Geflüchtete auf Lesbos in Zeiten von Covid-19

Friedhof der Rettungswesten. Bild: Peter Oehler

Über die Lebensbedingungen in einem Flüchtlingslager

Im August/September bin ich für dreieinhalb Wochen auf Lesbos gewesen. Mich hat die aktuelle Situation der Geflüchteten dort interessiert. An einem Tag bin ich von Mytilini mit dem Bus zum Dorf Moria gefahren, dann zu Fuß weiter zum nahegelegenen Camp Moria, bzw. dem, was davon übriggeblieben ist. Das eigentliche ehemalige Militärlager ist durch den Brand im September 2020 weitestgehend zerstört worden. Alles ist jetzt offen und frei zugänglich. Nur ein innerer Hochsicherheitstrakt ist nach wie vor verschlossen.

Verbrannte bzw. angekohlte Bäume sieht man hier viele. Der angrenzende wilde Bereich, also in den Olivenhainen, wo dann später die meisten Geflüchteten gelebt hatten, sieht dagegen nicht so verheerend aus: Alle Utensilien wie Zelte und Sanitäranlagen sind entfernt worden. Auffällig sind die teils größeren Abstände zwischen den Olivenbäumen. Ob die Bäume dazwischen nach dem Brand abgeholzt worden oder bereits vorher dem wilden Lager zum Opfer gefallen sind?

Reste vom Camp Moria. Bild: Peter Oehler

Bei meinem zweiten Rundgang stehen oben am nördlichen Rand der vorbeiführenden Straße ein Polizeibus, ein paar Polizeiautos sowie knapp dreißig Polizisten, alle behelmt und mit Schutzschildern ausgestattet. Ich bin jetzt etwas vorsichtiger, da das Camp Moria ja nach wie vor offiziell Militärgebiet ist: Also betreten und fotografieren verboten! Ich fragte mich, was die Polizisten hier eigentlich wollten?

Erst bei einem Gespräch mit einer Volunteerin in Mytilini wurde es mir klar: Ich war (unbewusst) just am 8. September dort, also dem Jahrestag des Brands vom Camp Moria. Die Polizisten waren dort, weil im Internet eine Demonstration angekündigt worden war. Aber das hat sich wohl nicht realisiert.

Ansonsten hat man in Mytilini und Umgebung von diesem traurigen Jahrestag wenig mitbekommen. Einzige rühmliche Ausnahme: "Leave No One Behind" (lnob.net) hat vom 9. bis 11. September im "LNOB Warehouse" an der Küstenstraße von Mytilini nach Panagiouda, also ganz in der Nähe vom neuen Camp, anlässlich des Jahrestages des Brands vom Camp Moria eine Ausstellung gemacht: "#REMEMBERMORIA, One Year After the Fire - Carving the Ashes".

Gemälde bei der Ausstellung "Rembember Moria". Bild: Peter Oehler

Gezeigt wurden in dem alten Gebäude überwiegend Gemälde und Fotos vom Brand vom Camp Moria, bzw. dadurch inspiriert. In einem schwarz-abgedunkelten Kabuff wurde der zirka fünf Minuten lange Film "Now You See Me Moria" in Endlosschleife gezeigt: Amateurhafte Filmaufnahmen während der Brandnacht.

Covid-19 als Repressionsmittel

Nach dem Brand vom Camp Moria wurde ein neues, provisorisches Camp schnell errichtet. Es befindet sich an der Küste, nur ein paar Kilometer vom alten Lager entfernt, auf einem Gebiet, das Kara Tepe heißt. Kara Tepe ist türkisch und heißt "schwarzer Hügel".

Da es in der Nähe bereits ein Camp mit diesem Namen gab, nämlich das von der Stadt Mytilini betriebene, das aber mittlerweile geschlossen ist, spricht man von dem neuen Camp manchmal von Moria 2 oder Kara Tepe 2, oder aber auch von Mavrovouni, was auf griechisch "schwarzer Berg" bedeutet. Vor Ort wird aber meistens nur von "dem Camp" gesprochen.

Während sich Geflüchtete im Camp Moria und noch vor Corona-Zeiten, nachdem sie die ersten 25 Tage inhaftiert waren, frei auf der Insel bewegen durften, wird nun Covid-19 massiv als Repressionsmittel gegen sie eingesetzt. Nur ein Geflüchteter pro Zelt bzw. pro Familie darf das Camp anfangs nur einmal, mittlerweile zweimal die Woche verlassen, um Besorgungen zu erledigen, aber nur für maximal vier Stunden.

