Ausgebremste Autoshow

Die Security-Kräfte der Messe forderten neugieriges Laufpublikum zum Weitergehen auf, als der Mercedes-Pavillon vorübergehend gekapert worden war. Foto: Telepolis / claw

4.500 Polizeibeamte konnten nicht verhindern, dass die Umwelt- und Klimabewegung der IAA in München ihren Stempel aufdrückt

Für die Protestbewegung sind es trotz Repression erfolgreiche Tage: Ein möglichst reibungsloser Ablauf der Automesse IAA Mobility war das Ziel des Polizeieinsatzes, den Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) als größten seit 20 Jahren in der Landeshauptstadt angekündigt hatte. Dass dies gründlich misslingen würde, hatte sich bereits am Dienstag abgezeichnet, als sich zum Auftakt der Messe mehrere Personen von Autobahnbrücken abgeseilt und vorübergehend den Verkehr rund um München lahmgelegt hatten.

Daraufhin war die Polizei mit rund 4.500 Beamten eifrig bemüht, weitere Stör- und Protestaktionen der Umwelt- und Klimabewegung im Keim zu ersticken. Selbst eine satirische Stadtführung, die ohne Fahnen und Transparente zu den "Open Spaces" der IAA führen sollte, war am Mittwochabend von einer Hundertschaft Polizei im U-Bahnhof Odeonsplatz gestoppt worden, um die Personalien der Beteiligten festzustellen.

Das Mobilitätswende-Camp von rund 1.500 Aktiven auf der Theresienwiese wurde mit mehreren Polizeifahrzeugen und zeitweise auch mit einem Helikopter überwacht. Auch ansonsten lagen die Nerven blank: Nach Angaben des Netzwerks Attac wurden am Donnerstag drei seiner Aktiven für jeweils zwölf Stunden in Gewahrsam genommen und ihre Hostel-Zimmer durchsucht, weil in ihrem Gepäck Sprühkreide und ein Banner gefunden worden waren. "Wir erleben grade, wie München für die Selbstdarstellungs-Show der Autoindustrie bei der IAA in eine rechtsstaatsfreie Zone verwandelt wird", kommentierte dies Judith Amler vom bundesweiten Attac-Koordinierungskreis.

"Open Spaces" für zivilen Ungehorsam genutzt

Dennoch gelang es am Freitag den Aktionsbündnissen Sand im Getriebe, #NoIAA, #SmashIAA und Ende Gelände, den "Open Spaces" der Messe im gesamten Stadtgebiet ihren Stempel aufzudrücken. Der Mercedes-Pavillon auf dem Odeonsplatz musste sogar zeitweise schließen, weil es mehreren Aktiven gelang, ihn zu blockieren, zum Teil sein Dach zu erklimmen und Banner mit den Slogans "No IAA" und "Car is over" herunterzulassen.

In der Karlstraße unweit vom "Open Space" auf dem Königsplatz wurden ein leer stehendes Haus und die Fahrbahn vorübergehend besetzt. Samba-Trommeln und Sprechchöre wie "Klima schützen ist kein Verbrechen" wechselten sich dort ab, Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) wurde mit der Parole "Andi Scheuer auf den Mond, das ist Raumfahrt, die sich lohnt" gewürdigt.

Die Polizei setzte Schlagstöcke und Pfefferspray ein und zerrte einzelne Personen aus der Versammlung. Im Zusammenhang mit der Hausbesetzung wurde auch ein taz-Journalist kurzzeitig festgesetzt, nachdem er direkt aus dem Gebäude hatte berichten wollen. Die Polizei warf ihm Hausfriedensbruch vor und verhängte gegen ihn ein Betretungsverbot für sämtliche IAA-Ausstellungsflächen. Sein Anwalt nannte die Maßnahme "offensichtlich rechtswidrig".

