Eine Demo gegen Impfpflicht, die nicht stattfinden durfte

Eine sich als links verstehende Initiative wollte in Berlin auf die Straße gehen – nicht gegen Impfungen, sondern gegen direkten oder indirekten Zwang. Am Verbot gab es kaum Kritik

Der FDP-Politiker Wolfgang Kubicki hatte kürzlich mit Abgeordneten seiner Fraktion einen Antrag im Bundestag lanciert, in dem sie sich explizit gegen eine Impfpflicht aussprechen. Sie fordern stattdessen Aufklärung und niedrigschwellige Impfangebote.

Eine solche Position war noch vor wenigen Monaten bei fast allen politischen Parteien Konsens. Vor den Bundestagswahlen gab es kaum einen Politiker, der sich für eine Impfpflicht ausgesprochen hat. Trotzdem gab es sofort Stimmen, die Kubicki und seine Unterstützer fast ins Lager der Impfgegner, ja in die Rechtsaußen-Ecke rücken wollten. Letzteres kam von CSU-Chef Markus Söder.

Christian Rath widersprach in der taz vehement. Er sah es sogar als Vorteil, dass die Kubicki-Gruppe an das Wahlversprechen erinnerte, dass es keine Impfpflicht geben werde. Rath wies sachlich richtig darauf hin, dass die FDP-Politiker durchaus dazu aufrufen, sich impfen zu lassen. Wogegen sie sich wenden, ist eine Impfpflicht und ein direkter oder indirekter Zwang zur Impfung.

Diese Position wird eher noch bestätigt, wenn aktuell auch Wissenschaftler nicht genau sagen können, inwieweit die gegenwärtigen Impfungen gegen die aktuellen Virusvarianten helfen und noch wichtiger, in welchen Zeitraum Nachimpfungen nötig sind.

Schon geistern Meldungen durch die Medien, dass dies bereits drei Monate nach der zweiten Impfdosis nötig sein könnte. Kürzlich hatte es noch geheißen, Immunologen würden im Normalfall nicht weniger als vier Monate Abstand empfehlen. Mehr als die viel zitierten Fake News von Impfgegnern könnte das Hin und Her solcher Meldungen dafür sorgen, dass die Zahl der Geimpften nicht schneller steigt.

Wenn dann noch die Universität Halle mit Alexander Kekulé einen der neben Christian Drosten bekanntesten Virologen mit fragwürdiger Begründung suspendiert, nachdem der auch mal die Corona-Politik kritisiert hat, wird die Beunruhigung eher noch wachsen. Wäre eine solche Suspendierung in China geschehen, wäre Kekulé hierzulande schon als Vorkämpfer für Wissenschaftsfreiheit auf das Schild gehoben worden.

#friedlichzusammen oder der Mythos von der Spaltung der Gesellschaft

Doch nicht nur auf der parlamentarischen und wissenschaftlichen Bühne ist es in diesen Tagen schwer, kritische Fragen zur Impf- und Pandemie-Politik zu stellen, ohne gleich in die Ecke der Corona-Leugner gestellt zu werden.

Das bekamen auch die Initiatoren einer Demonstration zu spüren, die am Samstag in Berlin in klarer Abgrenzung zu rechten und irrationalen Gruppierungen für Entscheidungsfreiheit bei der Impfung auf die Straße gehen wollten. Wie die Berliner Zeitung schrieb wurde die Demonstration von den Behörden mit der Begründung verboten, sie könnte von "Querdenkern" unterwandert werden.

Das bestätigte eine der Organisatorinnen in einen kurzen Video. "Wir haben versucht, alles richtig zu machen, wir haben ein Hygienekonzept erstellt, wir haben Masken besorgt und trotzdem dürfen wir nicht auf die Straße gehen", erklärte die Frau. Sie empörte sich dort darüber, dass rechte Impfgegner wie die AfD-Jugend auf die Straße gehen konnten, während eine Demonstration, die sich klar von rechts abgrenzte und sich ausdrücklich nicht gegen die Impfungen, sondern gegen einen Impfzwang richtete, verboten wurde.