Da mittlerweile viele Geflüchtete geimpft sind, es kaum noch Infektionen gibt, ist diese quasi Inhaftierung stark diskriminierend im Vergleich zur einheimischen Bevölkerung, die mit nur wenig Einschränkungen Strand, Bars und Nachtclubs besuchen darf, und bei der die Infektionsrate auch deutlich höher ist.

Auffällig ist, dass man relativ viele Geflüchtete auf einem Fahrrad unterwegs sieht. Das war zum Beispiel 2018 noch gar nicht der Fall. Es macht auch Sinn, denn damit kann man die Entfernung vom Camp nach Mytilini, also drei Kilometer, schnell überwinden. Es ist zu vermuten, dass es eine große Spende an Fahrrädern gegeben hat, wahrscheinlich aus Deutschland. Aus Griechenland selbst wohl kaum, da die Griechen kaum Fahrrad fahren (das ändert sich aber auch so ganz langsam).

Ein Geflüchteter, der es geschafft hat, Asyl zu bekommen, kann Lesbos aber trotzdem nicht direkt verlassen. Er braucht zusätzlich eine Bescheinigung der Polizei. Eine entsprechende Dienststelle im Camp ist wegen Corona geschlossen. Die Polizeidienststelle in Mytilini verweist Geflüchtete aber an genau diese Stelle.

Mehr Menschen im Camp als registriert

Deswegen und weil abgelehnte Asylbewerber zurzeit nicht in die Türkei zurückgeschickt werden können, leben im Camp mehr Menschen als registriert. Die nichtregistrierten Geflüchteten erhalten dort keinerlei Unterstützung mehr, auch nicht die kargen 70 € (früher waren es noch 90 €), die jeder offizielle erwachsene Geflüchtete pro Monat erhält.

Aktuell leben im Camp 3.500 bis 3.800 Geflüchtete. Die Lage hat sich also ziemlich entspannt gegenüber den mehr als 20.000 Geflüchteten, die vor dem Brand im Camp Moria gelebt haben. Auch das Verhältnis zur Einwohnerzahl Mytilinis (30.000) hat sich dadurch verbessert. Meistens nimmt man die wenigen Geflüchteten dort im Stadtbild nur als störende Bettler wahr.

Die Push-Backs

Zu dieser Entspannung haben aber die massiven und illegalen Push-Backs an der Nordküste geführt. Die griechische Regierung bestreitet das zwar nach wie vor, wobei diese Praktiken oft genug belegt worden sind. Selbst Jean Ziegler hat in seinem Buch "Die Schande Europas: Von Flüchtlingen und Menschenrechten" darüber berichtet. Die Flüchtlingsboote werden dort teils mit Hubschraubern entdeckt, und dann zur Rückkehr in die Türkei gezwungen.

Man erzählte mir, dass Journalisten, die sich an der Nordküste aufhalten und diese illegalen Machenschaften dokumentieren wollen, verhaftet werden. Da jemand, der ein Flüchtlingsboot entdeckt, gesetzlich verpflichtet ist, dies unverzüglich der Küstenwache zu melden, die daraufhin aber ein Push-Back mit ihm macht, gibt es dort keine NGOs mehr. Denn sie wollen diese Aktivitäten (versuchter Mord) nicht unterstützen.

Wenn man auf der Schotterstraße von Molivos über Eftalou entlang der Nordküste Richtung Skala Sikamineas fährt, kommt man bei einer Straßenkehre an einem recht neu aussehenden Camp vorbei. Dort stand noch 2016 das Camp von der US-amerikanischen NGO "International Rescue Committee", das es aber bereits 2018 nicht mehr gab.

Ein Grenzpolizist bestätigte mir, dass das Camp zurzeit leer sei. Sie würden aber auf Flüchtlinge warten. Es handelt sich um das Quarantäne-Camp Megala Therma. Es wird gemutmaßt, dass nur deshalb circa ein Flüchtlingsboot pro Monat zur Nordküste durchgelassen wird, um die finanzielle Unterstützung dieses Camps zu rechtfertigen.

Wenn man von Molivos kommend kurz vor Eftalou eine Schotterstraße hinauf in die kargen Berge fährt, gelangt man zur ehemaligen Müllkippe von Molivos. Hier liegen seit 2015 Zigtausende von Rettungswesten und zerschnittene Schlauchboote in der Landschaft: Der Friedhof der Rettungswesten.

Die Rettungswesten verbleichen in der Sonne. Es scheinen seit ein paar Jahren aber auch keine neuen dazuzukommen. Etwas am Rande haben Aktivisten einen kleinen Olivenbaum gepflanzt: ein Zeichen der Hoffnung in dieser kargen und etwas trostlosen Landschaft.