Was wir im Corona-Schockraum (und im Corona-Newsroom) übersehen

Schockraum des Universitätsklinikums Mannheim im Bereitschaftszustand, 2009. Bild: Director84, CC0 1.0

Woran liegt es, dass sich die pandemische Lage hierzulande derzeit so dramatisch wie noch nie darstellt – oder dargestellt wird?

Eineinhalb Jahre nach Beginn der Corona-Pandemie und ein Jahr nach Beginn der Impfkampagne erscheint die Lage dramatischer denn je zuvor. Auch am heutigen Montag (22.11.2021) meldet das Robert-Koch-Institut wieder eine neue Höchst-Inzidenz für Deutschland. Die Gesundheitsämter hätten 30.643 Neuinfektionen mit dem Corona-Virus registriert. Meldung über Zwangsschließungen, Lockdowns und Impfpflicht bestimmen viele Medien.

Im etablierten Journalismus scheinen dabei zwei zentrale Aspekte unterbelichtet zu sein. Beziehungsweise im falschen Licht dargestellt zu werden. Man kann hier auch, wie aus dem Russischen ins Englische und Deutsche gekommen, vom "Elefant im Raum" reden: Die Metapher meint ein offensichtliches Problem, das zwar im Raum steht, jedoch von Anwesenden nicht hinreichend angesprochen wird.

Die übersehene Krise der Intensivmedizin

Der erste unheimlich große Elefant im Raum, der von wichtigen Medien kaum thematisiert wird: Die im Vergleich zum Vorjahr offenbar dramatisch weiter verschlechterte Lage in der Kranken- und Altenpflege.

Laut Statistischem Bundesamt ist zwar der Bruttolohn für Beschäftigte in Krankenhäusern und Altenheimen von 2010 bis 2020 um rund ein Drittel gestiegen (Stand: 21.11.2021).

Aber: Tausende Beschäftigte haben im Vergleich zu Anfang 2021 diesen Bereich verlassen oder ihre Arbeitszeit verkürzt, nicht zuletzt in der Intensivpflege. Die Gründe liegen auf der Hand: Permanente Überlastung und zugleich zu geringe materielle (und sonstige nachhaltige) Anerkennung.

Ende Oktober dieses Jahres hatte der Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi), Gernot Marx, gesagt, es bereite ihm Sorge, dass im Vergleich zu Anfang 2021 deutlich über 4.000 Intensivpflege-Betten weniger zu Verfügung stünden.

Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht spricht von rund 6.000 Betten weniger im Vergleich zur Lage "vor einem guten Jahr" (Video bei 18:04 min; Aufruf 21.11.2021). Wie auch immer - am Sonntag waren es laut Divi -Intensivregister genau 3.675 Covid-19-Patient:innen, die intensivmedizinisch behandelt werden mussten (Aufruf 21.11.2021). Und damit (noch immer) weniger, als augenscheinlich Intensivbetten wegen fehlenden Pflegepersonals im Jahresvergleich schlicht nicht mehr nutzbar waren.

Das heißt, ohne die dramatische Lage für jeden Einzelfall damit zu leugnen, dass das Drama gesamtgesellschaftlich ganz wesentlich vom massiven Notstand in der (Intensiv-)Pflege bestimmt sein dürfte. Dieser wird staatlich zumindest billigend in Kauf genommen. Jedenfalls ist leider weiterhin weder von der noch geschäftsführenden "GroKo" noch von neuer "Ampel" Relevantes zu vernehmen in Richtung "nachhaltig bessere Arbeitsbedingungen in der Pflege". Klar, wir könnten Frequenz und Lautstärke des Gratis-Beifalles für die Beschäftigten dort erhöhen. Aber dafür scheint nicht mal mehr Jens Spahn zu sein.

Die übersehene Legitimationskrise des Staates

Warum lassen sich etliche Menschen nicht gegen das Corona-Virus impfen? Der zweite unheimlich große Elefant im gesellschaftlichen Diskurs-Raum ist damit verbunden, was Soziologe Heinz Bude kurz so nennt: "Die meisten testen doch eher ihre Vetokraft aus" (Aufruf: 21.11.2021).

Aber auch Bude thematisiert kaum, wodurch dieses "Austesten von Vetokraft" motiviert ist. Anlass der Formulierung ist hier die Frage, worauf, so Journalist Harry Nutt, "eine derartig gesteigerte Impfangst bei einem beträchtlichen Teil der Bevölkerung" wohl stamme.

Was aber, wenn bei vielen eine angeblich zunehmende Impfangst kaum oder gar keine Rolle spielt? Schaut man sich an, wo die Impfquoten im Landesvergleich relativ gering sind, liegt die These nahe, dass etliche Leute an der Stelle auch allgemeine Unzufriedenheit mit der Gesamtlage auf ihre - sicher und leider krude - Weise artikulieren.

Legitimationskrisen der herrschenden Verhältnisse scheinen sich weiter zu verschärfen. Nicht zuletzt der gravierende Abbau von Sozialstaatlichkeit – siehe nur die enorme Senkung des gesetzlichen Rentenniveaus seit der Regierung Schröder – führte und führt verbreitet zu Abstiegserfahrungen oder zumindest -ängsten.

Oft bricht sich Ablehnung "der Politik" Bahn auf stramm rechte oder rechtsextreme Weise, also pseudoradikal. Etablierte Medien und Politik diskutieren einen etwaigen generellen Vertrauensverlust kaum - wenn, dann wird auf Parallelen zwischen AfD-Zustimmung und Impf-Ablehnung vor allem in Ostdeutschland verwiesen.

Politiker wie Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sprachen wiederholt davon, dass es ganz verschiedene Gründe gebe, sich nicht impfen zu lassen. Mittlerweile allerdings lautet der herrschende Tenor zunehmend, es gebe keinen Grund mehr, die Impfung zu verweigern.

Das stimmt insofern, als der hier skizzierte zweite große Elefant in medialer Berichterstattung und politischem Diskurs zumindest in den öffentlichen Debattenräumen praktisch von allen Seiten tabuisiert scheint: Sowohl seitens der betreffenden Bürger:innen als auch bei etablierten Medien und Politik. Das verkleinert dieses Problem allerdings nicht. Aus einem (oder zwei) Elefanten wird nicht ohne Weiteres eine Mücke.