"Die Coronakrise wird ein gigantisches Reichtumsumverteilungsprogramm"

Interview mit Alexander von Pechmann über die gegenwärtigen Eigentumsverhältnisse und ihre Folgen

In seiner brillanten Studie "Die Eigentumsfrage im 21. Jahrhundert" untersucht der Philosoph Alexander von Pechmann den Begriff des modernen Eigentums, seine Rechtfertigungsstrategien und die daraus resultierenden Konsequenzen: Das privatkapitalistische Eigentum ist eine Art logische Fiktion, die die drängenden Probleme der Menschheit nicht löst. Im Gegenteil: Es ist Teil des Problems.

Herr von Pechmann, in Ihrem gerade erschienenen Buch über die "Eigentumsfrage im 21. Jahrhundert" unterscheiden Sie zunächst das Eigentum vom Besitz. Was ist Besitz beziehungsweise Eigentum überhaupt?

Alexander von Pechmann: Im Unterschied zum Eigentum bezeichnet der Besitz das tatsächliche physische Verhalten der Menschen zu den Dingen. So etwa kann ich den Kaffee nicht trinken, ohne zuvor die Kaffeetasse in Besitz genommen zu haben, oder das Auto nicht fahren, ohne es zu besitzen. Die Juristen drücken das so aus, dass man etwas dann besitzt, wenn man es in seiner tatsächlichen Gewalt hat.

Das Eigentum hingegen ist vom Besitz ganz verschieden. Es bezeichnet ein Rechtsverhältnis, nach dem mir oder uns etwas rechtlich zugehört. Ich nenne zwei Beispiele: In meiner Mietwohnung bin ich ihr Besitzer, weil ich in ihr wohne; aber ihr Eigentümer ist mein Vermieter, der vielleicht noch nie physisch in der Wohnung war. In einem Betrieb sind die Arbeiter oder Angestellten seine Besitzer, weil sie in ihm arbeiten; aber seine rechtlichen Eigentümer sind, zumindest in kapitalistischen Gesellschaften, nicht die Arbeiter oder Angestellten, sondern sind dessen Aktionäre, die nicht einmal zu wissen brauchen, dass ihnen Teile des Betriebs gehören.

Wenn man daher, wie ich es tue, die Eigentumsfrage stellt, dann ist es eine der wesentlichen Fragen, ob es sinnvoll ist, dass die, die in einem Betrieb arbeiten und ihn damit in ihren Besitz nehmen, auch rechtlich dessen Eigentümer sind, oder ob es ganz andere Leute sind, die darüber verfügen, was im und mit dem Betrieb geschieht.

"Angesichts der globalen Krise versagt die privatkapitalistische Eigentumsordnung"

Welche Folgen hat diese eigentümliche Eigentumsstruktur etwa für die Coronakrise?

Alexander von Pechmann: Darf ich dazu etwas ausholen? Zu Beginn der Coronakrise im vorletzten Mai hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO), die ich hier als die Vertreterin des gemeinschaftlichen Menschheitsinteresse verstehe, den Vorschlag erarbeitet und gemacht, die Impfstoffe gegen das Corona-Virus nach einem weltweit gemeinsamen Plan zu erforschen und zu produzieren, so dass alle Nationen und Kontinente daran teilnehmen und teilhaben können: eine multinationale Forschung mit vergleichbaren Tests, solidarisch und koordiniert von der WHO.

Doch dieser Vorschlag wurde von den reichen Nationen abgelehnt. Stattdessen geschieht die Erforschung und Herstellung der Impfstoffe nach den Rechtsvorschriften der Welthandelsorganisation (WTO) nicht gemeinschaftlich, sondern privat. Das heißt konkret: Die Impfstoffe werden durch privatkapitalistische Pharmakonzerne wie Pfizer oder Moderna entwickelt und produziert.

Die Folge der Geltung dieses kapitalistischen Eigentumsrechts ist, dass zwar die Eigentümer der Konzerne, die Aktionäre, als Krisengewinnler durch den Verkauf des Impfstoffs an die reichen Länder horrende Gewinne einstreichen, dass aber die armen Länder des globalen Südens keinen Impfstoff erhalten, weil er für sie zu teuer ist. Im reichen Norden sind folglich ca. 75 Prozent geimpft, im armen Süden hingegen nicht einmal 10 Prozent.

