Finanzieren deutsche Botschaftsangestellte Nawalny?

Bild: Michał Siergiejevicz/CC BY 2.0

Eine von anonymen russischen Hackern veröffentlichte Liste unterstellt Einmischung in russischen Wahlkampf; Verstimmung zwischen dem russischen und deutschen Außenministerium

Eine von anonymen russischen Hackern veröffentlichte Liste verursacht eine neue Verstimmung zwischen dem russischen und deutschen Außenministerium. Sie enthält Namen von vorgeblichen deutschen Botschaftsbeschäftigten, die angeblich die Kampagne "Smart Voting" des Regierungskritikers Alexei Nawalny finanzieren sollen.

Die Nerven der Offiziellen liegen blank

Wenn es um das Thema ausländische Einmischung in die am kommenden Wochenende stattfindende russische Parlamentswahl geht, sind die Nerven der Offiziellen angespannt. Die Umfragen für die Regierungspartei sind nicht gut und mit der "Smart Voting"-Kampagne der Organisationen des inhaftierten Oppositionellen Nawalny, die mittlerweile offiziell als "extremistisch" erklärt wurden, gibt es ein Feindbild. Die Kampagne zielt darauf ab, dass alle oppositionell gesinnten Russen in jedem Wahlkreis nur den aussichtsreichsten Gegenkandidaten zur Kremlpartei unterstützen.

Selbst internationale Giganten im Bereich Social Media werden von der russischen Aufsichtsbehörde Roskomnadzor aufgefordert, Empfehlungen für "Smart Voting" zu blockieren - im Falle einer Weigerung droht ihnen die Behörde laut der Moskauer Zeitung Nesawisimaja Gaseta mit Geldstrafen in Millionenhöhe. Nawalny gilt den Behördenvertretern wegen seiner Unterstützung aus dem Westen als dessen Marionette und seine Kampagnen werden als westliche Wahlbeeinflussung gesehen.

Smart-Voting angeblich vor allem aus deutscher Botschaft finanziert

Besonders hellhörig wurden Russlands Offizielle deshalb, als im RuNET Anfang September eine Liste auftauchte, die angeblich Beschäftigte in westlichen Botschaften präsentiert, die Nawalny unterstützen und die auf seiner "Smart Voting"-Webseite registriert sein sollen.

Die Liste stammt angeblich von namentlich nicht bekannten Hackern, die nach eigenem Bekunden in den Besitz von Daten oppositioneller Webseiten gekommen sein sollen. Die Hacker wollen unter dem Namen "Komitee zum Schutz nationaler Interessen" Aufklärungsarbeit betreiben. Wer dahintersteckt, versuchte die bekannte russische Zeitung Kommersant zu ermitteln. Ein regierungsnaher Aktivist, der mit Foto auf der Seite zu sehen ist, bestritt gegenüber der Zeitung allerdings seine Beteiligung und weigerte sich, die Betreiber zu nennen. So bleibt die Quelle der Enthüllung auch für die russische Presse mysteriös.

Dreißig Personen stehen mit vollem Namen und Geburtsdatum auf der Liste. Der größte Teil, 16 Personen, soll in der deutschen Botschaft in Moskau arbeiten. Der Rest verteilt sich auf Vertretungen anderer westlicher Staaten. Es folgen 99 weitere Personen nur mit Registrierung bei "Smart Voting", davon wieder die Hälfte aus der deutschen Botschaft. Die Nachricht von der Liste wurde unkritisch auch von diversen prorusisschen Webseiten im deutschsprachigen Raum aufgenommen, die von "Tricks" sprachen, mit denen westliche Botschaften die radikale Opposition in Russland sponsern würden - und die Sachlage in Bezug auf die Liste als erwiesen darstellen.

Außenamtssprecherin Sacharowa wertet die Liste auf

Eine richtig große Nachricht wurde aus der ganzen Angelegenheit aber erst, als auch die russische Außenamtssprecherin Maria Sacharowa die Liste in einer ihrer Verlautbarungen im Netzwerk Telegramm als - nach ihrer Auffassung - "Beleg" dafür erwähnte, dass Nawalny von ausländischen Regierungen finanziert werde.

Prominent an erster Stelle erwähnt sie dabei die deutsche Vertretung. Ganz in ihrem kämpferischen Stil fragte sie, wie wohl die westliche Presse berichten würde, wenn Mitarbeiter russischer Auslandsvertretungen politische Kräfte im betreffenden Land in großer Zahl finanziell unterstützen würden.

Dementis des deutschen Außenministeriums und auch der ebenfalls erwähnten US-Botschaft folgten prompt. Da in deren Folge der oppositionelle TV-Sender Doschd die Eigenschaft einer Reihe von Leuten als Botschaftsbeschäftigte in Frage stellte, hakte Kommersant nach - direkt bei Leuten, die auf der besagten Liste standen. Viele Betroffene wollten mit der Zeitung reden, jedoch nicht alle unter Nennung ihres vollständigen Namens. Einige jedoch lassen sich durch volle Namensnennung verifizieren.

Kommersant fragt Betroffene

So gab ein Soziologe namens Grigory Judin an, er habe nie für eine ausländische Botschaft gearbeitet. Er habe seine eigene Meinung zu Nawalnys Smart Voting und diese sei öffentlich zugänglich - ihm zu unterstellen, er unterstütze das System durch Zwang oder nur aufgrund von Zuwendungen aus dem Ausland sei "Wahnsinn". Auch der gelistete Journalist Andrej Babitsky bestritt, überhaupt Geld von einer ausländischen Botschaft bekommen oder dort gearbeitet zu haben - laut Liste arbeitet er für die deutsche Schule in der Botschaft und das Goethe-Institut.

Einige Gesprächspartner der Zeitung gaben dagegen zu, tatsächlich bei der deutschen Botschaft beschäftigt zu sein. Zwei Gesprächspartnerinnen bestätigten, auf der Webseite "Smart Voting" registriert zu sein, das jedoch aus eigenen Stücken und ohne finanzielle Zuwendung oder Wissen ihres Arbeitgebers. Sie beklagten eine persönliche Verleumdung durch die anonymen Listenautoren. Die Mehrheit der kontaktierten Listenangehörigen steht von der Einstellung wohl der Opposition nahe, doch alle bestritten eine Mitwirkung an einer ausländischen Finanzierung von Nawalny.

So viel Mühe sich Kommersant dabei gab, aus unabhängiger Sicht Licht ins Dunkel der merkwürdigen Liste zu bringen, war dieser Versuch doch vergebens. Oppositionelle Russen oder große deutschen Medien werden in der Liste einen Versuch sehen, einige der ihren als "Auslandsagenten" zu diskreditieren. Westliche diplomatische Vertretungen argumentieren ebenso.

Putinisten in Russland wie in Deutschland werten die Liste dagegen als Beleg einer ausländischen Einmischung - ganz wie die Kreml-Medien. Ganz unabhängig von der Wahrheit, die dahintersteckt oder nicht, verkommt auch dieser Sachverhalt zu einer weiteren Episode in einem Krieg zweier Systeme - die sich beide nur für ihre eigenen Sichtweisen interessieren, die sich im Kampf um die Meinungshoheit instrumentalisieren lassen.