"Wenn's Hirsebrei regnet, ham wir keinen Löffel"

Ölgemälde "Der Raub" von Wolfgang Platt, 2016

Räuber, Gauner und Vaganten gehören zur unterirdischen Geschichte der Moderne. Vor 200 Jahren begann die glücklose Glückssuche der armen Leute von Kombach: Ein Geldtransport wurde überfallen

"Wenn du die Geschichte eines großen Verbrechers liesest, so danke immer, ehe du ihn verdammst, dem gütigen Himmel, dass er dich mit deinem ehrlichen Gesicht nicht an den Anfang einer solchen Reihe von Umständen gestellt hat." (Georg Christoph Lichtenberg)

Die große Zeit der Räuber

Hessen und die Gegend um Gießen waren ein Zentrum der Räuberei, deren große Zeit in die Jahre zwischen der Französischen Revolution (1789) und dem Wiener Kongress (1815) fällt. Die Räuber, die es in allen deutschen Landen gab, nisteten in den Ritzen und Poren einer Gesellschaft, die dabei war, von feudal-absolutistischen Zuständen in die bürgerlich-kapitalistische Gesellschaft überzugehen.

Das Alte ging unter, das Neue war noch nicht geboren. Räuber, Gauner und Vaganten gehören zur unterirdischen Geschichte der Moderne, zu dem großen Bereich einer von der offiziellen Geschichtsschreibung unterschlagenen Wirklichkeit. Der Gießener Criminalrichter Adolf von Grolman hat 1813 eine Actenmäßige Geschichte der Vogelsberger und Wetterauer Räuberbanden veröffentlicht.

Einer der spektakulärsten Überfälle fand im Januar 1801 in Würges in der Nähe von Bad Camberg, zwischen Wiesbaden und Limburg, statt. Zu diesem als Postraub von Würges in die Annalen eingegangenen Überfall hatten sich zahlreiche Größen der damaligen Räuberszene zusammengeschlossen.

Sogar der legendäre Chef der Niederländer Bande - Abraham Picard - und Johannes Bückler, genannt Schinderhannes, hatten sich am Tag zuvor in der Hasenmühle bei Heftrich, einer sogenannten kochemer Bayes, wie die Treffpunkte und Unterschlupfmöglichkeiten der Räuber im Rotwelsch genannt wurden, eingefunden, um dann am 10. Januar gemeinsam die Thurn- und Taxissche Posthalterei in Würges zu überfallen. Bei diesem Raub wurde Picard zum Anführer bestimmt, weil er der Erfahrenste von ihnen war.

Schinderhannes, der sich trotz seines jugendlichen Alters bereits einen Namen gemacht hatte, wurde zum Schmierestehen eingeteilt, was er ohne zu murren akzeptierte. Es gab innerhalb und zwischen den Räuberbanden keine starren Hierarchien, diese wurden von Fall zu Fall neu taxiert und ausgehandelt.

Dieser Überfall, bei dem ein massives hölzernes Tor unter Zuhilfenahme eines Rammbaums aufgesprengt, der Posthalter massiv misshandelt und eine beträchtliche Beute gemacht wurde, gab den Anstoß zu einer Konferenz in Wetzlar, auf der Ende Januar 1801 die Vertreter von zwölf Regierungen der umliegenden Länder zusammenkamen, um über ein gemeinsames und strengeres Vorgehen gegen das "Räuberunwesen" zu beraten.

Die territoriale Zersplitterung und ein desorganisiertes Polizeiwesen waren der Nährboden, auf dem die Räuberei gedeihen konnte. Ab jetzt wehte ein anderer Wind, die Luft wurde dünn für die Räuberbanden.

Die großen Räubergestalten wurden festgenommen und hingerichtet. 1803 wurde Johannes Bückler alias Schinderhannes in Mainz guillotiniert. Abraham Picard, der aus der Nähe von Groeningen stammte, war eine der ganz großen Räubergestalten. Sein Ruf war legendär, sein Wirkungsgebiet erstreckte sich über ganz Westeuropa. Sein Tod in Marburger Untersuchungshaft im Jahr 1807 markierte das Ende eines bestimmten Typus des bandenmäßigen Gaunertums.

