Schüler in Deutschland: Nach sozialem Status aussortiert

In kaum einem anderen Land hängt der Bildungserfolg der Kinder so stark vom sozialen Status der Eltern ab. Politiker wollten das ändern; aber es blieb bei Lippenbekenntnissen

An deutschen Schulen hat sich wenig getan in den letzten 20 Jahren - noch immer hängt Bildung vom sozialen Status der Eltern ab, so stark wie in fast keinem anderen Land der OECD. Bei der PISA-Untersuchung von 2018 belegte Deutschland Platz 33 unter 36 teilnehmenden Ländern. Bei der ersten PISA-Studie im Jahre 2001 war die Bundesrepublik das Schlusslicht in der Rangliste.

"Die PISA 2000-Studie zeigte, dass in keinem Land das Ausmaß sozialer Ungleichheit unter den Schülerinnen und Schülern OECD-weit so groß war wie in Deutschland", schreibt der Bildungsforscher Klaus Klemm in einer aktuellen Studie, die er für den Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) verfasst hat. Bis heute habe sich nichts verbessert, stellt darin der emeritierte Professor für Bildungsforschung und Bildungsplanung an der Universität Duisburg-Essen fest. Ein echter Fortschritt sei nicht zu erkennen.

Die Studie trägt den Titel: "Alle Jahre wieder - zur Konstanz sozialer Ungleichheit in und durch Deutschlands Schulen". Klemm hat dafür die Ergebnisse mehrerer nationaler und internationaler Leistungsstudien ausgewertet, die in Grundschulen und in den weiterführenden Schulen für die gesamte Bundesrepublik durchgeführt wurden. Vor allem die Studien aus dem Zeitraum vom Jahr 2000 bis zum Jahr 2019 waren dabei von Interesse.

Für die Grundschulen wurden die vierten Klassen betrachtet, deren Leistungen unter anderem in der Internationalen Grundschul-Lese-Untersuchung (IGLU) gemessen werden. Die mathematischen und naturwissenschaftlichen Kenntnisse wurden in den TIMS-Studien analysiert.

Klemm kommt mit seiner Untersuchung zu dem Ergebnis: In den Grundschulen biete sich "zum Teil das Bild einer Stagnation, teils aber auch das einer tendenziellen Verschärfung sozialer Ungleichheit". Je nach sozialer Stellung der Eltern gingen die Fähigkeiten beim Lesen weiter auseinander. In den Bereichen Mathematik und Naturwissenschaften wurde der Unterschied zwischenzeitlich kleiner, vergrößerte sich in den letzten Jahren aber wieder fast auf das Ausgangsniveau.

Beim Übergang von Grundschule zum Gymnasium zeigte sich jetzt deutlicher als zuvor die soziale Selektion. Schon für 2001 konnte nachgewiesen werden, dass es für Arbeiterkinder schwieriger war, von den Lehrern eine Gymnasialempfehlung zu bekommen, als für Kinder von Eltern mit höherem sozialem Status. Bei Letzteren lagen die Chancen um den Faktor 2,63 höher als bei ersteren - bei gleich guten Schulleistungen. In den Jahren bis 2016 verstärkte sich der Trend: "von 2,63 auf 3,37".

Dieses eklatante Ausmaß schichtspezifischer Benachteiligung wird in seinen Auswirkungen nur sehr geringfügig dadurch abgeschwächt, dass in den vergangenen Jahren die nicht gymnasialen Schulangebote, die auch zur Erlangung der Hochschulreife führen können, ausgebaut wurden.

Klaus Klemm

In den weiterführenden Schulen sah es nach der Veröffentlichung der ersten PISA-Studie zunächst nach einer positiven Entwicklung aus: Die soziale Ungleichheit wurde geringer.

Dieser Reduzierung folgt dann bis 2018 eine überwiegend durch Stagnation bzw. teilweise auch durch einen Wiederanstieg geprägte Phase, in der keine Zeichen eines weiteren Abbaus von sozialer Ungleichheit in und durch Schulen zu beobachten ist.

Klaus Klemm

Die Ergebnisse der ersten PISA-Studie hatte Edelgard Bulmahn zu jener Zeit Bundesbildungsministerin als "alarmierend" bezeichnet. All jene müssten unterstützt werden, "die beim Zugang zu Bildung und Ausbildung benachteiligt sind", sagte die Sozialdemokratin damals weiter. Das sei nicht nur ein Gebot der sozialen Gerechtigkeit, sondern auch eine ökonomische Notwendigkeit.

Jetzt stellte Klemm fest: Bulmahns Mahnung blieb ohne Folgen. Außer warmer Worte hatten Schüler nicht viel von der Politik zu erwarten. Der Studie hat der DGB eine Sammlung von Politiker-Zitaten angehangen, welche die Lippenbekenntnisse zur Bildungsgerechtigkeit dokumentieren.