Wie rassistisch ist Elke Heidenreich?

Weiße Frau gegen schwarze Frau und das Netz gegen alle. Medienblog "Macht & Meinung"

Der Kritik an meinen Aussagen stelle ich mich gerne und finde sie auch wichtig. Aber ein Shitstorm macht eine kritische Auseinandersetzung für alle Seiten unmöglich. ... Denjenigen, die den Shitstorm anfeuerten, ging es nie um eine inhaltliche Auseinandersetzung, sondern darum, mich anzugreifen und mich einzuschüchtern.

Sarah-Lee Heinrich

Eigentlich ging es um Sarah-Lee Heinrich, die am letzten Wochenende zu einer der beiden Sprecher der "Grünen Jugend", der Jugendorganisation der Grünen, gewählt wurde. Heinrich hatte in einer Diskussionsrunde im öffentlich-rechtlichen Rundfunk vor nicht allzu langer Zeit von der Bundesrepublik als von einer "eklig weißen Mehrheitsgesellschaft" gesprochen.

Frühere Tweets, die Heinrich im Alter von 13,14 Jahren schrieb, werden jetzt außer von grünen Moralaposteln auch von älteren weißen Männern, wenn sie bei Springer-Medien arbeiten, als rassistisch und sexistisch empfunden.

Heinrichs Einlassungen, für die sie sich im Übrigen öffentlich entschuldigt hat, kann man blöd finden, man kann sie falsch finden, kann sie geschmacklos finden. Eine andere Frage ist, ob es relevant ist, wie wir das finden, ob Heinrich das nicht einfach in einer freien Gesellschaft sagen oder schreiben darf, und jeder von uns, die wir zusammen die deutsche Öffentlichkeit formen, bildet sich dann sein Urteil.

"Hauptsache divers, Hauptsache Migrationshintergrund, Hauptsache Quote"

Einige, besonders aus dem konservativen Spektrum, teilweise auch von ganz rechts außen, wollten damit nicht warten und haben Sarah-Lee Heinrich mit einem üblen Shitstorm überzogen und mit schlimmerem: Aufgrund von Morddrohungen hat sich Heinrich ein paar Tage aus der Öffentlichkeit zurückgezogen.

Auch Elke Heidenreich hat sich ihre Meinung zu dem Fall gebildet. Und sie hat diese recht öffentlich am vergangenen Dienstag bei Markus Lanz herausposaunt. Und plötzlich geht es auch jenseits von Twitter nur noch um Elke Heidenreich.

Unter anderem hat Heidenreich in der Sendung folgendes über Heinrich gesagt: Die Grüne-Jugend-Sprecherin, "kann gar nicht sprechen. Sie hat gar keine Sprache. ... Das ist diese Generation, die nicht liest, von der ich immer wieder merke, dass sie sprachlos ist, unfähig mit Worten umzugehen".

Heidenreich habe "das Gefühl, dass das ein Mädchen ist, das nicht genug nachdenkt".

Im weiteren Verlauf steigerte Heidenreich in einem erfrischend undifferenzierten Rundumschlag ihre Ausführungen zu einer Wutrede über "Political Correctness" als solche: Es sei seltsam, dass die Devise immer sei "Hauptsache divers, Hauptsache Migrationshintergrund, Hauptsache Quote". "Dass alle immer sofort beleidigt sind, das will mir nicht in den Kopf." Dies nun trifft - und diese Pointe bleibt vielen verborgen - nicht allein Sarah-Lee Heinrich, sondern mindestens ebenso ihre Kritiker.

Denn während Heinrich eher wütend ist über eine Gesellschaft, die sie rassistisch ausgrenzt, sind ihre Kritiker wütend, dass ein junges Mädchen aus sozialschwachen Verhältnissen mit Migrationshintergrund in der deutschen Politik Karriere machen und im Fernsehen über die weiße Mehrheitsgesellschaft in unfeinen Worten schimpfen kann. Die vorhersehbare Folge: Nun wurde auch Heidenreich mit einem nicht weniger großen üblen Shitstorm überzogen. Der Social-Media-Storm nimmt kein Ende.

Symbolpolitik, Paternalismus, Empörungsdiskurs

Und dies ist nun das Thema des Mainstreams der Medien. So auch für die Süddeutsche Zeitung, die sich zu der Behauptung verstieg, Heidenreichs Kommentare seien "Stereotype ... die das Niveau der Heinrich-Tweets noch unterbieten." (SZ, 15.10.21)

Denn für diesen Medien-Mainstream ist eine Debatte um Angriffe aus den sozialen Netzwerken auf eine weiße Frau und auf eine schwarze Frau eher gut, weil sie eine wohltuende Reduktion von Komplexität und Personalisierung darstellen.

