Winzig wie Sandkörner: Wie fliegende Mikrochips Umweltdaten sammeln sollen

Forscher arbeiten am kleinsten Fluggerät der Welt. Das Vorbild dazu fanden sie in der Natur, dort soll es sich auch in umweltfreundliche Endprodukte auflösen.

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(Bild: Northwestern University)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Boris Hänßler

Ahornsamen haben einen Flügel, und sobald sie vom Baum fallen, flattern sie wie ein Helikopter durch die Gegend. Schon eine leichte Brise reicht, um sie weit fortzutragen – eine clevere Strategie der Vermehrung, die sich die Natur ausgedacht hat.

Ein Team um Materialforscher John A. Rogers von der Northwestern University in Illinois hat sich solche natürlichen Phänomene zum Vorbild genommen und einen fliegenden Mikrochip (oder "Mikroflieger") in der Größe eines Sandkorns entwickelt. Er hat weder einen Motor noch irgendeinen sonstigen maschinellen Antrieb – allein der Wind trägt den Chip durch die Luft. Er soll der Überwachung von Luftverschmutzung und Krankheiten dienen. Zudem gilt der flatternde Chip als die kleinste jemals von Menschenhand geschaffene fliegende Struktur.

Die Forschenden möchten den Chip mit miniaturisierter Technik ausstatten, darunter Sensoren, eine Energiequelle, Antennen für die drahtlose Kommunikation und eingebettete Datenspeicher. In ersten Tests etwa wurden Sensoren eingesetzt, die Partikel in der Luft erkennen, außerdem pH-Sensoren zur Überwachung der Wasserqualität und Fotodetektoren zur Messung der Sonneneinstrahlung bei verschiedenen Wellenlängen.

Der Mikroflieger besteht somit aus zwei Teilen: den millimetergroßen elektronischen Funktionskomponenten und den Flügeln. Das Gewicht der Elektronik ist in der Mitte des Mikrofliegers konzentriert, um zu verhindern, dass er die Kontrolle verliert und zu Boden stürzt. Zudem haben die Forscher die Aerodynamik so optimiert, dass durch die Interaktion mit der Luft eine langsame, stabile Rotationsbewegung entsteht, die den Chip trägt. Er soll ein möglichst weites Gebiet abdecken, ehe er zu Boden sinkt.

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Um die Mikroflieger zu entwerfen, untersuchte das Team die Aerodynamik verschiedener Pflanzensamen und ließ sich vor allem von der Tristellateia-Pflanze inspirieren. "Im Laufe von Milliarden von Jahren hat die Natur Samen mit einer sehr ausgeklügelten Aerodynamik entwickelt," sagt Rogerts. "Diese Strukturen sind so konstruiert, dass sie langsam und kontrolliert fallen sowie möglichst lange mit den Windmustern interagieren, um das Überleben der Pflanze zu sichern." Indem sie dafür sorgt, dass die Samen weit gestreut werden, können sich ansonsten sesshafte Pflanzen über große Entfernungen ausbreiten und weite Gebiete besiedeln. Diese Designkonzepte hätten er und seine Kollegen aufgegriffen, angepasst und auf elektronische Schaltkreisplattformen übertragen.

Der Mikroflieger besteht aus zwei Teilen: den millimetergroßen elektronischen Funktionskomponenten und den Flügeln.

(Bild: Northwestern University, Illinois)

Rogers Kollege, Maschinenbau-Ingenieur Yonggang Huang, simulierte die Luftströmung um das Gerät in großem Maßstab, um die langsame, kontrollierte Rotation des Tristellateia-Samens nachzuahmen. "Die computergestützte Modellierung ermöglicht eine schnelle Optimierung der Strukturen,", so Huang. "Das ist mit Trial-and-Error-Experimenten unmöglich." Die Strukturen können nun in einer Vielzahl von Größen und Formen gebildet werden, die teilweise sogar die Natur in den Schatten stellen, da die Fluggeräte in stabileren Flugbahnen unterwegs sind und langsamer fallen als entsprechende Samen.

Der Herstellungsprozess ist günstig: Die Forscher stellten zunächst ein Vorprodukt für die fliegende Struktur in einer flachen Geometrie her. Dann klebten sie dieses auf ein leicht gedehntes Gummisubstrat. Sobald sich das gedehnte Substrat entspannt, kommt es zu einem kontrollierten Knickprozess, durch den die Flügel in genau definierte dreidimensionale Formen aufklappen. "Diese Strategie ist sehr wirkungsvoll, da alle Halbleiterbauelemente in solchen planaren Layouts aufgebaut sind", sagt Rogers. "Wir können also die fortschrittlichsten Materialien und Fertigungsmethoden der Unterhaltungselektronik-Industrie nutzen, um standardisierte, flache, chipähnliche Designs herzustellen. Dann verwandeln wir sie einfach in fliegende 3D-Formen nach Prinzipien, die denen eines Pop-up-Buches ähneln."

Die günstige Herstellung ermöglicht es, die Chips in Massen einzusetzen. Die Forscher stellen sich eine große Anzahl von miniaturisierten Sensoren vor, die in hoher räumlicher Dichte über große Gebiete verteilt werden, um ein drahtloses Netzwerk zu bilden. Sie sollen aus einem Flugzeug oder von einem Gebäude abgeworfen werden und sich weiträumig verteilen, um zum Beispiel Umweltsanierungsmaßnahmen nach einem Chemieunfall zu überwachen oder die Luftverschmutzung in verschiedenen Höhenlagen zu messen. Und das alles als kaum sichtbare Schwärme.

Der Mikroflieger im Größenvergleich neben einem Marienkäfer.

(Bild: Northwestern University, Illinois)

Das Bemühen, Fluggeräte zu miniaturisieren ist nicht neu. Ein bekanntes Beispiel ist die DelFly Micro, die 2008 an der Delft Universität in den Niederlanden vorgestellt wurde. Das Gerät misst zehn Zentimeter und wiegt drei Gramm – es ist also etwas größer als eine Libelle, der sie nachempfunden wurde. Robert Wood von der Harvard Universität hat ein Gerät entwickelt, dass von Insekten inspiriert ist und nur drei Zentimeter misst. Aber seine Energie muss es über ein Kabel beziehen. Auch die RoboBee mit 35 Millimeter Flügelspannweite entstand in Havard. Als bislang kleinste Maschine mit Eigenantrieb gilt Piccolissimo. Es handelt sich um ein 28 Millimeter breites Gerät von Matt Piccoli von der Universität Pennsylvania.

Bei derart vielen Miniaturgeräten besteht die Gefahr, dass sie nicht nur massenhaft Daten, sondern auch massenhaft Müll produzieren. Die Forscher um Rogers bauten die Elektronik deshalb aus Materialien, die sich in Wasser auflösen, wenn sie nicht mehr gebraucht werden.

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"Wir sind uns bewusst, dass die Rückgewinnung großer Mengen von Mikrofliegern schwierig sein dürfte", sagt Rogers. "Wir stellen physikalisch flüchtige elektronischen Systeme her, indem wir abbaubare Polymere, kompostierbare Leiter und auflösbare integrierte Schaltkreise verwenden, die sich auf natürliche Weise in umweltfreundliche Endprodukte auflösen, sobald sie mit Wasser in Berührung kommen".

(jle)