Bundestagswahl 2021: Lehren für die Zeit nach Merkel

Angela Merkel geht, aber was lässt sie zurück? Bild: א (Aleph), CC BY-SA 2.5Bild

Der Absturz von Union und Linken wirft ein Schlaglicht auf die Folgen des politischen Profilverlustes. Doch nicht nur bei den Parteien braucht die politische Kultur einen Neustart

Diese Bundestagswahl ist dramatisch ausgegangen - für die großen und die kleinen der bisher im Bundestag vertretenen Parteien. Die Union ist mit dem Ende der Ära Merkel fast ins Bodenlose gestürzt.

Am anderen Ende der Polit- und Größenskala muss sich die Linke nun trotz ihres hehren Anspruchs ("Wir sind die soziale Opposition!") mit ihrem neuen Dasein als Fast-Kleinpartei abfinden. Die Bundestagswahl 2021 ist damit Ausdruck des Wandels der Parteienlandschaft und wird sie zugleich nachhaltig prägen.

Das katastrophale Scheitern der Union und ihres Kanzlerkandidaten Armin Laschet ist die zweite große Zäsur in der Nachwendegeschichte der ehemaligen Volksparteien. Mit der Gründung der SPD-Abspaltung WASG im Jahr 2005 und der zwei Jahre später folgenden Fusion mit der PDS zur Linkspartei war die Sozialdemokratie am Rechtsruck unter Gerhard Schröder zerbrochen.

Es ist nur schwer zu leugnen, dass sich mit der Sozialdemokratisierung der CDU – spätestens in den letzten Merkel-Jahren – ein ähnlicher Trend im konservativen Lager abzeichnet.

Zum einen ist es der AfD gelungen, ein bislang stabiles Wählerpotenzial aufzubauen, dessen Spektrum von der extremen Rechten bis hin zu enttäuschten Konservativen reicht. Allein bei dieser Wahl sind gut 400.000 Stimmen von der CDU an die Blauen gegangen. Weitaus dramatischer aber sind die Verluste an SPD – fast zwei Millionen Stimmen – und Grüne – gut eine Million Stimmen.

Bei den Christdemokraten wirkte eine so einfache wie brutale Wahllogik: Wenn eine Partei ihr Profil verliert und sich der Konkurrenz annähert, wählen die Menschen lieber das Original. Von diesem Prinzip hat ohne jeden Zweifel der wirtschaftsnahe SPD-Spitzenkandidat Olaf Scholz profitiert.

Die SPD hat die Wahl dadurch de facto gewonnen. Aber sind die knapp drei Prozentpunkte Zugewinn im Vergleich zur letzten Abstimmung ein Erfolg, eine Konsolidierung gar? Der Vergleich mit dem 2002er-Wahlergebnis der Sozialdemokraten mit damals 38,5 Prozent lässt zumindest Fragen offen.

Linke ohne Profil verliert massiv an Stimmen

Was im konservativen Lager für CDU und CSU gilt, betrifft in den entgegengesetzten politischen Reihen auf noch dramatischere Weise die Linke. Nach einem zweistelligen Ergebnis mit 11,9 Prozent 2009 und einigermaßen stabilen Resultaten von 8,6 Prozent 2013 sowie 9,2 Prozent 2017 sind die Sozialisten am gestrigen Sonntag nur knapp der parlamentarischen Bedeutungslosigkeit entkommen.

Nach dem vorläufigen Endergebnis werden nur die Direktmandate die Linksfraktion vor dem Auszug aus dem Bundestag retten: Bei den Zweitstimmen kommt die Fraktion auf 4,9 Prozent und würde damit ohne mindestens drei Direktmandate an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern - so wie schon einmal, im Jahr 2002.

Vor allem die Avancen der Parteivorsitzenden Susanne Hennig-Wellsow und anderer Vertreter des Realo-Flügels an ein erträumtes rot-rot-grünes Bündnis im Bund scheinen die Wählerinnen und Wähler in die Arme von SPD und Grünen getrieben zu haben. 820.000 Stimmen wanderten aus der ehemaligen Wählergruppe der Linken zur SPD, gut 600.000 zu den Grünen. Gut eine halbe Million Menschen, die vor viel Jahren noch für die Linken gestimmt haben, sind dieses Mal gleich ganz zu Hause geblieben und haben an der Bundestagswahl nicht mehr teilgenommen.

Ob die Zugewinne für FDP und Grüne auf eine nachhaltige Veränderung der politischen Landschaft oder gar der Politik hinweisen, ist fraglich. Die Grünen haben massiv von der erstarkenden Umwelt- und Klimabewegung profitiert. Aber was werden sie aus diesem Auftrag der Wählerinnen und Wähler machen können?

Läuft es nicht auf Minderheitenregierung bis 2025 hinaus - und wer der Beteiligten will das schon? - bestehen die rechnerischen Optionen im kommenden Giga-Bundestag mit seinen 736 Abgeordneten in einer "Ampel-Koalition" mit 416 Abgeordneten oder einer "Jamaika-Koalition" mit immerhin noch 406 Mandaten. In beiden Fällen müssten die Grünen ihr ökologisches Profil gegen den Koalitionspartner FDP durchsetzen. Konflikte innerhalb und außerhalb des Parlaments sind programmiert.