Wie gut, dass es jetzt nicht mehr darum geht, dass "Political Correctness" ursprünglich mal eine Idee der US-amerikanischen Rechten war, mit der sie die linksliberale Öffentlichkeit zerstören wollten. Oder auch nicht mehr darum, wie man unsere Gesellschaft öffentlich bezeichnen darf, oder ob eine Nachwuchspolitikerin um ihrer Karriere willen vielleicht bestimmte Dinge nicht sagen sollte, die normale Menschen selbstverständlich sagen dürfen. Oder ob sie das nur dann nicht tun sollte, wenn sie Nachwuchspolitikerin bei den Grünen ist und nicht bei der CDU/CSU.

Oder warum man eine 20-Jährige eigentlich an Äußerungen messen muss, die sie mit 14 getan hat? Oder darum, ob jetzt die Rechten genauso sprachempfindlich werden wie bisher nur die Linken, weil sie endlich in der Opposition sind.

Die Aufregung über Elke Heidenreich folgt erkennbaren Stereotypen und wiederkehrenden Mustern der deutschen Identitätsdebatte. Natürlich fällt die Bemerkung, sie sei eine alte weiße Frau; zu alt, um das moderne Deutschland zu verstehen, oder kommt das Sprechverbot, sie solle doch bitte schweigen, von jenen, die allen anderen "eine Stimme geben" wollen, bis hin zu dem absurden Vorwurf, eine Rassistin zu sein.

Diese Aufregung dient zumeist der moralischen Selbstdarstellung der Aufgeregten. Man kann zeigen, wie moralisch man selber ist, wie man sich über Kleinigkeiten wie das, was Elke Heidenreich sagt, empört. Es handelt sich um Symbolpolitik, weil es um erlaubte und nicht erlaubte Sprache geht, um (recht paternalistische) Erteilung von Redeverbot und Redeerlaubnis, um persönliche Intensitätssteigerung durch das Baden im eigenen intensiven Gefühl der Empörung. Und dieser Empörungsdiskurs ist typisch für soziale Medien.

"Sozusagen das falsche Ziel"

Eine Verteidigung von Elke Heidenreich erlebte man dann - erkennbar gegen den Willen des Senders, bzw. des Moderators der Sendung - beim Deutschlandfunk Kultur. Dort wurde der Berliner Philosoph Philipp Hübl ("Die aufgeregte Gesellschaft") zum Vorgang interviewt. Hübl reagierte gelassen:

Man kann sagen, ein paar Sachen, die sie sagt, sind Quatsch oder Unfug, ich sehe es anders, aber es wäre jetzt nichts, wo man normalerweise im Alltag sagen würde, da muss man mit den schwersten Vorwürfen kommen, des Rassismus zum Beispiel.

Philipp Hübl

Während die Fragen des DLF-Moderators immer Kritik an Heidenreich nahelegen wollten, immer mit einem "aber" oder "dennoch" beginnend dem Interviewten widersprechen - "Aber andererseits ist es nicht nur eine Frage des Vokabulars, das Elke Heidenreich verwendet hat..."; "aber vielleicht sind das auch unterschiedliche Herangehensweisen an die Frage nach einer Einwanderungsgesellschaft..."; "Stehen wir dennoch vor einem Generationenkonflikt..."; "Aber die Diskussion, die sich danach entzündet hat, ist heftig verlaufen...." - antwortete der Philosoph zugunsten der Angegriffenen:

Elke Heidenreich ist für ihre Generation extrem progressiv. Und nur weil sie gesagt hat, sie mag nicht so gerne selber gendern... Sie hat eigentlich relativ progressiv geantwortet. Natürlich kann man sich daran aufhängen und sagen, da hätte sie mal ein bisschen anders formulieren können, aber das ist dann, glaube ich, auch etwas übertrieben und sozusagen das falsche Ziel. Es gibt schlimmere Leute am rechten Rand, die man sich vorknöpfen sollte - und nicht im eigenen progressiven Lager Leute, die vielleicht ein bisschen andere Formulierungen verwenden.

Philipp Hübl

Man verwendet Empörung zur moralischen Selbstdarstellung, die Aussagen sind extrem übertrieben, weil Übertreibung besonders viele Likes und Klicks bekommt und besonders laute Stimmen sehr viel Aufmerksamkeit bekommen.

Eine gute Replik, die nur Dummköpfe missverstehen können

Kommen wir nochmal auf Sarah-Lee Heinrich zurück. Der Autor dieses Textes findet zum Beispiel ein "Heil!" unter einem Nazi-Tweet mit Hakenkreuz offen sarkastisch und also offensichtlich distanzierend und antinazistisch, und darum eine gute Replik, die nur Dummköpfe missverstehen können, und für die es keinen objektiven Grund zur Entschuldigung gibt.