Das Spektrum der Veranstalter gruppiert sich um das Internetprojekt #friedlichzusammen. Dabei gibt es Überschneidungen zur Initiative #allesaufdentisch, wo vor allem Menschen aus dem linksliberalen Spektrum durchaus mit Sachverstand, aber auch mit großer Naivität über sehr verschiedene Aspekte der Pandemie und der Pandemiepolitik diskutieren. Ihre selbst gestellte Aufgabe sehen sie wie auch die Demovorbereitungsgruppe darin, Gräben in der Gesellschaft und der Corona-Debatte zuzuschütten.

Das knüpft an das Gerede der offiziellen Politik an, die Spaltung der Gesellschaft zu bekämpfen. Damit wird negiert, dass wir in einer vielfach nach Klassen und unterschiedlichen Herrschafts- und Unterdrückungsverhältnissen gespaltenen Gesellschaft leben. Wenn dann besonders laut gefordert wird, es müsse alles gegen die Spaltung der Gesellschaft getan werden, nützt das denen, die die Gesellschaft so erhalten wollen, wie sie aktuell ist, weil sie davon profitieren.

Diejenigen, die durch die aktuellen gesellschaftlichen Verhältnisse ausgebeutet und unterdrückt werden, sollten eigentlich kein Interesse daran haben, am Mythos von einer einheitlichen Gesellschaft festzuhalten, die bloß nicht gespalten werden darf. Es ist daher naiv, wenn eine der Demo-Organisatorinnen, diese Rhetorik der Spaltung der Gesellschaft als linkes Projekt verkauft:

Es gibt so viele Linke, die sich auch ein anderes Pandemie-Management wünschen, die gegen Spaltung, und gegen die Impfpflicht sind, aber niemals auf eine sogenannte Querdenken-Demo gehen würden. Wir wollen zeigen, dass es sehr wohl noch rote Linien gibt, dass wir einige schon überschritten haben, und die Impfpflicht nicht wollen.

Miriam Stein, Berliner Zeitung

Wann ist Kritik an der Corona-Politk glaubwürdig links?

Doch interessant ist an dem Projekt, dass sich hier Menschen, die sich klar als Linke verstehen und nicht bereit sind, mit Rechten zu demonstrieren, auf die Straße gehen wollten. Es gab bereits im letzten Jahr solche Versuche, wie die Aktion Eigensinn. Sie hatte Probleme von zwei Seiten.

Einerseits wurde sie oft gleich in die rechte Ecke gestellt, andererseits wurde das von irrationalen Gruppierungen genutzt, die dorthin mobilisierten. Das kann auch dem neuen Bündnis passieren. Man könnte sich aber schon fragen, ob vielleicht mit dem Verbot die Behauptung zementiert werden soll, dass es keine nicht-rechten Kritiker eines direkten oder indirekten Impfzwangs gibt.

Für die "Freie Linke", die sich als Gruppe linke Kritiker der Corona-Politik begreift, wäre es an der Zeit, sich klar von rechten Gruppen abzugrenzen und nicht mehr mit ihnen auf die Straße zu gehen. Auf einer Online-Veranstaltung der North East-Antifa zum Thema "Was ist die Querfront" rief der Publizist Nick Brauns die "Freie Linke" dazu auf, sich zu entscheiden, ob sie weiter mit rechten Gruppen demonstrieren will oder sich davon abzugrenzen.

Mit Initiativen wie #friedlichzusammen hätte sie dann Partner, beim Versuch, eine Kritik an der Impfpflicht, die zumindest für Ärmere in Zwang ausartet, wenn sie sich Bußgelder nicht leisten können, in klaren Abstand zu Rechten auszudrücken. Daher ist es schon merkwürdig, dass es zum Demonstrationsverbot von linker und liberaler Seite nur ein lautes Schweigen gab. Dabei wurde dort immer wieder gefordert, dass sich Kritiker der Pandemie-Politik zunächst von den Rechten abgrenzen sollen. Das haben die Initiatoren von #friedlichzusammen getan. Wo also bleib die Kritik an der Einschränkung ihrer Grundrechte?