"Bewaffnete Auslandseinsätze wird es unter mir höchstens in Thüringen geben"

Martin Sonneborn, 2019. Bild: Europäisches Parlament

Telepolis-Sommerinterview 2021 mit PARTEI-Chef Martin Sonneborn

Martin Sonneborn ist Vorsitzender der Partei Die PARTEI und Abgeordneter des Europäischen Parlaments.

Profiteurin des schwächsten Bundestagswahlkampfs aller Zeiten könnte Die PARTEI werden, die sich in diesem Sommer als einzige noch keine Negativschlagzeilen geleistet hat. Wir sprachen im traditionellen Sommer-Interview mit dem PARTEI-Vorsitzenden und Europaabgeordneten Martin Sonneborn, der im September auch ins Berliner Abgeordnetenhaus einziehen will.

Martin Sonneborn: Was heißt hier: 'keine Negativschlagzeilen', Kompa? Wir hatten an einem Tag einen absoluten Verriss bei Jungle World und diesem unappetitlichen Tichy, heißt der so? Das muss man erst mal schaffen …

Die etablierten Parteien haben Ihr Konzept "Satirepartei" kopiert und treten für das Bundeskanzleramt mit durchweg peinlichen Kandidaten an, die im richtigen Leben nicht einmal zum Vorstellungsgespräch eingeladen würden. Was will die PARTEI dem entgegensetzen?

Martin Sonneborn: Masse. Wir haben insgesamt 201 Kanzlerkandidat:innen. Jeder Wahlkreiskandidat wurde auch sofort Kanzlerkandidat. Einfach um das Attribut "Kanzlerkandidat" weiter zu beschädigen, nachdem die SPD damals einen chancenlosen Langweiler nominiert hatte.

Welche Talente hat Ihnen denn das Akademiker-Prekariat zugespielt?

Martin Sonneborn: Sie spielen darauf an, dass wir über drei Dutzend Wissenschaftler aufgestellt haben auf unseren Listen? Ich muss Sie enttäuschen, Herr Kompa, die meisten stehen in Lohn und Brot, es sind einige Professorinnen darunter. Wir werden in diesem Jahr die Fünf-Prozent-Hürde noch nicht schaffen; falls es aber doch passiert, schicken wir wenigstens Sachverstand in den Bundestag. Der fehlt.

Ist eine solch intellektuelle Wähleransprache denn zielführend? Angeblich kennen etwa 40 Prozent der Jugendlichen in Deutschland nicht den Unterschied zwischen Demokratie und Diktatur.

Martin Sonneborn: Es ist ja auch nur ein hauchfeiner Unterschied... Smiley. Dass die Übergänge fließend sind, kann man in Ungarn, Polen und Baden-Württemberg sehen. Wobei Baden-Württemberg an der Spitze liegen dürfte, was die Perfidie der Systemtransformation anbetrifft, unter dem grünlackierten Betonkapitalisten Kretschmann und seinem protofaschistischem Innenminister, Schäuble-Schwiegersohn Strobl.

Die PARTEI stand einst verlässlich für das Motto "Inhalte überwinden" - inzwischen von den Grünen gekapert. Stattdessen legen Sie nunmehr ein politisches Manifest mit konkreten Utopien vor, in dem Sie ein "Weniger-peinliche-Namen-Gesetz" fordern und "Wohlstand für Aale" versprechen. Setzt sich in der PARTEI ein Realo-Flügel durch?

Martin Sonneborn: Wohl kaum. Im Unterschied zu Grünen und SPD sind wir in der Lage, einen realpolitischen Flügel auszubilden, ohne Prinzipienverrat zu begehen. In seiner linken Juso-Phase forderte Kevin Kühnert die Vergesellschaftung von BMW, als ausgewachsener SPD-Realpolitiker stimmt er jetzt gegen die Forderung "Deutsche Wohnen enteignen". Die Grünen haben zwei ihrer drei Ideale über Bord geworfen, um regierungsfähig zu wirken: in den 80er Jahren haben sie zur Abschaffung der Nato aufgerufen, heute fordert Frau Baerbock die Übererfüllung des unsäglichen Zwei-Prozent-Nato-Ziels.

Im Schatten Ihrer Wissenschaftler haben Sie auch eine eigene Kanzlerkandidatur eingeschmuggelt. Anders als Ihre profillosen Spitzen-Mitbewerber können Sie auf eine regulär abgeschlossene akademische Ausbildung, lückenlos plagiatsfreie Bücher, eine Karriere in der Wirtschaft sowie den entscheidenden Beitrag für den Zuschlag zur Fußballweltmeisterschaft in Deutschland vorweisen. Wer wäre Ihr Wunschkoalitionspartner?

Martin Sonneborn: Meine Wunschkoalitionspartner heißen Attac, Foodwatch, FFF, Bürgerbewegung Finanzwende, Klimaliste, Lobbyland, IKEA, Campact, Ärzte und Journalisten ohne Grenzen. Die gesammelten Kompetenzträger der außerparlamentarischen Opposition. IKEA war nur Spaß.

Im Falle einer Vierer-Koalition dürfen Sie ein hohes Ministeramt beanspruchen, wobei Sie als voraussichtlich kleinster Partner allenfalls das Verteidigungsministerium bekommen. Derzeit werden die Taliban vom Islamischen Staat bedroht. Welchen dieser gemäßigten Rebellen sollen wir militärisch beistehen?