Und diese geringe Impfquote hat ihrerseits zur Folge, dass dort nicht nur viele Menschen in den Slums der Megacities sterben – was im Norden ja niemand interessiert –, sondern dass dort auch neue Corona-Varianten entstehen, die sich erneut weltweit ausbreiten.

Setzt sich diese Mutantenspirale fort, so wird die Coronakrise unter dem privaten Eigentumsregime ein gigantisches Reichtumsumverteilungsprogramm: Die Reichen werden reicher, die Armen ärmer.

Ich meine, dass der Verlauf der Pandemie ein schlagendes Beispiel dafür ist, dass angesichts dieser globalen Krise die derzeit weltweit geltende privatkapitalistische Eigentumsordnung versagt. Wären alle Nationen gemeinschaftlich Eigentümer und hätten in gleicher Weise Zugang zu den Patenten und Produktionstechniken, so gäbe es weniger Infizierte, Klinikaufenthalte und Todesfälle und könnte viel wirkungsvoller der Pandemie begegnet werden.

Um wie viel mehr ist zu befürchten, dass diese Rechtsordnung versagt, wenn es in den nächsten Jahrzehnten um die Bewältigung der drohenden Klimakrise gehen wird? Für mich folgt daraus: Statt der bestehenden privaten brauchen wir eine andere, eine globale und soziale Eigentumsordnung.

"Es ist die Produktivität, die letztlich das kapitalistische Eigentumsrecht begründet"

Wie wird diese nicht ganz dysfunktionale Eigentumsordnung philosophisch gerechtfertigt?

Alexander von Pechmann: Bevor ich Ihre Frage beantworte, möchte ich zunächst klar zwischen dem Recht auf privates Eigentum überhaupt und dem Recht auf kapitalistisches Privateigentum unterscheiden. Denn zum einen gehen beide in den meisten Diskussionen durcheinander, nicht zuletzt bei vielen sozialistischen und marxistischen Kritikern des Privateigentums, und zum anderen sind auch die Begründungen für das eine oder das andere Recht durchaus verschieden.

Für das Recht auf privates Eigentum gibt es zwar viele philosophische Begründungen; aber die wirkungsvollsten waren und sind vor allem drei:

Das erste Argument, das schon von Aristoteles stammt und immer wieder angeführt wird, lautet, dass dann, wenn jeder sich um "das Seine" kümmert, die Gesellschaft friedlicher sein und man mehr zustande bringen wird, als wenn allen alles – und damit keinem etwas – gehört.

Das zweite Argument, das von John Locke dann in der Neuzeit entwickelt wurde, heißt: All dasjenige, was ich mir selbst erarbeitet habe, muss rechtlich mir gehören. Der Fleißige, aber auch nur der Fleißige, hat das Recht auf die Früchte seiner Arbeit. Hier begründet die eigene Arbeit das Recht aufs private Eigentum.

Die dritte Begründung stammt vom Philosophen Hegel und lässt sich so zusammenfassen: Ohne eine Sphäre des ausschließlich Privaten ist eine Entfaltung der Persönlichkeit nicht denkbar. Bei Hegel wird also das Recht auf privates Eigentum mit der Freiheit meines Willens zusammengedacht.

Etwas ganz anderes jedoch ist das Recht auf das kapitalistische Eigentum. Denn dieses Eigentum stammt ja gerade nicht aus eigener Arbeit oder Leistung, sondern aus der Lohnarbeit und damit aus der Arbeit anderer. Das kapitalistische Eigentumsrecht legitimiert folglich die Exploitation, vulgo: Ausbeutung.

Hier ist denn auch die Begründung eine ganz andere. Sie argumentiert in der Tat so, wie Ihre Frage es nahelegt, nämlich mit der Funktionalität dieser Eigentumsordnung. Mag auch die dadurch legitimierte Ausbeutung in moralischer Hinsicht bedenklich sein, und mag sie auch in sozialer Hinsicht die Gesellschaft in Kapitalisten und Lohnarbeiter spalten – aber der stetig wachsende Reichtum all der Güter, die wir konsumieren und genießen, ist nur dann und dadurch möglich, dass der Kapitalist sein privates Kapital einsetzt und riskiert, um es zu verwerten, das heißt einen Profit aus ihm zu machen.

Hier gibt also weder die Ethik noch die Moral, sondern in der Tat die Funktionalität das Argument. Es ist die Produktivität der gesellschaftlichen Arbeit hinsichtlich der Masse der Güter des Konsums, die letztlich das kapitalistische Eigentumsrecht begründet.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.