"Sprung in die Zukunft" als Luftnummer

Der Ford-Konzern hatte derweil auf dem Königsplatz ein Sprungbrett und ein überdimensionales Luftkissen platziert, damit interessierte Autofans spielerisch den "Sprung in die Zukunft" wagen konnten. Ob es nur ein Versehen war, die Zukunft der Autoindustrie als Luftnummer darzustellen, oder ob die Werbeagentur von der Gegenseite unterwandert wurde, ist nicht bekannt.

Jedenfalls ging das Konzept einer publikumsnahen Automesse in mehrfacher Hinsicht nicht auf. Geimpfte, getestete und vom Coronavirus genesene Besucher der "Open Spaces" mussten zum Teil ein Labyrinth aus Absperrbändern durchlaufen und ihre Taschen durchsuchen lassen. Trotzdem wurde am Freitagnachmittag auch noch der Audi-Stand auf dem Königsplatz blockiert.

Zum Aktionstraining am Donnerstag war auch die Presse ins Mobilitätswende-Camp eingeladen worden. Junge Menschen um die 20 hatten dort erklärt, warum sie sich für Aktionen des zivilen Ungehorsams entschieden haben - und dass sie unter einer echten Verkehrswende etwas anderes verstehen als "Greenwashing" durch den Verkauf von großen, schnellen Elektroautos, deren Strombedarf nicht nachhaltig gedeckt werden kann. Stattdessen fordern sie den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs und der Radwege sowie einen Baustopp für Autobahnen. Die Politik habe jahrelang "alles verschlafen, was man nur verschlafen kann". Wer Umwelt- und Klimaschutz wolle, müsse das jetzt eben selbst in die Hand nehmen.

Das Ziel sei nicht die Auseinandersetzung mit der Polizei, hatte Aktionstrainer Tadzio Müller betont. Von der Protestbewegung solle keine Eskalation ausgehen. Vielmehr gehe es darum, die Polizeiketten mit der "Fünf-Finger-Taktik" zu "durchfließen". Ruhig und besonnen, aber bestimmt. "Wir sind friedlich, was seid ihr?" wurde dann auch am Freitag gerufen, wenn die Polizei rüde gegen Teilnehmende von Sitzblockaden vorging.

Nach der Abseilaktion am Dienstag waren bereits neun Beschuldigte auf Grundlage des bayerischen Polizeigesetzes in Präventionshaft genommen worden. Sie sollten laut Beschluss des Amtsgerichts Erding erst zum Ende der Messe am Sonntagabend freigelassen werden. Gegen vier weitere Personen war Untersuchungshaft verhängt worden, da ihnen Nötigung und schwerer Eingriff in den Straßenverkehr vorgeworfen werden. Gegen die Präventionshaft legten allerdings fünf Betroffene erfolgreich Beschwerde ein und kamen bereits am Freitagabend frei.

Stadtregierung hat Glaubwürdigkeitsproblem, Söder ist stolz

Für diesen Samstag sind sowohl eine Großdemonstration von Attac und Umweltverbänden als auch eine Sternfahrt des Allgemeinen Deutschen Fahrradclubs (ADFC) angemeldet. 18 Umweltverbände und Initiativen hatten am Donnerstag in einem offenen Brief an die "grün-rot" regierte Stadt München die Ausrichtung der IAA kritisiert. Sie sprechen darin von einem "Missbrauch des öffentlichen Raums als Werbeträger der großen Automobilkonzerne". Das Versprechen, nachhaltige Mobilitätskonzepte in der Stadt direkt auszustellen und erlebbar zu machen, sei nicht eingehalten worden.

Der Stadtregierung mag das vielleicht noch ein bisschen peinlich sein. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) ist dagegen stolz auf den festlichen Staatsempfang, den er den Autobossen in der Münchner Residenz bereitet hat. Auf Facebook posteten er oder sein Social-Media-Team Fotos davon - verbunden mit der Behauptung, Bayern sei "Motor und Heimat der Mobilitätswende" und die IAA ein "wichtiger Impulsgeber: Mit Hightech verbinden wir erfolgreichen Klimaschutz und künftigen Wohlstand".