Bald würde es keine Postkutschen mehr geben, die Geld transportierten, und auch keine Räuber, die sie überfielen. Die Eisenbahn und der bargeldlose Zahlungsverkehr trockneten einen ganzen Zweig der Kriminalität aus. Diese wandelte ihre Gestalt und verlagerte sich in die Anonymität der entstehenden Großstädte.

Der Postraub in der Subach

Dennoch kam es noch zu einem weiteren spektakulären Raub im Hessischen, der allerdings nicht von Profis, sondern von Gelegenheitsräubern ausgeführt wurde. Das begann so:

An einem sonnigen Tag im Herbst 1821 näherte sich der fliegende Händler David Briel mit seiner Kiepe dem Ort Kombach bei Biedenkopf. Er sah, dass Jacob Geiz, dessen Bekanntschaft er auf der Jagd gemacht hatte, die Wiese des Posthalters Stapp mähte. Er ging zu ihm und sprach ihn folgendermaßen an: "Höre, Jacob, kann ich mich wohl auf dich verlassen? Ich wüsste etwas, und wenn noch mehrere vertraute Leute mitgingen, so könnten wir's ausführen." Sprach's und wandte sich zum Gehen.

Während Jacob Geiz noch dabei war, den Sinn dieser Worte zu enträtseln, kam David Briel wieder zurück und lüftete selbst das Geheimnis: "Sieh einmal, Jacob, ich wüsste ein Mittel, wodurch uns beiden geholfen wäre, wenn du und noch einige vertraute Leute mit mir einverstanden wären. Du weißt, es fährt alle Monat ein paarmal das Geldkärrnchen von Biedenkopf nach Gießen. Das wollen wir zusammen angreifen, das Geld herausnehmen und wenn es uns gelingt, dann sind wir doch auf unser Lebtag gemachte Leute".

Die Umstände im "Hinterland"

Mit diesen Worten senkte der Strumpfhändler Briel ein Samenkorn in den kargen Kombacher Boden. Es dauerte eine Weile, bis es aufging und sich genug potenzielle Mittäter gefunden hatten. Der Kombacher Boden war für solche Ideen fruchtbar, denn die Lage der Kleinbauern und Tagelöhner war katastrophal.

Zwar waren die Bauern einige Jahre zuvor aus der Leibeigenschaft entlassen worden, aber in Wahrheit handelte es sich nur um einen Formwandel der Ausbeutung. Die Frondienste waren in Geldzahlungen, Steuern und Abgaben verwandelt worden. Die einzelnen Parzellen Land waren oft zu klein, um einer Familie das tägliche Brot zu sichern.

Verschlechtert hatte sich die Lage zusätzlich dadurch, dass im Jahr 1815 der Vulkan Tanibora in Indonesien ausgebrochen war und Unmengen an Staub und Asche in die Atmosphäre geschleudert hatte. Die Auswirkungen waren rund um den Globus spürbar. Die Sonne verschwand für lange Zeit im Dunst, das Jahr 1816 wurde zu einem "Jahr ohne Sommer".

Auf den Feldern verfaulten Getreide, Kartoffeln und Gemüse. Was noch übriggeblieben war, zerschlug der Hagel. Für die Bauern bedeutete die vernichtete Ernte eine Katastrophe. Es fehlte jeder Vorrat für den Winter und das Saatgut für das nächste Jahr. Eine Serie von Missernten war die Folge. Viele suchten ihr Heil in der Auswanderung.

Die Zurückgebliebenen litten Hunger und versanken in Elend und Fatalismus. Mit einer Zeile aus einem Märchen der Brüder Grimm hätten sie sagen können: "Wenn's Hirsebrei regnet, ham wir keinen Löffel." So ungefähr waren die Verhältnisse unter den Bauern im Hinterland. Freilich: Die Verhältnisse tun nichts, aber ohne sie wären Taten wie die, um die es nun gehen soll, nicht möglich gewesen.