Impfen – wo ist das Problem?

Der Staat darf, was er in seine Gesetze schreibt. Doch was bedeutet das für die aktuelle Debatte? Ein Überblick

Mit steigenden Infektionszahlen ist die Notwendigkeit einer Impfpflicht mehr und mehr in die öffentliche Debatte gerückt, und zwar von denjenigen, die sie zu Beginn der Pandemie am heftigsten abgelehnt hatten. Hieß es im November noch "Bundesregierung eiert um Impfpflicht herum", gibt es jetzt einen neuen Konsens.

Nun ist alles möglich – 3G, 2G, 2-G-Plus, Lockdown, Teillockdown, Abstandgebot und Mundschutz – und nach der letzten Runde der Ministerpräsidenten mit der gerade noch geschäftsführenden Kanzlerin sowie nach Auskunft des künftigen Kanzlers Olaf Scholz (SPD), aber auch des FDP-Chefs Christian Lindner soll die Impfpflicht bald kommen.

Die Pandemiebekämpfung geht also nicht einfach ihren Gang, sie scheint, trotz umfangreicher wissenschaftlicher Beratung, eine sehr komplexe, widersprüchliche Angelegenheit zu sein. Das liegt allerdings nicht an dem Erreger und der Seuche, sondern hat viel mehr mit der Verfasstheit dieser Gesellschaft zu tun.

Impfen als medizinische Indikation

Vorbeugen ist besser als Heilen, besagt eine bald 200 Jahre alte Mediziner-Weisheit. Demnach ist es besser, von vornherein die Wirkung des Virus auszuschalten als auf Medikamente zur Heilung zu setzen. Medikamente gegen Viren können den Verlauf einer Erkrankung abschwächen, ein Mittel gegen den Krankheitserreger selbst sind sie nicht.

Es gibt nur zwei Arten, ihn effektiv zu bekämpfen: die radikale Kontaktunterbrechung, damit das Virus keinen Wirt mehr findet, oder die Impfung, die jedoch nur dann zur Einhegung der Virus-Verbreitung führt, wenn sie so umfangreich erfolgt, dass eine Herdenimmunität eintritt, und zwar nicht nur regional, sondern weltweit.

Beim Impfen werden abgeschwächte, getötete Viren oder Teile von ihnen in den menschlichen Organismus eingebracht, was das Immunsystem zu Abwehrreaktionen angeregt. Inzwischen gibt es auch künstlich hergestellte Impfstoffe vom sogenannten mRNA-Typ.

"Die mRNA-Impfstoffe enthalten den Bauplan für einen bestimmten Bestandteil des Virus. Dieser Bauplan wird im Reagenzglas künstlich hergestellt und besteht aus mRNA. Im Fall der Covid-19-Impfung trägt der Bauplan die Anleitung für das Spike-Protein des Coronavirus", heißt es zur Erklärung. Die Impfung stärkt das Abwehrpotenzial, mit dem Erreger muss der Organismus dann selber fertig werden.

Die Wirkung des Eingriffs in den menschlichen Körper bedarf der Kontrolle, zum einen hinsichtlich einer schädlichen Wirkung wie einer Überreaktion des Immunsystems, zum anderen zur Prüfung seiner Wirksamkeit. Für beides braucht man Versuchspersonen, die sich einem solchen Versuch unterziehen. Die ersten Impfforscher lösten das Problem zum Teil dadurch, dass sie Selbstversuche unternahmen.

Die Bildung von Abwehrstoffen kann durch Blutkontrolle ermittelt werden. Menschen reagieren allerdings unterschiedlich auf Medikamente oder Impfungen, sie verfügen zudem über ein Abwehr- und Selbstheilungssystem, das individuelle Stärken und Schwächen aufweist.

Deshalb wird die Wirkung eines Medikaments oder Impfstoffs in der Regel bei einer größeren Gruppe getestet und mit einer Gruppe von Unbehandelten verglichen. So soll herausgefunden werden, ob der verabreichte Stoff besser wirkt als die Abwehr- oder Selbstheilungskräfte des Körpers.

Einwirkungen auf den menschlichen Organismus in Form von Medikamenten oder Vakzinen führen meist zu erwünschten wie unerwünschten Wirkungen – und das bei unterschiedlichen Menschen unterschiedlich. Die unerwünschten Wirkungen, oft auch Nebenwirkungen genannt, zeigen sich allerdings nicht bei jedem; je seltener sie auftreten, desto eher lassen sie sich bei der Anwendung in einer größeren Gruppe nachweisen.

Ob allerdings die unerwünschte Nebenwirkung gleich bei der ersten Versuchsperson oder erst bei der 10.000-sten auftritt, ist damit nicht gesagt. Rein statistisch gesehen bedarf es einer Patientengruppe von 10.000 Menschen, wenn die Auftretenswahrscheinlichkeit 0,01 Prozent beträgt. In einem solchen Fall gilt eine Nebenwirkung als sehr selten.

Eine Sicherheit für den Einzelnen ist damit aber nicht gegeben, schließlich weiß man mit der Risikoangabe nicht, ob man derjenige von 10.000 ist, bei dem die unerwünschten Wirkungen auftreten.