Leser müssen nicht einfach gut informiert, sie müssen erzogen werden

Bild: © Twentieth Century Fox

Als man die Welt dem Publikum noch entdeckte und beschrieb, nicht bewertete und zensierte: Wes Andersons "The French Dispatch" ist eine Hommage an den klassischen Journalismus in Zeiten seines Untergangs

Eine Zeitschrift. Eine Zeitschrift, wie es sie heute kaum noch gibt. Eine Zeitschrift, die wie ein Buch mit Kurzgeschichten funktioniert oder mit Essays oder beides zusammen. Die sich an den Mann von Welt richtet und an seine Frau, an Kosmopoliten aller Länder. Die eine liberale Agenda der Offenheit, der Freiheit, der Risikofreude, des Fortschritt vertritt, der Aufklärung und Verbesserung der Menschheit. "We hold these truths to be selfevident", heißt es in der "Declaration of Independence".

Mit der Verbesserung der Menschheit fängt sie bei ihren Lesern an: Die will diese ideale Zeitschrift nicht nur gut informieren, sie will sie erziehen: Auf hohem Niveau, gebildet, aber auch kuratiert. Denn nicht jede Information ist wichtig.

Und Ausgewogenheit ist schon gar nicht wichtig, dafür Distanz zu allem, zu den Mächtigen wie zu den Ohnmächtigen. Und nur die Informationen sind von Relevanz, die die Zeitschrift ihren Lesern gönnt: "All the news that’s fit to print", heißt es in der New York Times. Ja schon, auch, aber nicht nur, und manchmal eben nicht alle News.

Diener der Macht und Diener des Mainstream

"The French Dispatch" ist der Name dieser Zeitschrift und der Titel des neuen Films von Wes Anderson. Das Publikum soll dabei unbedingt an den New Yorker denken, den es immerhin noch gibt - im Unterschied zu vielen anderen, oft legendären Zeitschriften dieser Art. Man soll an alle Zeitschriften dieser Art denken, an alle ihre Autoren. An etwas, das es mal ganz viel gab und heute immer weniger.

The French Dispatch (15 Bilder)

Bild: © Twentieth Century Fox

Man soll an das denken, was es heute immer weniger gibt. Denn heute verfallen die meisten dieser klassischen Medien, die einmal "die vierte Gewalt" waren, "Sturmgeschütze der Demokratie" und damit auf Distanz zu den anderen Gewalten standen; sie verfallen aus kommerziellen Gründen zu Dienern der Macht und zu Dienern des Mainstream.

Die heute 40-60-Jährigen, die sich die Welt zurückerobern wollen, in der sie aufwuchsen

"Ennui sur blaisé" heißt der Ort, an dem diese imaginäre Zeitschrift erscheint, eine Zeitschrift, die aus Europa berichtet für Amerikaner, die ist nicht nach Paris geschafft haben. Denn dieser wunderbare imaginäre Ortsname steht eigentlich für Paris. Mit dem ironischen Hinweis auf Ennui und Blasiert-sein markiert Wes Anderson, dieser Dandy unter den modernen Filmemachern, ganz offen seine eigene Haltung: eine gewisse Langeweile mit der Welt, so wie sie heute ist.

Diese Langeweile in der Gegenwart und des Gefühls der Menschen, die heute zwischen 40 und 60 Jahre alt sind, langsam aus der Zeit zu fallen, langsam die Welt verschwinden zu sehen, in der sie aufwuchsen, und ihr Wille, sich diese Welt zurückzuerobern, ist sowohl ein Lebensgefühl wie auch ein kulturpolitischer Plan. Das Lebensgefühl zieht sich gerade durch viele Gegenwartsfilme - eine kämpferische Nostalgie.

Als man die Welt dem Publikum noch entdeckte und beschrieb, nicht bewertete und cancelte

Alles spielt 1975 mit Rückblicken ins frühere 20. Jahrhundert. Ein paar Episoden aus der klassischen Moderne bilden den Rahmen für Andersons Hommage an den Journalismus und das, was er mal war, bevor die Controller und die Sozialen Netzwerke den Laden übernahmen. Eines Journalismus aus jenen Jahren, als man die Welt dem Publikum noch entdeckte und beschrieb, nicht bewertete, zensierte und cancelte.

In der ein Chefredakteur und Herausgeber, hier gespielt von Bill Murray sagt, wenn eine Autorin - Frances McDormand und Tilda Swinton - einen Text länger geschrieben hat als vereinbart: "Cut some adds! Order more paper!"

Systeme und Strukturen interessieren Wes Anderson heute viel mehr als früher, wo er sich noch für Familien und für einzelne Figuren interessiert hat.