Die Linke: Zeit der Erneuerungsaufrufe

Der letzte Jahresauftakt dürfte es für Die Linke noch nicht gewesen sein. Aber ihre Zukunftsängste sind durchaus rational. Symbolbild: monicore auf Pixabay (Public Domain)

Jahresauftakt einer Partei am Scheideweg – ist ihre Existenz gefährdet?

"Die Linke wird gebraucht", betonte die Ko-Chefin der gleichnamigen Partei, Janine Wissler beim digitalen Jahresauftakt am Wochenende mehrfach. Tatsächlich sind in dieser Partei grundverschiedene Strömungen vertreten, die es jeweils auch außerhalb von ihr gibt – und das wirft nicht erst seit ihrem Absturz bei der letzten Bundestagswahl die Frage auf, welche Linke das sein soll.

Der Landesverband Brandenburg, der am Sonntag einen eigenen digitalen Parteitag abhielt, sieht die Gesamtpartei "in ihrer Existenz bedroht", wie er schon im November in einem Diskussionspapier feststellte. "Für uns ist klar: So kann es nicht weitergehen. Wir brauchen einen #SystemChange! Wir brauchen aber auch eine linke Erneuerung", hieß es darin.

Stärker als bisher müsse der Schulterschluss mit Partnerinnen und Partnern "von Fridays For Future bis zu den Gewerkschaften" gesucht werden. "Verzahnen wir die politischen Ansätze und setzen wir auf ein Miteinander statt auf ein einfaches Nebeneinander oder gar ein Gegeneinander der Methoden, der Regionen und der Ebenen."

Das Wahldebakel und die Folgen

Bei der Bundestagswahl am 26. September hatte Die Linke nur noch 4,9 Prozent der Stimmen erhalten, konnte aber dank dreier Direktmandate wieder mit Fraktionsstatus in den Bundestag einziehen. Eine "Todesstrafe auf Bewährung" nannte dies ihr Bundesgeschäftsführer Jörg Schindler. Vier Jahre zuvor war Die Linke im Bund noch auf 9,2 Prozent gekommen. Immerhin keine Halbierung, aber nahe dran.

"Da können wir nicht einfach zur Tagesordnung übergehen", sagte Ko-Parteichefin Susanne Hennig-Wellsow beim Jahresauftakt. Für eine selbstkritische Debatte warb die Thüringerin auch beim brandenburgischen Landesparteitag am Sonntag. "Wir wissen seit vielen, vielen, vielen Jahren, dass es nicht nur auf der Bundesebene kriselt, sondern dass es auch in unseren Kreisverbänden kriselt, dass es an unserer eigenen Mobilisierung kriselt", sagte sie.

"Aber wenn wir das wissen, dann können wir auch darüber reden, wie wir uns verändern können." Ihre Partei dürfte sich weitgehend einig sein, dass es "so nicht weitergehen" kann. Nur über den Schwerpunkt einer solchen Debatte und die Hauptschuldigen am Wahldebakel gibt es höchst unterschiedliche Vorstellungen.

Hennig-Wellsow hatte vor der Wahl für eine Regierungsbeteiligung der Linken im Bund geworben und war dafür in den eigenen Reihen scharf kritisiert worden, während SPD und Grüne von der ihrer Partei verlangt hatten, sich erst einmal zur Nato zu bekennen, bevor sie als Koalitionspartner in Betracht käme.

Selbstkritik hierfür vermisste wohl die ehemalige DDR-Wirtschaftsministerin Christa Luft, die vergangene Woche aus der Partei ausgetreten ist. In einer fünfseitigen Erklärung kritisierte sie die "ewige Anbiederei von Spitzenpolitikerinnen und -politikern bei SPD und Grünen, das geradezu fieberhafte Streben, unbedingt auf Bundesebene mitmachen zu wollen".

Das alte Lagerdenken ist überholt

Aber nicht nur diese Generation ehemaliger DDR-Bürgerinnen wirft ehemaligen oder Noch-Parteifreunden vor, "regierungsgeil" zu sein. Ähnliches ist von deutlich jüngeren Mitgliedern zu hören, die in sozialen, ökologischen und antirassistischen Bewegungen aktiv sind und zum Teil in Westdeutschland geboren wurden. Sie sehen das Problem auch nicht nur in einem der "Lager", die in der öffentlichen Wahrnehmung oft an der ehemaligen Bundestagsfraktionschefin Sahra Wagenknecht und ihren Kritikern festgemacht werden.

