Facebooks "Metaverse": Freiheit oder Versklavung?

Warum die triste Realität verbessern, wenn schon die virtuelle Welt bunt und schön ist? Foto: Nick Ross auf Pixabay (Public Domain)

Wer Zugang zu dieser Technik hat, kann glückselig in der Illusion seines selbst gestalteten Paradieses verweilen. Für die reale Befreiung sieht es dann schlecht aus

"Willkommen in der Dimension der Imagination" ruft ein lächelnder Tiger und führt junge Millennials aus einem ehemals statischen Gemälde in ein dank Metaverse jetzt vor Leben sprühendes Szenario mit sich verrenkenden Flamingos, tanzenden Nilpferden und anderen ekstatischen Tieren.

Der Facebook-Gründer Mark Zuckerberg beschreibt Metaverse - das Metaversum - als ein verkörpertes Internet: man sieht sich nicht nur Inhalte an - man ist mitten drin. "Man fühlt sich wie in Gesellschaft mit anderen Menschen, als wäre man an einem anderen Ort und macht Erfahrungen, die man nicht unbedingt auf einer 2D-App oder einer Webseite machen würde, wie zum Beispiel zusammen tanzen oder an Fitnessübungen teilnehmen."

Im Metaversum ist man dank Virtual-Reality-Brille nicht mehr an die begrenzten Fähigkeiten seiner eigenen Existenz gefesselt. Wenn Ihre Vorstellungskraft funktioniert und Sie Zugang zu dieser Technik haben, können Sie glückselig in der Illusion Ihres selbst gebauten Paradieses verweilen.

Zuckerberg behauptet, dass er Metaverse geschaffen habe, um eine "natürliche" transzendente Kommunikationsplattform anzubieten, die die Fallstricke bestehender Plattformen überwinden, also die uns von der materiellen Existenz aufgenötigten räumlich-zeitlichen Bedingungen "transzendieren" kann.

"Menschen sind nicht dazu bestimmt, sich in einem Raster von Apps zurechtzufinden. Ich denke, wir interagieren viel natürlicher, wenn wir glauben, mit anderen Menschen zusammen zu sein. Unsere Orientierung in der Welt und unser Nachdenken über die Welt gelingt nur mit Hilfe von anderen Menschen und durch unsere Interaktion mit ihnen. Durch all das, was wir mit ihnen zusammen machen."

Wenn die Besonderheit von Traditionen und Kulturen verschwindet

Natürlich soll dieses einzigartige, auf ein Individuum bezogene Paradies, sobald die Menschen erst einmal eine für sie optimale Welt entdeckt haben, zu einer sich endlos wiederholenden Version für alle werden. Die individuelle Vorstellungskraft, die sich der Besonderheit von Kulturen und Traditionen verdankt, wird als Nebeneffekt all der Massen, die sich dasselbe wünschen, völlig ausgelöscht. Erfahrungen werden auf das reduziert, was die Menschen schon kennen.

Die voyeuristischen Tendenzen von uns Menschen werden durch die sozialen Medien verstärkt. Unser Geschmack unterliegt den Bedingungen der Massenproduktion. Die Erosion kultureller Besonderheiten ist als Folge davon bereits spürbar.

Meiner Meinung nach ist Metaverse eine Reaktion auf jene Art von Enttäuschung, die entsteht, wenn es zu einem Konflikt kommt zwischen einem wachen Geist mit unbegrenzten Wünschen einerseits und einem unter Druck stehenden Körper, der ständig für seine Unzulänglichkeiten verurteilt wird, andererseits.

Unser Geist wandert zu dem, was wir besitzen wollen, sei es Luxus, Schönheit oder Reichtum. Der Geist erzeugt Wünsche. Und sollte der Körper diese Wünsche nicht verwirklichen können, dann radieren wir diese materielle Seite doch einfach aus - und verbleiben im ätherischen Reich unserer Imagination!

Sperren wir uns in die Sicherheit und Bequemlichkeit unseres eigenen Geistes ein, wo wir im luziden Schlaf eines von uns selbst geschaffenen Paradieses leben können!

Es geht bei Metaverse, so wird uns gesagt, um Freiheit. Aber ist es die Freiheit, unsere eigene Versklavung zu akzeptieren? Oder ist es eine authentische Form der Freiheit? Ein erneuter Blick auf Platons Höhlengleichnis, eine Geschichte über die Befreiung des Menschen, ist bezüglich der grundsätzlichen Möglichkeit von Freiheit im Metaversum vielleicht hilfreich. Platons Gleichnis hat viele fiktionale Werke inspiriert; am populärsten davon ist "Die Matrix".

In "Der Staat" erzählt uns Platon die Geschichte von Gefangenen, die von Geburt an angekettet waren, am Boden einer Höhle wohnen und die Schatten beobachten, die von den Puppenspielern projiziert werden. Sie konkurrieren darum, wer von ihnen am besten vorhersagen kann, welche Schatten als nächstes kommen werden.

Die Weigerung, sich real zu befreien

Für die Gefangenen sind diese Schatten die Realität - und so weigern sie sich, auf den Befreier zu hören, der sie über das Leben außerhalb ihres Gefängnisses informiert. Und am Ende führt sein Insistieren darauf, ihre Ketten zerreißen zu wollen, zu seinem gewaltsamen Tod. Das ist eine Geschichte über unsere menschliche Neigung zur Sklaverei, wenn diese nur unterhaltsam genug ist. Und eine über den hohen Preis einer Befreiung.

Diese Gefangenen waren freilich schon als Gefangene geboren worden. Die Metaverse-Benutzer hingegen entscheiden sich absichtlich und frei dafür, sich zurückzulehnen und entspannt weiterhin in ihrer selbstgewählten Illusion zu leben. Sie können sich entweder wie die Höhlengefangenen auf die gemeinschaftliche Illusion einlassen oder sich noch weiter an den Solipsismus ihres eigenen Geistes ketten.

Die Freiheit, für die das Metaversum steht, ist die Freiheit von der körperlichen Existenz - was schon Platon als Illusion verspottet hat. Zuckerberg geht noch einen Schritt weiter - und fesselt die Menschen an die Schatten ihres eigenen Geistes.

Der freie Wille war für die menschliche Befreiung schon immer von zentraler Bedeutung. Aber es scheint, dass die Freiheit einen Paradigmenwechsel durchgemacht hat. Obwohl Zuckerbergs Kosmos als Hauptantrieb für seine Kreation die Freiheit propagiert, hoffe ich doch, dass wir alle erkennen können, dass diese Art von Freiheit zur Versklavung führt. Zwar hatte schon Platon die Torheit der Gefangenen vorausgesehen; aber das Ausmaß der Torheit ihrer Nachkommen konnte selbst er noch nicht ahnen.

Heba Yosry ist Philosophie-Studentin an der AUC (American University in Cairo). Dieser Artikel erschien zuerst am 22. November auf Englisch in Al Arabiya News. Übersetzt hat ihn der derzeit an der AUC unterrichtende Analytische Philosoph und freie Telepolis-Mitarbeiter Georg Meggle.