Martin Sonneborn: Bewaffnete Auslandseinsätze wird es unter mir höchstens in Thüringen geben. Im Garten von Hans-Georg Maaßen.

Nach Wegfall des unter Rot-Grün begonnenen Afghanistankriegs fehlen der Rüstungsindustrie absehbar Arbeitsplätze. Gegen wen sollten wir künftig Krieg führen?

Martin Sonneborn: Gegen Österreich. Kurz ist dabei, seine Demokratie nach dem Vorbild Orbans umzubauen. Ich war kürzlich in Wien und habe mir mal erklären lassen, wie der Baby-Hitler die Justiz, die gegen ihn ermittelt, unter Druck setzt und den öffentlich-rechtlichen Rundfunk umbaut. Beeindruckend, wir können viel von ihm lernen.

Sie kandidieren gleichzeitig außerdem für das Berliner Abgeordnetenhaus, wobei Ihnen Demoskopen bereits jetzt gute Wahlchancen einräumen. Sind denn die Berliner Diäten und Lobby-Abende attraktiver als die Ihres EU-Mandats?

Martin Sonneborn: Nein, es geht um eine neue Qualität von PARTEI-Arbeit. Knacken wir die Fünf-Prozent-Hürde, dann ziehen wir mit 10 oder 12 Leuten ins Abgeordnetenhaus. Das würde uns ermöglichen, in Berlin das zu machen, was wir gerade in Brüssel tun: Transparenz herstellen, konservative Doofmänner ärgern, das Zünglein an der Waage spielen.

Können Sie denn guten Gewissens das von vorbestraftem und korruptem Personal durchsetzte EU-Parlament in Brüssel unbeaufsichtigt zurücklassen?

Martin Sonneborn: Nein, wir werden parallel auf jeden Fall auch weiterhin EU-kritisch tätig bleiben. Schon um Europa nicht den Leyen zu überlassen.

"Ich verbiete hiermit jedem FDP-Fan, uns zu wählen"

Während die Wählerschaft derzeit mit Amateuren abgespeist wird, halten Sie sich an Profis und haben neulich mit dem Sozialist Gregor Gysi ein Buch geschrieben. Teilen Sie sich das gemeinsam erwirtschaftete Kapital?

Martin Sonneborn: Yep, wir machen halbe/halbe - genau wie mit dem Land, später, wenn wir an der Macht sind, die Linke und wir.

Apropos Linkspartei. Die wollen gerade Diplomphysiker Oscar Lafontaine und Politikwissenschaftlerin Sahra Wagenknecht rauswerfen. Bieten Sie dem Populisten-Paar Asyl auf der ihre Wissenschaftlerliste der PARTEI?

Martin Sonneborn: Ich halte die beiden für zwei der besten Köpfe, die in Deutschland Politik gemacht haben. Wenn ihre Arbeiten plagiatsfrei sind - gern.

Die Spaßpartei FDP, die Sie 2013 aus dem Bundestag vertrieben hatten, wird inzwischen wieder zweistellig gesehen. Welche Anreize bietet die PARTEI Wählern aus deren Zielgruppe "männliche westdeutsche Bourgeoisie"?

Martin Sonneborn: Keine. Ich halte die FDP-Wähler für noch unmoralischer als die der NSDAfD... Ich verbiete hiermit jedem FDP-Fan, uns zu wählen.

Werden Sie die Zielgruppe "männliche ostdeutsche Verunsicherte" kampflos der AfD überlassen?

Martin Sonneborn: Ja. Wenn wir wirklich dringend an die Macht wollten, wären wir auf das Angebot einer Londoner PR-Agentur eingegangen - ehemalige Cambridge-Analytica-Leute -, uns für 850.000 Euro auf neun Prozent bringen zu lassen (und Königsmacher in der nächsten Regierung zu werden). Mit allen schmutzigen Tricks. Microtargeting, Dark Ads, mit Detektiveinsätzen gegen Laschet und Baerbock und mit EU-feindlichen und rassistischen Inhalten.

Womit ködern Sie die weibliche Wählerschaft?

Martin Sonneborn: Im Moment nur reduziert, die Stadt Plauen hat gerade unsere Plakate "Feminismus, Ihr Fotzen!" abgehängt. Allerdings wirkt das Verwaltungsgericht Chemnitz gerade darauf hin, dass sie die Plakate wieder aufhängen. Alternativen haben wir reichlich, im Netz habe ich gerade ein PARTEI-Plakat des Berliner Künstlers Moritz Reichelt gesehen: "Warum bei 50 Prozent aufhören? Frauenquote 100 Prozent in allen Berufen!"

Sie sind Mitglied der EU-Delegation für Korea. Während Deutschland zur Völkerverständigung den verliebten Ex-Kanzler Schröder entsendet, verprügelt die belgische Botschaftergattin die südkoreanische Bevölkerung. Werden Sie in Berlin von Ihrer belgischen Erfahrung profitieren?

Martin Sonneborn: Auf jeden Fall. In Brüssel habe ich alles gelernt über erfolglose Geopolitik, skrupellose Selbstbereicherung, und den Umgang mit Vorbestraften. Ach so, Franziska Giffey ist ja gar nicht vorbestraft. Sollte sie aber sein. Wussten Sie eigentlich, dass wir versprochen haben, sie komplett zu synchronisieren, falls sie Regierende Bürgermeisterin wird?

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