Duma-Wahl: Proteste nach Unstimmigkeiten bei der Auszählung in Moskau

Westliche Medien müssen sich von Klischees verabschieden: Kommunisten sind in Russland die stärkste Oppositionskraft. Symbolbild: PublicDomainPictures auf Pixabay

Abgeordnete und Kandidaten der Kommunistischen Partei kritisieren, dass Ergebnisse durch die elektronische Abstimmung verfälscht wurden

Am Montagabend versammelten sich auf dem Moskauer Puschkin-Platz mehrere hundert vor allem junge Menschen. Sie protestierten gegen Betrügereien, die es nach ihrer Überzeugung bei der Duma-Wahl gegeben hat. Die Kundgebung lief als "Treffen mit Duma-Abgeordneten". Solche Treffen unter freiem Himmel sind gesetzlich erlaubt. Die Polizei schritt nicht ein.

Hauptredner war der Duma-Abgeordnete Valeri Raschkin, der auch leitender Funktionär der Kommunistischen Partei der Russischen Föderation (KPRF) in Moskau ist. Raschkin und andere Redner der Kommunistischen Partei sprachen über mutmaßliche Wahlmanipulationen. Insbesondere geht es um zwei Direktkandidaten der KPRF, Michail Lobanow und Anastasija Udalzowa, die nach der Auszählung der Stimmen an den Wahlurnen gesiegt hatten, doch Stunden, nach der Auszählung der Stimmen, die über das Internet abgegeben worden waren, als Verlierer auf Platz zwei rückten.

Letzte Wahlentscheidung angeblich schwer herauszufiltern

Schon Sonntagnacht hatten kritische Blogger gefragt, warum die Veröffentlichung der Ergebnisse der Internet-Abstimmung so lange dauerte. Am Montag berichteten russische elektronische Medien, was die Verzögerung ausgelöst habe. Angeblich hatte das Computersystem sehr lange gebraucht, um bei Personen, die mehrmals abgestimmt haben, die letzte Wahlentscheidung festzustellen.

Was ist mit Mehrfachabstimmungen gemeint? Wenn Wahlberechtigte ihren Abstimmungsvorgang im Internet aus unterschiedlichsten Gründen ein oder mehrmals unterbrochen hatten, brauchte das Computersystem angeblich einige Zeit, um die letzte Wahlentscheidung herauszufiltern.

Zwischen vier und sechs Uhr am Montagmorgen seien dann die sorgfältig geprüften Ergebnisse der elektronischen Abstimmungen an die zuständigen Stellen weitergeleitet worden. Trotz dieser Verzögerung erklärte die Stadtverwaltung, das Computersystem habe einwandfrei gearbeitet.

Doch die Protestierenden auf dem Moskauer Puschkin-Platz vermuten Wahlfälschung. Sie gingen sogar noch weiter und erklärten, die elektronische Abstimmung sei extra eingeführt worden, um der Opposition Stimmen zu stehlen. Mehrere Redner forderten die Abschaffung der elektronischen Wahlmöglichkeit. Am Samstag soll es um 14 Uhr auf dem Puschkin-Platz ein weiteres Treffen von Abgeordneten mit Bürgern geben.

Sieger, aus denen Verlierer wurden

Was passierte genau mit den Stimmen der beiden Direktkandidaten der Kommunistischen Partei, die in Moskau erst siegten und dann verloren? Der erste Betroffene heißt Michail Lobanow. Der unabhängige Linke ist Mathematiker, lehrt an der Moskauer Universität und kandidierte für den westlich vom Moskauer Stadtzentrum gelegenen Kunzewo-Bezirk auf der Liste der KPRF. Am Montagmorgen um neun Uhr Moskauer Zeit gab er via Facebook bekannt, er führe mit 41.859 Stimmen vor dem bekannten Fernsehjournalisten Jewgeni Popow, der für die Partei Einiges Russland kandidierte und 31.008 Stimmen erhielt. Lobanow schrieb weiter, "es ist schon klar, auf wessen Seite die Sympathien der Wähler liegen. Was diesen Abstand ausgleichen kann, sind nur gigantische Fälschungen bei der elektronischen Abstimmung."

