Libyen: Wie sieht die neue deutsche Außenpolitik aus?

"Libyen hat sich zu einem wichtigen Transitland für Menschen entwickelt, die versuchen, Europa zu erreichen" - die Unterschrift zu diesem Bild aus dem Jahr 2015. Die damit zusammenhängenden Befürchtungen bestimmen die Libyen-Politik Deutschlands und der EU nach wie vor. Foto: Irish Defence Forces/CC BY 2.0

Kanzlerin Merkel verspricht, dass Berlin dabei helfen wird, dass Wahlen abgehalten werden und ausländische Söldner abziehen. Wie soll gelingen, dass die Türkei Milizen abzieht und Moskau die Wagner-Gruppe?

Alles, was die Kanzlerin Merkel derzeit macht, ist mit Abschied überschrieben. Heute hatte sie den Vorsitzenden des libyschen Präsidialrats, Mohammad Younes Mnefi zu Gast, der am Nachmittag mit militärischen Ehren von Präsident Steinmeier empfangen wurde. Das ist eine Geste, die den Willen Deutschlands anzeigt, dass man Libyens Vertreter staatsmännisch auf einer Ebene behandeln will, die nicht dem entspricht, was de facto über das Land gesagt wird: Dass es ein gescheiterter Staat ist.

Realpolitisch behandelt wird es als solcher. Es gab starke Einmischungen von der UN und es gibt viele Staaten, die sich auf eine Art einmischen, die nur durch die prekäre Situation Libyens möglich ist: die Türkei, die Vereinigten Arabischen Emirate, Ägypten, die russische Seite - wobei hier offen bleibt, welchen Part die Regierung in Moskau bei der Entsendung von Wagner-Söldnern real innehat; Italien spielt eine wichtige Rolle in Libyen wie auch Frankreich.

Der Berliner Prozess

Deutschland hat große Ambitionen. Mit zwei Konferenzen in Berlin zu Libyen, Anfang 2020 und im Sommer dieses Jahres (vgl. Libyen und der große Fehler des Westens), wollte man einen politischen Prozess anschieben, damit Libyen sich zu einem stabilen Dtaat entwickelt. Und immerhin, trotz pessimistischer Einschätzungen (vgl. Libyen-Konferenz: Mit deutscher Fleißarbeit zur Ordnung im Chaos?) und wenig spürbaren Erfolgen beim Unterbinden des Waffenhandels, gelangen doch Fortschritte.

Im Februar dieses Jahres wurde eine neue Übergangsregierung gewählt und es wurde eine wichtige Etappe des "Berliner Prozesses" bekräftigt: Ende des Jahres soll in Libyen gewählt werden. Vor allem aber: Der in Gang gebrachte Waffenstillstand hielt im Großen und Ganzen. Kriegerische Auseinandersetzungen kamen nicht mehr in die internationalen Schlagzeilen.

Westerwelle

Inwieweit diese Entwicklungen der deutschen Vermittlerrolle zuzuschreiben sind, ist nur von Insidern zu beantworten. Häufig zu lesen sind freundliche Kommentare, die Deutschland im Krisenfeld Libyen eine gute, weil einigermaßen neutrale Position zugestehen, da sich das Land 2011 unter dem damaligen Außenminister Westerwelle entschieden hatte, an der Nato-Militärintervention zur Absetzung Gaddafis nicht teilzunehmen.

Das gab damals viel Protest in den großen Medien. Feigheit und Verantwortungslosigkeit wurde dem Außenminister vorgeworfen - "das Kommentariat Deutschlands feuerte aus allen Rohren" (Tagesspiegel) - , aber im Nachhinein stellt sich die Zurückhaltung als Pluspunkt für die deutsche Diplomatie in Sachen Libyen heraus.

Hochgesteckte Ziele

Die Kanzlerin sprach heute Vormittag das wichtigste Interesse Deutschlands und der EU nicht offen an. Die große Furcht vor den Konflikten, die Migranten aus Libyen innenpolitisch auslösen, erwähnte sie nicht, sie hob die Wahlen und den Abzug ausländischer Söldner als zentrale Ziele hervor.

