Klimastreik: Ohne Druck von der Straße keine zukunftsfähige Politik

Wer überhaupt nicht wählbar sei, wurde auf den Streikdemos zumindest sehr deutlich benannt. Foto: Telepolis / claw

Warum es Massenproteste der Umweltbewegung in jedem Fall auch nach der Bundestagswahl geben wird

Die Hoffnung liegt auf den Straßen und Plätzen der Welt - auch wenn es nicht egal ist, wer die Mehrheit in den Parlamenten hat. Das ist eine Botschaft, die vom globalen Klimastreik an diesem Freitag ausgehen könnte. 471 Demonstrationen waren es nach Angaben der Jugendbewegung Fridays for Future allein in Deutschland.

In Berlin sprach das Organisationsteam am Nachmittag von rund 100.000 Beteiligten. In Städten wie Hamburg, Bonn und München nahmen jeweils Zehntausende Menschen an den Protesten teil. Das jedenfalls ist auf Filmaufnahmen klar zu erkennen. In München waren es laut Organisationsteam knapp 30.000, in Hamburg sprachen die Organisatoren von 80.000 Beteiligten, nachdem in Medienberichten zunächst von 21.000 die Rede gewesen war.

Verlangt wurde die Einhaltung der Pariser Klimaschutzziele zur Begrenzung der menschengemachten Erderwärmung auf 1,5 oder zumindest unter zwei Grad - und dass Deutschland einen fairen Beitrag dazu leistet, unter anderem dadurch, dass es bis spätestens 2030 aus der Kohleverstromung aussteigt. Mit dem Spruch "Zu viel Kohle für zu wenig Ausstieg" auf einem selbst gemalten Schild protestierten am Freitag Teilnehmer der Münchner Streikdemo gegen Milliarden-Entschädigungen für Kohlekonzerne, die nach bisheriger Planung erst bis 2038 aussteigen sollen.

Weitere Forderungen des Klimastreiks sind, dass die nächste Bundesregierung "ein festes Datum für ein sozialverträgliches Ende der Neuzulassung von Verbrennungsmotoren bei Pkws festlegt" und "in attraktiven öffentlichen Nahverkehr und in die Fahrradinfrastruktur investiert". Außerdem soll sich die Bundesrepublik gegen klimaschädliche Abkommen wie Ceta und das EU-Mercosur-Abkommen einsetzen und private Schiedsgerichte ablehnen, vor denen Investoren gegen Umwelt- und Verbraucherschutzregeln klagen können.

Schärfere verbindliche Klimaschutzregeln waren bereits Gegenstand einer erfolgreichen Klage vor dem Bundesverfassungsgericht, die nach Angaben der Deutschen Umwelthilfe (DUH) auf das Schreiben einer damals Elfjährigen vor zwei Jahren an die Organisation zurückging. Die spätere Klägerin Marlene habe sich in dem Brief gewünscht, dass "Menschen auch in 100 Jahren noch wissen, was Schnee ist", sagte DUH-Geschäftsführer Jürgen Resch an diesem Freitag auf dem Münchner Königsplatz. Die heute 13-Jährige stand anschließend selbst auf der Bühne, um einzufordern, dass das Urteil nun auch umgesetzt wird. Für sie sei es unfassbar, wie viel Zeit die Politik sich dafür lasse, betonte sie.

Kolonialismus, Kapitalismus und Klimakrise

Eine junge Vertreterin von Black Lives Matter sagte in ihrer Rede, dass dies nicht nur in Europa und Nordamerika gilt, wo sich die Bewegung gegen rassistische Polizeigewalt formiert hat, sondern auch in Afrika, wo die Menschen unter den Folgen von Kolonialismus und Kapitalismus zu leiden hätten - und nun auch unter der Klimakrise, die überwiegend im Globalen Norden verursacht worden sei. "Ich werde nicht zusehen, wie schwarze Klimaflüchtlinge an den Grenzen erschossen werden", rief sie unter Applaus.

