Griechenland: Indizien für Pushbacks von Geflüchteten?

Statistik des griechischen Immigrationsministers: Wie kommt es zu den niedrigen Zahlen? Bild: @nmitarakis

Immigrationsminister Mitarachi bestätigt indirekt 25.000 "verschwundene Flüchtlinge". Wie sind Differenzen in Statistiken zu erklären?

Aus den offiziellen Statistiken griechischer Ministerien und des UNHCR-Flüchtlingskommissariats geht hervor, dass von den in Griechenland angekommenen Schutzsuchenden knapp 25.000 Personen verschwunden sind. Diese Menschen sind zwar vom Marineministerium als gerettet gemeldet worden, in der Statistik des Immigrationsministeriums aber nie als Ankünfte registriert worden.

Das legt die Vermutung nahe, dass entweder ein Teil der Statistiken enteder manipuliert ist, oder die genannte Anzahl von Personen im Zuge sogenannter Pushbacks zur Umkehr in die Türkei gezwungen wurden. Der Begriff Pushbacks bezeichnet die gewaltsame Rückführung von Geflüchteten in ihre unmittelbaren Herkunftsländer.

Am 31. Dezember 2021 twitterte der griechische Immigrationsminister Notis Mitarachi: "Wir verabschieden das Jahr 2021 mit den niedrigsten Immigrationszahlen seit Beginn der Krise. Mit Planung, Entschlossenheit und harter Arbeit gewinnen wir die Kontrolle zurück. Und wir machen weiter."

Dazu präsentierte er ein Schaubild mit Balkendiagrammen der offiziellen Statistik seines Ministeriums. Aus diesem geht hervor, dass 2015 insgesamt 874.735 Menschen als Asylsuchende ins Land kamen, während für 2021 bis zum 22. Dezember nur 8.616 vom Ministerium registriert wurden. Eine Zahl, die sich mit den diesbezüglichen Angaben des UNHCR - 8.803 bis zum 31. Dezember - deckt.

Mitarachi steht politisch unter Druck. Er muss seinen Wählern, aber auch den Bewohnern seines Wahlkreises, Erfolge liefern. Zum Epiphanienfest am 6. Januar versammeln sich in der Regel die Gläubigen an natürlichen Gewässern, Seen, Flüssen oder dem Meer, und wohnen der Weihe der Gewässer bei.

Auf Chios, der Heimatinsel des Immigrationsministers versammelten sich Bürger nahezu sämtlicher Parteien am Hafen, um die Ankunft und die Löschung der Fracht eines Schiffes zu blockieren. Sie wollten verhindern, dass Baumaschinen zur Schaffung eines neuen geschlossenen Camps an Land gebracht werden. Das Schiff, auf dem sich auch weitere Waren für die Insel befanden, konnte auch bei einem erneuten Versuch nicht anlegen.

Unerklärte Differenzen in Statistiken

Dabei stehen Mitarachis Zahlen in krassem Gegensatz zu den Statistiken des Marineministeriums. Dessen Minister, Georgios Plakiotakis, hatte angesichts der drei tödlichen Havarien von Flüchtlingsbooten vor Paros, Folegandros und Antikythera zu Weihnachten verkündet: "Insgesamt wurden 2021 mehr als 1.450 Rettungsaktionen durchgeführt und dabei mehr als 29.000 Menschen gerettet."

Demnach fehlen 20.384 Menschen, die von der griechischen Marine in Seenot gerettet, dann aber nicht vom Immigrationsministerium als Ankünfte registriert wurden. Somit wurden diese Menschen schlicht nicht erfasst.

Die Zahl der fehlenden Schutzsuchenden erhöht sich, wenn mit einkalkuliert wird, dass die Zahlen des Immigrationsministeriums nicht nur die über die Ägäis ins Land gekommenen Schutzsuchenden einbezieht, sondern auch diejenigen, die den Landweg über den Evros-Fluss wählen.

Auch hier kann die Zahl der Verschwundenen über die offiziellen Angaben des Immigrationsministeriums weiter eingegrenzt werden. Gemäß Mitarachi wurden bis Ende November 3.795 Ankünfte von Schutzsuchenden auf den griechischen Inseln registriert. Gemäß den Angaben des UNHCR, wurden bis zum 28. Dezember 4.058 Ankünfte auf den Inseln registriert.

Somit kann angenommen werden, dass von den 8.616 von Mitarachi bestätigten Registrierungen mehr als 4.500 den Landweg betreffen. Diese Zahl addiert zu den 20.384 bereits definitiv statistisch verschwundenen Personen bringt eine Größenordnung von rund 25.000 Menschen, oder knapp 85 Prozent, welche von griechischen Rettungsschiffen aufgenommen wurden, aber danach offiziell nie im Land ankamen.

Es ist nicht die einzige Ungereimtheit in Mitarachis Ministerium. Dem Minister wird zudem vorgeworfen, dass er das Militär für Vorarbeiten für das von privaten Firmen zu bauende Camp auf Chios einsetzt.