Das sind hochgesteckte Ziele. So ist schon unsicher, ob die Wahlen angesichts der internen Machtkämpfe und der verbreiteten Korruption überhaupt stattfinden. Und falls sie stattfinden, gibt es jetzt schon Zweifel an ihrer Glaubwürdigkeit. Das Ziel, ausländische Milizen zum Abzug zu drängen und die inländischen peu à peu zur Entwaffnung erscheint gegenwärtig geradezu unmöglich.

Die Milizen

Alles ist miteinander verbunden im libyschen Knäuel. Politische Stabilität ist nur über die Milizen und ihre Führer möglich, und sie haben kein Interesse an einer Entmachtung. Sie hatten die letzten Jahre die faktische Macht im Land, deutlich abzulesen an der Position von Khalifa Haftar, dem "Herrscher" über größten Gebiete Libyens. Dass sich die Regierung im Westen Libyens gegen ihn überhaupt halten konnte und dann sogar gegen Haftars Truppen siegreich war, hat sie der türkischen Militärintervention zu verdanken (Libyen: Haftar verliert, die Türkei gewinnt).

Khalifa Haftar hat die Rückendeckung der Vereinigten Arabischen Emirate, Ägyptens, Frankreichs (wobei sie dort etwas nachgelassen hat) und Russlands. Auch wenn sich der Kreml offen gegenüber beiden Seiten ausspricht - für die offizielle libysche Regierung und für die Seite Haftars -, so ist die Präsenz der Wagner-Miliz und ihre Unterstützung aufseiten des Feldmarschalls und seiner sogenannten libyschen Nationalarmee, einer Allianz von Milizen, nicht zu übersehen.

Die Wagner-Gruppe

Offiziell hält die russische Regierung auf Abstand zu den Wagner-Söldnern. Aber es gibt auch wenig Zweifel daran, dass die russische Sicherheitsfirma nicht ohne die Duldung des Kremls in Libyen operieren könnte. Sie wird als Vertreter eines russischen Anspruchs auf Einfluss in der Krisenzone mit den vielen Bodenschätzen und der strategischen Bedeutung eingeschätzt. Das dürfte der Führung im Kreml nicht unbekannt sein.

Die Türkei und Russland sind die großen Einflussmächte in Libyen. Beide haben dort Interessen, die sie nicht leicht aufgeben werden. Wer könnte sie dazu bringen, dass sie ihre Söldner abziehen - die russischen Wagner-Kämpfer und die syrischen Söldner aufseiten der türkischen Armee?

Dazu kommt, dass sich die Wagner-Truppe weitere Positionen sichert. In Mali, wo die derzeit gefährlichste Bundeswehr-Mission stattfindet, steht die neue Regierung, die mit einem Putsch an die Macht gekommen ist, mit der Wagner-Gruppe offenbar in Verhandlungen - sehr zum Verdruss Frankreichs und afrikanischer Staaten.

Frankreich fühlte sich bislang als hauptsächlich zuständig für den Schutz der Regierung in Mali gegen die islamistischen und dschihadistischen Gruppierungen und Milizen. Allerdings zog sich Frankreich militärisch zurück. Die politische Lage ist militärisch nicht zu lösen. Das hat man in Paris eingesehen.

Dass nun Russland via Wagner den Einfluss aktuell ausbaut und neu belebt, erhöht Spannungen. Deutschland folgt Frankreich in der Krisenzone Libyen und Mali. Mittlerweile hat auch die amtierende deutsche Verteidigungsministerin Kram-Karrenbauer geäußert, dass ein Vertrag der Regierung in Mali mit Wagner den deutschen Einsatz infrage stellen würde.

Noch ist nicht bekannt, wie die neue Bundesregierung aussehen wird und wie die Außenpolitik ausgerichtet sein wird. Der Berliner Prozess zu einer Stabilisierung Libyens ist an großen Zielen aufgehängt. Der neue Außenminister bzw. Außenministerin wird es nicht leicht haben. Im Wahlkampf war das noch kein Thema, weil zu schwierig, um leicht Wähler zu gewinnen.

Die Lager in Libyen

Ein weniger hochgestellter Ansatz könnte sich erstmal um die Verbesserung der Lager kümmern, wo Migranten rücksichtslos und menschenunwürdig eingesperrt und behandelt werden. Zuletzt gab es da nur minimale Hoffnungen auf bessere Zeiten.