Die Freiburger Thesen der FDP sind aktuell

Ein Parteiprogramm als Bestseller: die Freiburger Thesen von 1971, erschienen in der Rowohlt-Taschenbuchreihe rororo. Bild: Archiv des Liberalismus

Das 1971 auf dem Parteitag der Liberalen verabschiedete Konzept wurde zum Bestseller und beflügelte erste Ansätze einer ökosozialen Politik. Kann die Lindner-FDP daran anknüpfen?

Kann eine Regierung zur Klima-Regierung werden, die sich nicht einmal ein Tempo-Limit zutraut, das schon längst in der ganzen Welt gilt, außer in Afghanistan, Somalia, einigen anderen Staaten – und Deutschland?

Eine Bundesregierung, die unter FDP-Beteiligung Freiheit als die Freiheit zum Rasen und zum Totfahren versteht?

Vor 50 Jahren hatte die FDP in ihren "Freiburger Thesen" bewiesen, dass sie auch einen ganz anderen Freiheitsbegriff kennt. Eine Freiheit, die immer auch Verantwortung meint: verantwortete Freiheit.

Die Freiburger Thesen, wesentlich vom damaligen FDP-Generalsekretär Karl-Hermann-Flach vorgedacht und auf dem Freiburger FDP-Parteitag am 27. Oktober 1971 durchgesetzt, waren das Grundsatzprogramm der damaligen FDP und die Voraussetzung für die erfolgreiche sozialliberale Koalition unter dem SPD-Bundeskanzler Willy Brandt.

Sie waren nicht nur gesellschaftspolitisch, sondern auch ostpolitisch die Basis für eine neue und realistische Politik in der Bundesrepublik der Siebzigerjahre. Die Thesen beflügelten auch die ersten Ansätze einer ökosozialen Politik.

Im damals neuen FDP-Programm war Erstaunliches zu lesen wie:

  • "Umweltschutz hat Vorrang vor Gewinnstreben."
  • "Optimale Leistungsfähigkeit setzt Mitbestimmung voraus."
  • "Das Verfahren der Enteignung muss verbessert werden."

Die FDP war dann einige Jahre erfolgreich auf dem Weg zum sozialen Liberalismus und prägte die soziale Marktwirtschaft der alten Bundesrepublik wesentlich mit.

Die FDP und die kommende ökosoziale Marktwirtschaft

Kann heute eine moderne FDP in einer rot-grün-gelben Bundesregierung auch den Weg zu einer ökosozialen Marktwirtschaft mitprägen? Das ist die Frage aller Fragen bei den laufenden Koalitionsverhandlungen. Werden die damals fortschrittlichen Freiburger Thesen für die heutige FDP wieder aktuell?

Kann die Lindner-FDP mit der Fridays-for-Future-Bewegung von heute so auf Augenhöhe diskutieren, wie es damals der FDP-Politiker Ralf Dahrendorf mit Rudi Dutschke von der APO vermochte?

Die Thesen der FDP waren unter Walter Scheel und Hans-Dietrich Genscher vor 50 Jahren so zeitgemäß, dass sie sogar als Buch ein Bestseller wurden. Für ein Parteiprogramm eine absolute Sensation.

Doch inzwischen sind die Linksliberalen in der FDP in der Minderheit. Ob sie je wieder in die Offensive kommen? Wann, wenn nicht jetzt? Schafft die heutige FDP tatsächlich ein Zurück in eine erfolgreiche Zukunft?

Skepsis ist angebracht. Aber: Die FDP-nahe Friedrich-Naumann-Stiftung schreibt 50 Jahre nach den Freiburger Thesen zu deren Aktualität:

Das liegt daran, dass es sich bei den berühmten Thesen um das wohl ambitionierteste Zukunftsmodell des Liberalismus nach 1945 handelte. Die darin enthaltenen Aspekte der Demokratisierung der Gesellschaft, der Kapitalismuskritik, der Mitbestimmungs-, Eigentums-, Vermögens- und der Umweltpolitik sind weiterhin viel diskutierte Themenfelder - nicht nur, aber auch bei den Liberalen.

Wenn es der FDP heute nicht nur um die Vergangenheit, sondern auch um die Gegenwart und vor allem um die Zukunft von "Freiburg" geht, kann sie dies bei den aktuellen Koalitionsverhandlungen beweisen.

Die damalige soziale Marktwirtschaft muss zu einer ökosozialen Marktwirtschaft fortentwickelt werden. Die Thesen sind ein wichtiges Erbe für einen modernen zeitgemäßen Liberalismus.

Dazu gehört wenigstens auch ein Tempo-Limit.

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