Mit gemischten Gefühlen sehen Fridays for Future und auch die solidarischen Parents und Workers for Future der Bundestagswahl am Sonntag entgegen. Zwar ist immer wieder die Rede von einer "Klimawahl" und der letzten Bundesregierung, die noch die Chance hätte, in der Umwelt- und Klimakrise das Schlimmste zu verhindern. Die meisten der Aktiven ahnen aber zumindest, dass jede nach der Wahl denkbare Regierungskonstellation Druck von der Straße bräuchte, um sich diesbezüglich zu bewegen.

Unionsparteien und FDP wurden an diesem Freitag auf Schmähplakaten in einem Atemzug mit der AfD genannt. Zumindest indirekt drückt das die Hoffnung aus, dass SPD und Grüne mit keiner dieser Parteien koalieren werden und stattdessen ein "rot-grün-rotes" Bündnis zustande kommt. Letzteres gilt aber als unwahrscheinlich, da die Partei Die Linke sich nicht zur Nato bekennen will, wie es SPD und Grüne erwarten.

Von der Luisa Neubauer, die als bekanntestes Gesicht von Fridays for Future in Deutschland gilt, war in den letzten Tagen eine Menge Frust zu vernehmen - auch über ihre eigene Partei, die Grünen. Kein Wahlprogramm sei mit dem 1,5-Grad-Ziel vereinbar, betonte sie mehrfach. "Dieser Wahlkampf hat mir keine Hoffnung gemacht, dass die Krise überparteilich als das gesehen wird, was sie ist", so Neubauer am Mittwoch. "Was mir Hoffnung macht, sind die Menschen, die die Warnungen ernst nehmen. Die überall loslegen."

"Keine Lobbyisten für die Grünen"

"Wir sind keine Lobbyisten für die Grünen", stellte die 18jährige Schwedin Greta Thunberg im Gespräch mit dem Tagesspiegel klar. Es sei aber "absolut entscheidend, dass die Menschen zur Wahl gehen und für die Option stimmen, die sie für die Beste halten - oder die am wenigsten schlechte, wie auch immer", sagte Thunberg, die im Sommer 2018 die Bewegung initiiert hatte. An diesem Freitag war sie als Hauptrednerin des Berliner Klimastreiks in die deutsche Hauptstadt gereist.

Die deutsche Ökologin, Umweltaktivistin und Seenotretterin Carola Rackete hatte wenige Tage zuvor bekannt gegeben, dass sie selbst am Sonntag für die Partei Die Linke stimmen wird. In einem Gastbeitrag für die Tageszeitung Neues Deutschland erklärte sie allerdings auch: "Als Teil der Klimagerechtigkeitsbewegung ist Wählen für mich eher Nebensache."

Vielmehr sei es nötig, "dass wir ständig Druck auf die Parteipolitik ausüben, indem wir etwa einerseits die Einhaltung bereits lang beschlossener Verträge einfordern, als auch neue Themen in die Diskussion bringen, so wie letztes Jahr die Verkehrswende durch die Proteste im Dannenröder Wald".

Ungeachtet dessen suchten an diesem Freitag sowohl Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock von den Grünen als auch der momentane Favorit in den Umfragen, SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz die Nähe zu den Protesten. Scholz nur verbal und Baerbock sogar physisch. In Köln kam sie unangekündigt zu einem der Treffpunkte des Klimastreiks.

Scholz, der zurzeit noch Finanzminister der Großen Koalition ist, deren Klimaschutzgesetz vom Bundesverfassungsgericht kassiert worden war, behauptete an diesem Freitag auf Twitter, er sei dankbar für das Engagement von Fridays for Future. Sie hätten mitgeholfen, dass Klimaschutz oben auf der Agenda stehe. "Ich sage ausdrücklich: Dass heute #Klimastreik ist, ist richtig." Klimapolitik gehöre zu den wichtigen Themen, über die bei der Wahl entschieden werde.

Diese Einlassung zeigt zumindest, dass etablierte Parteien das Thema als eines der wahlentscheidenden einschätzen. Allerdings war auch das SPD-Wahlprogramm im Parteiencheck Klimabewegung durchgefallen.