Hennig-Wellsow und Wagenknecht werden zu unterschiedlichen Lagern gezählt – aber auch Wagenknecht hat in den letzten Jahren "rot-rot-grüne" Regierungsambitionen erkennen lassen, sie wollte nur zuerst das Kräfteverhältnis innerhalb der drei Parteien zu den eigenen Gunsten ändern und hatte dazu die Sammlungsbewegung "Aufstehen" gegründet – ein Projekt, das inzwischen weitgehend gescheitert ist, auch wenn noch überschaubare Gruppen unter diesem Namen aktiv sind.

Ursprünglich wurde Wagenknecht, die einst in der Kommunistischen Plattform der Partei aktiv war, sich jetzt als "linkskonservativ" versteht und ordoliberale Positionen vertritt und gern über große Medien kommuniziert, dass man die kleinen Leute nicht mit zu viel Klimaschutz und Antirassismus überfordern solle, zu den linken "Fundis" der Partei gezählt.

Hennig-Wellsow, bis 2021 Fraktionschefin der Linken im Thüringer Landtag, wo ihre Partei mit Bodo Ramelow den Ministerpräsidenten stellt, darf wohl nach wie vor den "Realos" zugerechnet werden.

Ökosozialismus oder Barbarei?

Es gibt aber auch noch ein ökosozialistisches Lager, das in keine dieser Schablonen passt. Dafür stehen unter anderem die ehemaligen Bundestagsabgeordneten Sabine Leidig und Lorenz Gösta Beutin, die in der letzten Wahlperiode Sprecherin für Verkehrspolitik sowie klima- und energiepolitischer Sprecher der Fraktion waren.

Mit weiteren Parteifreunden, die auch in der Klimagerechtigkeitsbewegung aktiv sind, haben sie im Dezember einen Aufruf für "eine Erneuerung der Linken" verfasst. Sie soll demnach als "ökosozialistische Protestpartei" einen Systemwechsel anstreben, da unter anderem das Beispiel der Grünen zeige, "dass das System parlamentarischer Repräsentanz gegenüber dem fossilen Kapitalismus an seine Grenzen gerät".

Abgesehen von dieser richtigen Analyse zeigt die Wortwahl an mehreren Stellen, dass zwischen manchen Mitgliedern der Partei Die Linke Welten liegen. Kritisiert wird unter anderem die Wahl des Ex-Parteichefs und früheren IG-Metall-Funktionärs Klaus Ernst zum Vorsitzenden des Klimaausschusses im Bundestag durch die Linksfraktion.

Dessen Nähe zur Autoindustrie hatten die Initiatoren bereits in einem offenen Protestbrief mit der Überschrift "Nicht euer Ernst" kritisiert und die Fraktion aufgefordert, ihn nicht zu wählen. Ernst hatte als IG-Metall-Vertreter unter anderem im Aufsichtsrat von Porsche gesessen und noch lange danach – im Sommer 2021 – linke Proteste gegen die Automesse IAA in München kritisiert.

Kritiker seiner Kritiker meinten allerdings, der offene Protestbrief sei kontraproduktiv gewesen, da ihn auch Nicht-Mitglieder der Partei und vereinzelt sogar Mitglieder der Grünen, die hauptsächlich bei Fridays for Future aktiv sind, unterschrieben hatten. Deshalb habe die Fraktion durch die Wahl von Ernst zeigen "müssen", dass sie sich solcherlei Einmischungen von außen verbitte.

Im besagten Aufruf, den "Sympathisant:innen, Wähler:innen und Mitglieder" der Linken verfasst haben sollen, wird nun wieder derselbe Reflex getriggert – indem der Bundestagsfraktion mit den Worten der schwedischen Aktivistin Greta Thunberg vorgeworfen wird: "Wie konntet ihr es wagen!"

Denn Thunberg hatte diesen Vorwurf als parteilose Aktivistin 2019 beim UN-Klimagipfel den Mächtigen der Welt gemacht. Innerhalb der eignen Partei spricht er für kaum überbrückbare Differenzen.