Raus aus dem Lagerdenken!

Bild Ampel: Dktue / Public Domain / Grafik: TP

Was für eine Ampel-Koalition spricht. Ein subjektiver Einwurf

Die Nacht steigt auf, s'ist Zeit, wir müssen fort, denn alles haben wir nun gesehen."

Dante "Die Göttliche Komödie"

Bei den kommenden Wahlen wählen wir bekanntermaßen nicht den Kanzler (auch nicht die Kanzlerin). Wir wählen das Parlament und glauben, Parteien zu wählen. Tatsächlich aber wählen wir auch keine Parteien. Wir wählen Koalitionen. Wir wählen zwischen verschiedenen Optionen und Wahrscheinlichkeiten der Kombination verschiedener Parteien.

Wahrscheinlich wird eine solche Koalition eine von drei Parteien sein, auch wenn weder eine Neuauflage der großen Koalition oder Schwarz-Grün komplett ausgeschlossen werden können.

Die Zeit schickt immer wieder sogenannte Umfragen, bei denen man aber nie erfährt, wie andere abstimmen, weil es eigentlich nur darum geht, persönliche Adressen herauszutricksen, um noch besser mit Werbebotschaften zu belästigen.

Trotzdem hätte mich neulich eine Umfrage um ein Haar dazu gebracht zu antworten: "Welche Koalition wünschen Sie sich?" Das beantworte ich dann ungefragt einfach hier: Eine Ampelkoalition! Jede Regierung ohne die Union ist mir erstmal grundsätzlich lieber als jede Regierung mit ihr. Alleine schon, weil es ein demokratisches Unding ist, dass eine Partei zwei Jahrzehnte lang am Stück regiert und sich den Staat zunehmend als Parteibesitz zu eigen macht. Und es nutzt keinem Land, auch unserem nicht, wenn eine Partei quasi als Staatspartei funktioniert.

Politische Altlasten

Das wichtigste Ziel bei der kommenden Wahl muss also lauten, die Union abzuwählen. Allerdings: Wenn ich ganz ehrlich bin, ist mir eine bestimmte Koalitionsoption noch unsympathischer als eine weitere mit Unionsbeteiligung: Rot-Rot-Grün. Ich gehöre zu jener "Mehrheit der Deutschen", die laut aktuellen Umfragen Die Linke im Bundestag "nicht vermissen würden".

Eine Ampel wäre auch aus einem zweiten Grund die meiner Meinung nach beste, also am meisten wünschenswerte Option: Die stupiden politischen Lagerbildungen müssen endlich überwunden werden! Diese Lagerbildungen sind politische Altlasten, die die Bundesrepublik noch aus den frühen Jahren unter Helmut Kohl mit sich herumschleppt, nach denen es einerseits das sogenannte "bürgerliche Lager" aus Union und FDP und andererseits das "Reformlager" aus SPD und Grünen gibt, und beide nichts miteinander zu tun haben. Als ob die SPD eine Reformpartei wäre und die Union so wahnsinnig neoliberal.

Dass Union und Grüne gut miteinander regieren können, beweisen sie in zwei Bundesländern und in vielen Großstädten. Jetzt ist es auch endlich fällig, die sozialliberale Option wiederzubeleben. Und damit die FDP auch stärker aus der babylonischen Gefangenschaft des Neoliberalismus wieder herauszuführen und an ihre bürgerrechtlich-liberalen Wurzeln und überhaupt an die Tradition des Liberalismus zu erinnern, die vom "Neoliberalismus", der eigentlich ein Neokonservatismus ist, nur pervertiert wurde.

Wenn es nämlich etwas werden soll mit einer tatsächlich wirksamen und nicht nur rhetorischen Klimapolitik und einer tatsächlich wirksamen Digitalisierung der Republik, dann braucht jede Regierung auch Mitglieder, die von der Industrie und "dem Kapital" nicht als Feinde gesehen werden. Ich kann nicht erkennen, wie dies ohne die FDP für ein rot-grünes oder gar rot-rot-grünes Bündnis möglich wäre. Von allem anderen, was dagegen spricht, einmal abgesehen.

Jede zukünftige "Lagerregierung" wäre zwangsläufig auch einer recht kompromisslosen "Lageropposition" ausgesetzt. Die gegenwärtige Rote-Socken-Kampagne der Union, so muffig und unwirksam sie auch daherkommt, gibt darauf einen Vorgeschmack. Wollen wir vier solche Jahre?

Letztes Argument für eine Ampel - und als zweitbeste Alternative für "Jamaika" und als drittbeste für Schwarz-Grün - ist, dass diese Modelle einer auch bürgerlich-elitären Regierung am ehesten die AfD austrocknen und ihr langfristig Wähler abspenstig machen können.

Denn die wahre Herausforderung, die der Einzug der AfD in den Bundestag vor vier Jahren bedeutet, ist noch nicht sichtbar geworden. Sie liegt darin, dass die AfD auf lange Sicht ein Bestandteil des Parlaments wird, und sich früher oder später wieder eine Chance ergeben wird, die diese Partei dann nutzt, um Ressentiment und Menschenverachtung an die Macht zu bringen oder zumindest im politischen Diskurs zu etablieren.

Die Hoffnung, dass sich die AfD selbst erledigen könnte, ist zwar immer noch nicht völlig unbegründet, aber nicht die wahrscheinlichste Option. Es braucht schon einen politischen Gegner, der den Kampf aufnimmt, und ihn klug führt.