Corona-Pandemie: SPD und Grüne gegen deutschen "Freiheitstag"

Abgeordnete beider Fraktionen lehnen Vorstoß der Kassenärzte ab. Verband hatte Ende aller Pandemie-Maßnahmen zum 30. Oktober gefordert. Streit um nötige Impfquote

Mehrere hochrangige Vertreter der Kassenärztlichen Bundesvereinigung haben einen konkreten Termin für die Aufhebung der Corona-Maßnahmen gefordert und damit die Debatte über die Pandemie-Politik befeuert.

Der Vorsitzende des Ärztebundes, Andreas Gassen, brachte am Wochenende die Aufhebung aller Corona-Beschränkungen zum 30. Oktober ins Spiel. Im Interview mit der Neuen Osnabrücker Zeitung (NOZ) sagte er, "Nach den Erfahrungen aus Großbritannien sollten wir auch den Mut haben zu machen, was auf der Insel geklappt hat".

In Großbritannien habe man den Ansatz verfolgt, vorsätzlich Infektionen zuzulassen. Diese Strategie bezeichnete Gassen als "forsch", befürwortete ein solches Vorgehen dennoch. Man könne "sehr zuversichtlich", sein, dass durch einen angekündigten "Freedom Day"-auch in Deutschland die Impfquote auf 70 Prozent gesteigert werden kann. Dies wäre "aber wohl auch ausreichend, da die Risikogruppen schon jetzt weitgehend durchgeimpft sind", so Gassen weiter.

Auf der Vertretersammlung der kassenärztlichen Bundesvereinigung am Freitag in Berlin hatte der stellvertretende Vorstandschef Stephan Hofmeister bereits eine entsprechende Kehrtwende propagiert. Deutschlands Vertragsärzte wollen raus aus der Endlosschleife der Corona-Maßnahmen, zitierte ihn die Ärzte-Zeitung in einem Autorenbeitrag.

"Wenn eine Impfpflicht nicht gewollt ist – und ich will sie auch nicht –, dann gibt es politisch nur eine Alternative: Die Aufhebung aller staatlich veranlassten Restriktionen", sagte Hofmeister demnach.

Nach Ansicht des Verbandsvertreters seien einige "schwere und belastende Einschnitte für alle" gut zu begründen gewesen, solange nicht alle Bundesbürger gegen Covid-19 geimpft werden konnten. Dies gelte aber "jetzt nicht mehr", berichtete das Branchenblatt von der Vertreterversammlung.

Hofmeister argumentierte, dass sich jeder mit einer Impfung schützen könne. Daher komme es nicht mehr nur dem Staat zu, die Menschen über pauschale Maßnahmen zu schützten. Dies liege fortan "in der individuellen Verantwortung jedes und jeder Einzelnen".

Widerstand von SPD und Grünen

Zurückgewiesen wurde der Vorstoß umgehend aus den Reihen von SPD und Grünen. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Karl Lauterbach bezeichnete es gegenüber der NOZ als unvertretbar, "einfach mal auszutesten, was unser Gesundheitssystem aushält, wie viele Patienten auch intensiv behandelt werden können".

Lauterbach plädierte dafür, vorrangig "das Leid der Menschen so stark wie irgend möglich durch Vorbeugung und Impfung zu begrenzen, nicht auf der Intensivstation". Der Epidemiologe bezeichnete es zudem als "unrealistisch", durch die Ankündigung eines "Freedom Days" die Menschen zum Impfen motivieren zu wollen.

Mit dem Begriff Freedom Day (Freiheitstag) hatte die britische Regierung von Premierminister Boris Johnson bereits im Juli die Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus Sars-CoV-2 bereits für weitgehend beendet erklärt. Kassenärztechef Gassen verwies darauf, dass die intensivmedizinische daraufhin nicht zusammengebrochen sei. Zudem sei das deutsche Krankenhauswesen leistungsfähiger.

Auch der Gesundheitsexperte der Grünen-Bundestagsfraktion, Janosch Dahmen, reagierte ablehnend auf den Vorstoß der Kassenärzte. Man können nun nicht so tun, "als sei die Pandemie ein Privatvergnügen und Ungeimpfte letztlich selbst dran Schuld und wir könnten uns jetzt von allen Schutzmaßnahmen verabschieden", sagte er im Interview mit dem Norddeutschen Rundfunk. Dies halte er für "zynisch".

Dahmen hielt Gassen zudem entgegen, seine Position widerspreche der Mehrheitsmeinung der niedergelassenen Ärzte.

Für eine teilweise oder komplette Rücknahme der Maßnahmen sei eine Impfquote bei den über 60-Jährigen von deutlich über 90 Prozent notwendig, so Dahmen. In der Gesamtbevölkerung müsse diese Quote auf 80 Prozent erhöht werden

Bis zum Freitag waren in Deutschland 157.662 Impfdosen verabreicht worden, so das regierungsnahe Robert-Koch-Institut. Damit seien nun 52.341.392 Personen oder 62,9 Prozent der Gesamtbevölkerung vollständig geimpft.