Lackierte Kampfhunde: das Auto als Waffe und männliche Selbstwertprothese

Ein Waffenschein ist nicht erforderlich. Foto: andreas160578 auf Pixabay (Public Domain)

Die Kette der in Deutschland mit Autos begangenen Amoktaten ist lang, unser Gedächtnis kurz. Und manche Pkw-Typen verkörpern Sozialdarwinismus auf vier Rädern

Die Voraussetzung dafür, jemanden guten Gewissens umzubringen, ist das grüne Licht der Ampel.

(Theodor W. Adorno)

Es war an einem dieser heißen Sommertage. Ich war mit dem Rad auf dem Weg zur Lahn, um schwimmen zu gehen. Ich hielt an einer Ampel an der Westanlage. Zwei schwarze Limousinen kamen nebeneinander zu stehen - mit abgedunkelten Scheiben und zu Schlitzen verengten Scheinwerfern. Musik wummerte aus beiden Wagen. Betont lässig hingen die Arme der Fahrer aus den geöffneten Fenstern.

Die beiden jungen Männer nahmen Witterung auf und checkten ab, ob "etwas ging". Reflexe schnappten ein und setzten einen Mechanismus in Gang, der kaum noch zu stoppen war. Sie betrieben ein nervöses Wechselspiel zwischen Kupplung und Gaspedal, so dass die Autos leicht vor und zurück wippten. Ihre Blicke gingen hektisch zwischen den Lichtern der Ampel und dem Rivalen hin und her.

Die Szenerie erinnerte an Duelle zwischen Revolverhelden in gewissen Italo-Western. Beide warteten auf das Startsignal. Die Ampel sprang auf Gelb und innerhalb von Sekundenbruchteilen gaben sie Gas. Die soundverstärkten Motoren heulten auf, Reifen quietschten, die Wagen schossen leicht schlingernd davon. Ein paar hundert Meter weiter mussten sie ihr Rennen vor der nächsten roten Ampel ebenso rabiat unterbrechen.

Dass bei solchen innerstädtischen Rennen an Ampeln gehalten wird, ist keineswegs mehr selbstverständlich. Im Februar 2016 haben zwei junge Männer auf dem Berliner Kurfürstendamm während eines nächtlichen Rennens gleich mehrere rote Ampeln überfahren. Einer der beiden rammte dann mit rund 160 Stundenkilometern einen Wagen, dessen Fahrer noch am Unfallort starb. Ein Berliner Gericht befand, die beiden jungen Männer hätten mit "bedingtem Vorsatz" gehandelt und den Tod anderer Verkehrsteilnehmer billigend in Kauf genommen.

In erster Instanz wurden sie wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Der Bundesgerichtshof hob am 1. März 2018 das erstinstanzliche Urteil auf. Die Karlsruher Richter sahen einen bedingten Tötungsvorsatz nicht ausreichend belegt und verwiesen den Fall zur Neuverhandlung an das Landgericht zurück.

Die Entscheidung steht noch aus. Im Juni 2020 hat der Bundesgerichtshof die neuerliche Verurteilung des Fahrers, der direkt an dem tödlichen Unfall beteiligt war, wegen Mordes bestätigt. Mit der Strafbarkeit seines Kontrahenten muss sich das Landgericht noch ein drittes Mal beschäftigen. Seine Verurteilung als Mittäter sah der Bundesgerichtshof nicht als ausreichend begründet an.

Lamborghini gegen Porsche: Ein Rennen auf der A 66

Im Herbst 2020 sorgte ein neuer Fall von tödlicher Raserei für mediale Aufmerksamkeit. Drei junge Männer veranstalteten am Samstag, dem 10. Oktober 2020, auf der stark befahrenen Autobahn 66 zwischen Wiesbaden und Frankfurt mit ihren Sportwagen ein Rennen. Einer von ihnen verlor bei Tempo 200 die Kontrolle über seinen Wagen, prallte gegen die Leitplanke und raste dann in einen Pkw, der sofort in Flammen aufging. Die 71-jährige Fahrerin verbrannte in ihrem Automobil. Ihre Identität konnte nur mittels DNA-Spuren ermittelt werden. Mehrere andere Verkehrsteilnehmer erlitten Verletzungen.

Der Fahrer des Lamborghini wurde lediglich leicht verletzt und konnte sich aus seinem ebenfalls brennenden Wagen befreien. Ein am Rennen beteiligter Porsche-Fahrer fuhr zunächst weiter, stellte sich dann aber in Aachen der Polizei. So lang war der Bremsweg, oder anders gesagt: Das Gewissen des Mannes brauchte 250 Kilometer, um sich zu melden und Einfluss auf sein Handeln zu gewinnen.

Meine Erfahrung als Gefängnispsychologe lässt mich allerdings vermuten, dass es weniger die Stimme des Gewissens war, die den Mann dann doch noch anhalten ließ, sondern ein Telefonat mit seinem Anwalt. Dieser wird ihm geraten haben, sich zu stellen. Das könnte sich vor Gericht günstig auf das Strafmaß auswirken. Der dritte am Rennen Beteiligte, ein Bekannter des Lamborghini-Fahrers, ist flüchtig. Gegen alle drei wurde Haftbefehl wegen Mordes erlassen. Von der entscheidenden Phase des Rennens existiert ein Video.

Die Ermittlungsbehörden prüfen, ob es sich bei diesem Video um eine Auftragsarbeit handelt. Dieser Verdacht wird durch den Umstand genährt, dass es sich bei dem 29-jährigen Lamborghini-Fahrer um einen aus dem Iran stammenden Mann handelt, der sein Geld mit windigen Social-Media-Geschäften "verdient". Er soll Instagram-Follower akquirieren und an Leute verkaufen, die wiederum Follower brauchen, um höhere Werbeeinnahmen erzielen zu können.

Narzissmus und Profitstreben

Der eine filmt mit einer Helmkamera sein Massaker an neuseeländischen Muslimen - so geschehen in Christchurch im März 2019 - und überträgt es mit einem Live-Streaming auf Facebook, andere lassen ihr Rennen auf einer dicht befahrenen Autobahn filmen und laden es anschließend hoch, um neue Follower zu gewinnen. Alles ist möglich und geschieht unter unseren Augen.

Neuerdings werden Menschen getötet, misshandelt und gefoltert, um Bilder zu erzeugen und zu verbreiten. Die Wahrnehmung der Betrachter wird das Ziel der Tat. Und mit den Daten, die diese mediale Wahrnehmung erzeugt, wird obendrein noch Handel getrieben und Gewinn erzielt. "Jede Gesellschaft bekommt die Verbrecher, die sie verdient", sagte der französische Rechtsmediziner Alexandre Lacassagne schon vor mehr als einhundert Jahren.

Die kriminelle Physiognomie unseres Zeitalters wird von einem unappetitlichen und hochtoxischen Amalgam aus medialem Narzissmus und Profitstreben geprägt.

Tage später wird gemeldet, dass die Staatsanwaltschaft Frankfurt den Mordvorwurf gegen die Raser fallengelassen habe. Man gehe nun nicht mehr von einem Tötungsvorsatz aus, sondern ermittle nur noch wegen eines verbotenen Rennens. Die beiden Männer, die nach dem tödlichen Unfall in Untersuchungshaft genommen worden waren, wurden auf freien Fuß gesetzt. Damit droht den Männern, da es zu einem "Personenschaden" kam, wie es in der Juristensprache heißt, eine Haftstrafe von maximal zehn Jahren.

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