Kurze Zeit, nachdem Lobanow seine düstere Ahnung veröffentlicht hatte, wurde diese wahr. Nach offiziellen Angaben verfehlte Lobanow den Sieg knapp. Nach offizieller Mitteilung stimmten 31 Prozent für den kommunistischen Mathematiker und 34 Prozent für den TV-Journalisten Popow, der für die Regierungspartei Einiges Russland kandidierte.

Gleiches passierte mit Anastasija Udalzowa. Die Aktivistin der Linken Front kandidierte im proletarisch geprägten, südlich des Moskauer Stadtzentrums gelegenen Nagatinski-Bezirk auf der Liste der KPRF. Ihr Mann - Sergej Udalzow - saß wegen Teilnahme an Straßenprotesten mehrmals für längere Zeit in Haft.

Am Montagmorgen nach der Auszählung aller Stimmen in den Wahllokalen meldete die Nachrichtenagentur Interfax, Udalzowa habe in ihrem Wahlbezirk als Direktkandidatin mit 31 Prozent der Stimmen gesiegt. Doch wenige Stunden später - nach der Auszählung der elektronisch abgegeben Stimmen - lag Udalzowa mit 25 Prozent nur noch auf Platz zwei.

Die Konkurrenz für die Regierungspartei wird härter

Das Siegen wird für Einiges Russland schwieriger. Bei den Duma-Wahlen, die vom 17. bis zum 19. September stattfanden, bekam die Regierungspartei 49 Prozent der Stimmen. Bei den Parlamentswahlen 2016 waren es noch 54 Prozent gewesen. Die Konkurrenz ist stark. Die Kommunistische Partei der Russischen Föderation bekam bei den Duma-Wahlen 19 Prozent der Stimmen. Die KPRF selbst ist der Meinung, dass es noch mehr waren, da die Wahlen in verschiedenen Orten gefälscht wurden. Sie hat eine lange Liste von Beschwerden an die Zentrale Wahlkommission eingereicht.

Die Partei Einiges Russland hat auch neue Konkurrenten. In die Duma zieht nach der Wahl in Russland mit der Partei "Neue Leute" das erste Mal seit 2003 eine fünfte Partei ein. Auf sie entfielen 5,4 Prozent der Stimmen.

KPRF-Erfolge dort, wie die Geringverdiener leben

Die KPRF hatte bei der Duma-Wahl vor allem Erfolge in der Provinz, in Sibirien und im Fernen Osten, im Gebiet Irkutsk, auf der Insel Sachalin und im Gebiet Primorje (Wladiwostok). Im nordrussischen Nenezki-Gebiet gewann sie mit 31 Prozent gegen die Partei Einiges Russland, die 29 Prozent der Stimmen erhielt. Auch im Gebiet Jakutien wurden die Kommunisten stärkste Partei. Die Regierungspartei Einiges Russland sowie Gerechtes Russland forderten dort prompt eine Neuauszählung der Stimmen.

Deutlich wurde bei den Duma-Wahlen, dass Einiges Russland bei den Wählern an Vertrauen eingebüßt hat. Nicht nur die sozialen Belastungen wie Preissteigerungen und Erhöhung des Renteneintrittsalters haben zugenommen. Auch die immer wiederkehrenden Skandale mit Politikern und Spitzenbeamten der Partei, die in Korruption verwickelt sind, haben zum Vertrauensverlust von Einiges Russland beigetragen.

Bedenklich stimmt die Tatsache, dass die Wahlbeteiligung bei dem dreitägigen Wahlgang bei nur 45 Prozent lag. Bei den Parlamentswahlen 2016 und 2011 waren es noch 47 beziehungsweise 60 Prozent gewesen. Die fallende Wahlbeteiligung ist Ausdruck einer Entpolitisierung der Bevölkerung und auch Ausdruck von Enttäuschung über die Regierungspolitik.

Dass die Partei Jabloko, die zusammen mit der KPRF eine der ältesten Parteien des postsowjetischen Russland ist, bei den Duma-Wahlen nur 1,2 Prozent der Stimmen bekam, sagt viel über die Stimmung in Russland aus. Jabloko gehörte in den 1990er-Jahren mit zu den Parteien, die den westlich orientierten Umbau von Staat und Wirtschaft vorantrieben. Die Partei war bis 2003 mit Abgeordneten in der Duma vertreten, scheiterte dann aber an der Fünf-Prozent-Hürde.

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