zugeschaut, als Hitler die - auch seitens der "Frommen" gewünschte - innenpolitische "Säuberung vom Bolschewismus" durch eine blutige Verfolgung der Linken (einschließlich Folter, Mord und Konzentrationslagerhaft) umsetzte.

Zum Auftakt des Vernichtungskrieges gen Osten - zur Ermordung von am Ende etwa 27 Millionen Menschen in der Sowjetunion - wollte man im Sommer 1941 nicht nur zuschauen, sondern lautstark ein Zeugnis der Unterstützung ablegen:

Die provisorische, vorübergehende Gesamtkirchenleitung der Evangelischen Kirche, der Geistliche Vertrauensrat, nahm in seinem Telegramm am 30.6.1941 darauf Bezug: "Sie haben, mein Führer, die bolschewistische Gefahr im eigenen Land gebannt und rufen nun unser Volk und die Völker Europas zum entscheidenden Waffengang gegen den Todfeind aller Ordnung und aller abendländisch-christlichen Kultur auf. Das deutsche Volk und mit ihm alle seine christlichen Glieder danken Ihnen für diese Ihre Tat."

D. Kuessner: Hitler als christlicher Staatsmann, S. 123

"Das haben wir nicht gewollt"

Bestens vertraut mit dem Innenleben des NS-Staates war als Leiter der Kirchenkanzlei in Berlin Oberkonsistorialrat Heinz Brunotte. Dietrich Kuessner erinnert daran, wie dieser Funktionär der "Behördenkirche" 1945 die Niederwerfung des Hitlerfaschismus wahrgenommen hat: Die aus den Konzentrationslagern befreiten Menschen waren für ihn "Sträflinge", die in ihr "altes asoziales Verhalten" zurückfielen und "alle Vorräte auffraßen".

Nachdem ein Pfarrer die Leichenberge in Bergen Belsen unfreiwillig mit vielen anderen Bürgern hatte mit ansehen müssen und in sein Celler Pfarrhaus zurückgekehrt war, stammelte er nur leichenblass: "Das haben wir nicht gewollt." Dieser Satz wurde im Sommer 1945 zur Standardbehauptung des konservativen Bürgertums, das sich durch Gedächtnisverlust und innere Abspaltung auszeichnete.

Umgangen wurde auch die naheliegende Frage, ob die Kirche durch die Anerkennung Hitlers als Obrigkeit an Terror und Massenmord mitschuldig geworden war. Die "Kirchliche Mitte" schickte sich alsbald an, Kirchenleitbild und neue Ämterverteilung in ihrem Sinne zu regeln.